Herr Dr. Schirmer, die Flutkatastrophe im Ahrtal ist jetzt ein Jahr her. Steigt die Gefahr eines solchen Hochwassers auch für die Wümme und die Wörpe, und wenn ja, warum?
Michael Schirmer: Mit einer Sturzflut wie im Ahrtal, mit Wasserständen mehrere Meter höher als normal, müssen wir hier nicht rechnen. Im Ahrtal fiel ein starker Regen in ein schmales, enges und steiles Kerbtal, in dem der gesamte Niederschlag auf einen kleinen Bachlauf konzentriert wurde, der diese Wassermengen überhaupt nicht fassen konnte. Das ist bei Wümme und Wörpe so nicht zu erwarten, weil sie ein geringes Gefälle haben, der Abfluss also langsamer verläuft, und weil beide Flüsse eine für unser Flachland typische Aue haben. Je mehr von dieser Aue noch dem Fluss zur Verfügung steht, um so mehr Wasser kann sich dort verteilen und es entsteht nicht eine solche Sturzflut. Weiträumige Überschwemmungen sind zwar immer möglich, aber keine schießende Strömung, die Brücken und Häuser wegreißt.
Stichwort Klimawandel: Worauf müssen wir uns hier in der Region künftig einstellen?
Die Witterung der vergangenen Jahre bestätigt ziemlich genau die Prognosen der Klimaforscher. Generell kann man sagen: Das Wetter wird weniger verlässlich, die Bauernregeln stimmen nicht mehr. Die Jahresmitteltemperaturen steigen, Frost, Eis und Schnee werden immer seltener. Die Sommer werden trockener, obwohl wir uns ja eigentlich im Einflussbereich der Nordsee befinden, und auch die Winterniederschläge gleichen das nicht aus. Die Sommertemperaturen steigen und bewirken mit den geringen Regenmengen die Gefahr der Trocknis und häufigerer Waldbrände. Im Sommer müssen wir mit mehr und stärkeren Gewittern rechnen, die ihrerseits Starkregen, Wolkenbrüche und Hagel bringen. Auf der Geest sinken die Grundwasserstände und es gibt Streit um das Wasser: Beregnung der Felder oder Trinkwasser?
Was wird konkret vor Ort getan, um gegen die Auswirkungen des Klimawandels wie etwa steigende Meeresspiegel und immer häufiger auftretende Starkregenereignisse gewappnet zu sein?
Das sind ja sehr verschiedene Prozesse, die entsprechend unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Der an allen Pegeln messbare Anstieg des Meeresspiegels wird in allen Ländern entlang der Nordsee vor allem durch Erhöhung der Schutzdeiche beantwortet. Für Deutschland gilt seit 2021, dass ab jetzt die Deiche an der Küste und in den Flussmündungen so erhöht und verstärkt werden, dass sie im Jahr 2100 einem um einen Meter höheren Meeresspiegel standhalten und auch danach noch weiter erhöht werden können. Das machen wir in Bremen und in Niedersachsen mit großem Engagement. Wir wollen die Sicherheiten, die wir jetzt haben, auch in Zukunft behalten.
Und was Starkregenereignisse angeht?
Bezüglich höherer Flusshochwässer infolge Starkregen sind die Küstenländer noch nicht so weit wie der Küstenschutz. Niedersachsen und Bremen haben zwar die Flussdeiche oberhalb der Sturmflutsperrwerke durchgemessen und in den meisten Fällen für ausreichend erklärt, aber wenn es im Hinterland zu extremen Niederschlägen kommt, die wir bislang noch nicht hatten oder die einfach häufiger auftreten, dann muss man feststellen, dass in vielen Gegenden die schon erwähnten Auenflächen für die Aufnahme von großen Wassermassen nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie abgedeicht oder überbaut wurden. Das Niederschlags- beziehungsweise Abflussproblem wird zudem durch Entwaldung und Versiegelung der Landschaft stetig verstärkt. Da hilft dann auch die verbesserte Starkregenvorhersage nicht viel.
Inwiefern profitiert Grasberg vom Deichbau in Bremen?
