Mehr als eintausend Landwirte aus der Region werden an diesem Dienstag bei einer Demonstration in Berlin dabei sein. Etwa die Hälfte von ihnen ist mit dem Trecker unterwegs. Bereits am Montag haben sich viele auf den knapp 400 Kilometer langen Weg gemacht, um ihren Unmut über die aktuelle Agrarpolitik am Brandenburger Tor Luft zu machen. Insgesamt 10 000 Teilnehmer erwartet das Aktionsbündnis „Land schafft Verbindung“, das zum Protest aufgerufen hat. Damit kommt jeder zehnte Protest-Bauer aus dem Elbe-Weser-Dreieck.
Gleich nach dem Melken hat sich eine Gruppe um den Lilienthaler Landwirt Claus Tietjen am Montag in aller Frühe auf den Weg nach Berlin gemacht. „Das Maß ist voll. Da spielt die Entfernung keine Rolle“, sagt der 47-Jährige. Er bangt um die Existenz seines Betriebes, weiß nicht, wie lange er den 45 Hektar großen Hof mit 250 Rindern noch über die Runden bringt. Dabei ist Tietjen jemand, der dafür bekannt ist, dass er sich um die Natur und die Bienen sorgt. Er ist Vorreiter in Sachen Blühstreifen, aber auch er kämpft mit der Bürokratie, mit immer neuen Auflagen. „So kann es nicht weiter gehen“, steht für Tietjen fest.
Hanke Bohlen aus Osterholz-Scharmbeck wird ebenfalls in Berlin dabei sein, allerdings ohne Traktor. Er reist mit dem Auto an. „Wir Landwirte sollen die Welt retten, werden aber für alles verantwortlich gemacht, für den Klimawandel, das Insektensterben, das Nitrat im Grundwasser“, ärgert sich der 41-Jährige. Er will nicht länger der Sündenbock der Nation sein. Industrie und Autofahrer seien genauso für den Kohlendioxidausstoß verantwortlich, Steingartenbesitzer nähmen Insekten den Lebensraum und Kommunen verschmutzten die Gewässer mit Abwässern.
„Immer neue Auflagen“
Landwirt Henry Grimm aus Worpswede und seine Mitstreiter sind den ganzen Montag durchgefahren. Am Abend haben sie in Perleberg in der Elbtalaue Rast gemacht. Grimm: „Wir Bauern sind bereit, etwas zu tun. Momentan wird aber nur über uns und nicht mit uns gesprochen. Immer neue Auflagen gehen an die Substanz.“ 20 Prozent weniger Dünger in den ausgewiesenen Gebieten seien Willkür, findet Grimm. „Wir müssen unsere Pflanzen auch mit Nährstoffen versorgen dürfen.“ Die strengen nationalen Auflagen passten nicht in den internationalen Wettbewerb. „Nachhaltige Produktion hat ihren Preis“, weiß Grimm. Wer Tierwohl wolle, müsse auch dafür bezahlen. Es müsse endlich Schluss sein mit der Geiz-ist-geil-Mentalität.
Christoph Bommes ist der Vize-Chef beim Landvolk in Osterholz-Scharmbeck, dem Bauernverband im Landkreis Osterholz. Er unterstützt die Landwirte bei ihrem Protest und kann die Wut verstehen. „Gerade hier in der Region engagieren sich viele Landwirte als Kooperationspartner in den Wasserschutzgebieten“, erzählt Bommes, „aber das wird nicht gesehen“. Wenn nur eine Messstelle mehr als die erlaubten 50 Milligramm Nitrat pro Liter aufweise, werde gleich ein ganzes Gebiet zum roten Gebiet erklärt. 20 Prozent weniger Dünger, wie es die neueste Verordnung vorsieht, das bedeutet für den Landvolk-Experten zu wenig Nährstoffe für die Pflanzen und damit zu wenig Ertrag.
Der Osterholzer Kreislandwirt, Stephan Warnken vom Hof Huxfeld in Grasberg, ist diesen Dienstag nicht in Berlin: „Meine Frau ist da. Einer muss ja auf den Hof und auf die Kinder aufpassen.“ Seine Gedanken aber sind bei den Demonstranten. Auf allen Kanälen verfolgt er die Demo-Vorbereitungen und wäre gern dabei. Warnken sagt, so einen breiten Protest der Bauern in Deutschland habe es noch nie gegeben: „Es sind alle dabei: Milchviehhalter und Schweinemäster, Biobauern und konventionelle Betriebe, auch Schafhalter, denen der Wolf zu schaffen macht.“ Das zeige, dass die Existenzangst längst alle Akteure der Branche erreicht habe.
Warnken hofft, dass das Agrarpaket wieder aufgeschnürt wird. „Wer möchte, dass die Bauern das Klima und die Natur schützen, der muss sie auch dafür bezahlen“, fordert der Kreislandwirt. Alles andere sei eine kalte Enteignung. Er fordert vor allem Planungssicherheit für die Betriebe: „Wer heute in einen neuen Stall investiert, muss wissen, ob dieser morgen noch den Auflagen entspricht.“
Bei der Kundgebung in Berlin wird Bundesagrarministerin Julia Klöckner sprechen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel will das Gespräch mit den Bauern suchen. Für Anfang Dezember ist ein Agrargipfel angekündigt. Dort soll es noch einmal um die verschärften Düngeregeln, aber auch um die Rolle der Verbraucher gehen. „Wer Bio auf den Feldern will, muss auch Bio kaufen“, meint Ministerin Klöckner. Die Bauern ihrerseits wollen um mehr Verständnis bei den Verbrauchern werben. „Wer 30 Cent pro Liter Milch bekommt, kann davon nicht leben, wenn die Produktion schon 40 Cent pro Liter kostet“, erklärt Warnken, der selbst Milchbauer ist.