Landkreis Osterholz. Raus aus dem Klassenzimmer, rein ins Büro oder auf die Baustelle, auf den Bauernhof, ins Pflegeheim, zur Bank, in die Arztpraxis, zum Steuerberater. Für Betriebspraktika verlassen Jugendliche ihre Schule und sammeln erste Praxiserfahrungen. Einen Blick in die Arbeitswelt werfen – das ist aber gerade alles nicht so einfach. Auch früher war es nicht immer leicht, einen Platz zu ergattern, doch Corona erschwert Schülerpraktika oder macht sie derzeit ganz unmöglich. Betriebe sagen ab. Und Schulen verlegen die externe Pflichteinheit nach hinten.
Einigermaßen glimpflich läuft es am Gymnasium Osterholz-Scharmbeck, teilt die Lehrerin Isabelle Kuhn auf Anfrage mit. „Es gab Überlegungen das Betriebspraktikum für den elften Jahrgang aufgrund der Pandemie abzusagen oder zu verschieben.“ Da aber bisher nur fünf der 77 Schüler eine Absage bekamen, sollen die beiden Praktikumswochen nun gleich nach den Herbstferien starten, kündigt Kuhn an, die für die Studien- und Berufsorientierung in der Oberstufe zuständig ist.
Einige der betroffenen Schüler hätten auch bereits eine Alternative gefunden; andere, die gerne in die Hotel- oder Eventbranche reingeschnuppert hätten, standen pandemiebedingt zunächst vor großen Problemen und mussten sich gänzlich neu orientieren. Die Pädagogin betont: „Wir sind sehr dankbar, denn viele Betriebe in der Region erklären sich trotz der momentanen Lage bereit, die Schülerinnen und Schüler zu betreuen und somit einen Praxiseinblick zu ermöglichen.“
Dem Dank schließt sich Wilhelm Windmann als Leiter der Berufsbildenden Schulen (BBS) uneingeschränkt an. Er habe sich bei den Leitern der Beruflichen Gymnasien und Fachoberschulen umgehört. „Der Tenor war eindeutig: keine spürbaren Auswirkungen“, so Windmann. Nur vereinzelt seien Schülerpraktika zuletzt von Kurzarbeit in den Betrieben mitbetroffen gewesen, so der BBS-Leiter. Mit Blick voraus sei zu hoffen, dass auch die Berufsfachschüler im nächsten Jahr planmäßig ins Praktikum kommen; die Bewerbungsphase für März/April beginne gerade.
Den Termin für die Elftklässler aber, der am Gymnasium Lilienthal für Januar 2021 im Kalender steht, möchte Schulleiter Denis Ugurcu am liebsten platzen lassen und verschieben, auf das Ende des Schuljahres. „Dann wissen wir, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt hat.“ Außerdem seien die Sommermonate für ein Schülerpraktikum coronabedingt besser als der Januar. Seine Idee will Ugurcu in dieser Woche dem Schulvorstand vorschlagen. „Die Erfahrungen in einem Praktikum sind wichtig, deshalb versuchen wir, daran festzuhalten“, betont er. Ob der Zukunftstag im April stattfinden wird, werde der Schulvorstand ebenfalls in dieser Woche besprechen.
Die Neuntklässler an der KGS Hambergen hingegen gucken momentan noch in die Röhre. Das Herbstpraktikum, das vor den Ferien hätte laufen sollen, wurde nach Angaben von Schulleiterin Gitta Brede schon vor den Herbstferien abgesagt. Nur 50 Prozent hätten einen Praktikumsplatz gefunden. „Es gibt aber noch ein zweites Praktikum im März. Wir hoffen, dass es auch stattfinden kann“, sagt Brede verhalten optimistisch.
Es gebe auch jetzt durchaus Firmen, die Praktikumsplätze anbieten; die Möglichkeiten seien seit Corona nur eben geringer – auch in Hambergen. Die KGS-Leiterin empfiehlt den Jugendlichen, es trotzdem und auf eigene Faust zu versuchen oder vielleicht persönliche Kontakte nutzen. Das mache Eindruck, und je mehr Praktika, desto vielfältiger die Einblicke. Allein gelassen würden die Schüler aber nicht. Lehrer besprechen mit ihnen das Verfassen von Bewerbungen oder das Verhalten im Vorstellungsgespräch.
Aus Schülersicht sehr schwierig
Gustav Grünthal, Sprecher des Kreisschülerrats, erklärt auf Anfrage, mehrere Schüler hätten in der Vergangenheit von Absagen und Problemen berichtet; die Perspektiven fürs nächste Jahr seien inzwischen etwas besser, so der Eindruck aus Schülersicht. Das sei aber auch dringend nötig; nicht selten hänge im Anschluss auch die Ausbildung davon ab. Grünthal: „Es ist noch immer sehr schwierig.“
Jan-Peter Halves von der Kreishandwerkerschaft Elbe-Weser rät Jugendlichen dazu, bei der Praktikumssuche am Ball zu bleiben. „Nicht Corona macht den Handwerksbetrieben Probleme, sondern der Fachkräftemangel“, betont der Geschäftsführer. Natürlich spiele die aktuelle Situation auch bei den Betrieben eine Rolle. Die Firmeninhaber hätten alle Hände voll zu tun, ihre Firmen am Laufen zu halten, Aufträge heranzuholen und jeden ihrer Mitarbeiter zu beschäftigen. “Es ist viel in Bewegung.“ Und deshalb gehe manchmal die Anfrage eines Schülers vielleicht unter. Deshalb sollten Jugendliche nicht nachlassen, bei Betrieben anzufragen. „Bitte haken Sie nach“, so sein Appell. Praktika, so Halves weiter, seien auch im betrieblichen Interesse, denn die Firmen benötigten dringend Auszubildende. „Das höre ich bei nahezu jeder Gelegenheit.“ Viele Lehrlinge finden nach wie vor als Praktikanten ihren Weg in den Betrieb. Und im Vergleich zu anderen Branchen sei das Handwerk auch in Corona-Zeiten solide aufgestellt, so der Kammer-Geschäftsführer. Das Geschäft erhole sich langsam wieder.
Im Bereich Industrie, Handel und Dienstleistungen haben es Schüler zurzeit schwer, einen Praktikumsplatz zu finden. Manche Betriebe hätten ihre Tore komplett geschlossen, sagt Kim Fischer von der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Stade. Es gehe den Firmen darum, die Produktion zu sichern und zusätzliche Ansteckungsrisiken durch betriebsfremde Menschen zu minimieren. Die Betriebe selbst seien damit unzufrieden, könnten es aber nun mal nicht ändern: „Wenn jemand im Homeoffice und nicht im Betrieb tätig ist, kann er keine Praktikanten betreuen“, gibt Fischer ein Beispiel.
Trotz des knappen Angebots sei es sinnvoll, sich zu bewerben, findet auch die IHK-Mitarbeiterin, die den Bereich Bildungsservice leitet. „Man darf nicht so schnell aufgeben.“ Die IHK biete einige Stellen im Internet (www.stade.ihk24.de) unter der Rubrik „Praktikumsbörse“ an. Außerdem stehe der sogenannte Praktikumsatlas bereit: Eine Liste von Betrieben, die grundsätzlich Praktikanten annehmen, es zurzeit möglicherweise aber nicht darstellen können. Wie sich die Lage entwickle, sei völlig offen, räumt Fischer ein. Was einstweilen bleibe, seien das Prinzip Hoffnung und eigene Initiative.