Grasberg liegt auf einer Geländehöhe, die im Prinzip – das heißt ohne Küstenschutz – bei einer sehr starken Sturmflut unter Wasser gehen würde. Das gleiche gilt für ungefähr 85 Prozent der Stadtfläche Bremens, weshalb wir Bremer ein lebhaftes Interesse daran haben, den Schutz vor Sturmfluten konsequent anzupassen. Der Deichbau entlang der Unterweser einschließlich des Lesumsperrwerks dient also dem Schutz der Stadt Bremen und zugleich dem Schutz des niedersächsischen Hinterlands. Das Lesumsperrwerk ist eine gemeinsame Einrichtung der Bundesländer Bremen und Niedersachsen, der Bremische Deichverband am rechten Weserufer betreibt die Anlage. Insofern ist Grasberg wohl noch mindestens für die nächsten 100 Jahre vor den Sturmfluten der Nordsee geschützt.
Was raten Sie den Menschen und der Politik was die Ausweisung von Wohngebieten entlang der Wörpe angeht? Sollte man dort generell besser Abstand halten?
Für alle Flüsse gilt: Ja, Abstand halten! Die Aue eines Flusses ist immer auch sein Überschwemmungsgebiet und das wird der Fluss – ob groß oder klein – irgendwann auch wieder brauchen! Für alle Flüsse sind diese Überschwemmungsflächen bekannt, auch wenn sie vielleicht lange nicht gefüllt waren: Der Klimawandel wird mit Starkregen insbesondere in kleineren Flüssen und Bächen die Aue wieder füllen. Dabei führt jeder weggenommene Quadratmeter Auenfläche zu höheren Wasserständen und stärkerer Strömung ringsum.
Wo an der Wümme oder der Wörpe ist die Wohnbebauung Ihrer Meinung nach zu dicht am Fluss?
Ganz grundsätzlich müsste man sagen, dass jede Bebauung, die durch Deiche oder Warften vor Hochwasser geschützt werden muss, im Prinzip am falschen Ort ist. Das ist zwar in vielen Fällen nicht mehr rückgängig zu machen, aber es gibt in vielen Regionen die klare Ansage, dass freie Auen nicht mehr überbaut werden dürfen und auf lange Sicht in Anpassung an den Klimawandel Auen oder Hochwasserpolder sogar wieder freigelegt werden sollen.
Die Gemeinde Grasberg plant an der Wörpe ein neues Gewerbegebiet. Ist das mit Blick auf mögliche Hochwasser eine gute Idee?
Wenn das Gebiet in der historischen Wörpeaue zu liegen käme, dann würde ich das für nicht nachhaltig halten und im Widerspruch zu den Erfordernissen der Klimaanpassung, also gar keine gute Idee.
Brauchen die Gemeinden Grasberg und Lilienthal einen besseren Hochwasserschutz oder reicht es, sich auf starke Deiche in Bremen zu verlassen?
Ich bin überzeugt, dass wir mit den jetzt geltenden Zielen des Küstenschutzes an der Unterweser in Bremen und Niedersachsen eine gute Ausgangsbasis und mittelfristige Perspektive haben. Ob wir insgesamt für die Klimafolgen im Binnenland ausreichend vorgesorgt haben, da bin ich mir nicht so sicher. Ich denke, die Ausweisung und strikte Verteidigung von Überschwemmungsgebieten im Hinterland wird dringender.
Wie ist Ihre persönliche Meinung: Lässt sich der Klimawandel überhaupt noch aufhalten?
Wir sind ja seit Jahrzehnten im Klimawandel drin und merken das jetzt immer stärker am eigenen Leibe. Die Prognosen selbst für uns reiche Deutsche sind ja ziemlich düster, und wenn man sieht, wie langsam sowohl die Anpassung an die Folgen des Klimawandels als auch die Maßnahmen zum Schutz des Klimas vorankommen, dann erscheint mir das 1,5 Grad-Ziel schon kaum noch erreichbar. Umso dringender ist es, gemeinsam alles was möglich ist zum Schutz des Klimas zu tun und gleichzeitig konsequent die Anpassung voranzutreiben.