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Grasberger Praxis schließt Gartenschere statt Stethoskop

Seit 1990 praktiziert John Lawrence Crum in Grasberg. Jetzt verabschiedet sich der Hausarzt in den Ruhestand und erzählt, warum ihn die Leute anfangs für einen schlechten Arzt hielten.
05.12.2022, 08:00 Uhr
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Gartenschere statt Stethoskop
Von Sandra Bischoff

Grasberg/Worpswede. Am Anfang waren die Patienten von John Lawrence Crum ein wenig irritiert. Bis eine Nachbarin schließlich Klartext sprach: "Wir erwarten, dass du einen weißen Kittel anziehst!'", erinnert sich der Hausarzt. "Ich bin Amerikaner. Dort tragen die Ärzte Krawatten, aber keine Kittel." Zwei Jahre habe es gedauert, dann schließlich gab der Allgemeinmediziner nach. Seit mittlerweile 36 Jahre ist Crum Hausarzt, den Großteil davon in Grasberg. Nun verabschiedet sich der 75-Jährige in den Ruhestand. Am 8. Dezember ist seine letzte Sprechstunde. 

In Kalifornien geboren, wurde Crum mit 18 Jahren zum Militärdienst einberufen. Es war die Zeit des Vietnamkriegs. Er verpflichtete sich für sechs Jahre bei der Marine. "Es gab genug Freiwillige, die Chancen standen gut, bei einer Verpflichtung nicht in den Krieg ziehen zu müssen", sagt Crum. Als es schließlich möglich war, dass die Männer aufgrund ihres Gewissens den Dienst an der Waffe verweigern konnten, tat Crum dies und studierte "Vergleichende Literaturwissenschaft Deutsch und Englisch". 1973 ging er als Austauschstudent für ein Jahr nach Göttingen. Durch seine Zeit bei der Marine kannte er Europa. "Ich mochte das europäische Flair schon immer", sagt Crum und entschied sich, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Er nahm die deutsche Staatsangehörigkeit an, und weil er Geld brauchte, machte er Nachtschichten im Krankenhaus.  "Ich werde nie vergessen, wie eine Schwester mir zeigte, mit den Toten umzugehen. Es herrschte solch eine Ruhe, das war beeindruckend und so friedlich." Nach einem knappen Jahr auf der Intensivstation merkte der junge Student: "Ich habe meine Berufung gefunden." Er schmiss das Literaturstudium, schrieb sich für Medizin ein und wurde Facharzt für Allgemeinmedizin. Nach einem knappen Jahr im Diakonie-Krankenhaus in Gröpelingen ließ er sich 1986 als Hausarzt in Worphausen nieder. 1990 mietete er die Praxisräume an der Speckmannstraße 28 in Grasberg an, wo er bis heute praktiziert.

Straffe Organisation der Praxis

"Ich habe immer versucht, nicht zu trödeln, aber dem einzelnen Patienten die Zeit zu geben, die er braucht." Disziplin sei deshalb immer wichtig gewesen. "Als Arzt die Patienten warten zu lassen, finde ich unverschämt." Das wiederum sorgte für Gerede im Ort. Denn durch die straffe Organisation standen vor der Praxis kaum Autos. "Ein leerer Parkplatz bedeutete für die Leute: Das ist ein schlechter Arzt", sagt Crum schmunzelnd. "Im Laufe der Jahre habe ich mir aber einen guten Ruf erarbeitet." Auch wenn ihn besonders zu Beginn auch mal Patienten kritisiert hätten, er würde zu wenig Medikamente verschreiben. "Ich gebe nicht bei jedem Schnupfen Antibiotika. Da gibt es viel bessere Hausmittel." Nur seien diese oftmals in Vergessenheit geraten.

Das Verhältnis zu seinen Patienten sei geprägt von gegenseitigem Respekt, aber er habe den einen oder anderen auch schon mal in den Arm genommen, wenn die Diagnose schwerwiegend war. "Ich habe versucht, den Menschen die Medizin so zu vermitteln, dass sie sie verstehen. Aber am Ende ist der Patient der Experte, was seine Gesundheit angeht." Bei einigen seiner Patienten habe es aber auch gedauert, bis sie zu der Einsicht gelangt seien, etwas an ihrem Verhalten zu ändern. So wie die Frau, die erst von ihrem Rückenleiden befreit wurde, als sie ihre Stöckelschuhe dauerhaft im Schrank ließ. "Man braucht Geduld mit seinen Patienten", sagt Crum. 

Sprechstunde am Sonnabend

Anstatt unter der Woche bis spät in den Abend zu arbeiten, öffnete Crum seine Praxis lieber zusätzlich Sonnabend vormittags. Nicht selten sei er nachts drei- oder viermal aus dem Bett geklingelt worden. Und während er unterwegs zu den Patienten war, übernahm seine Frau den Telefondienst. "Ich war zwölf Stunden in der Praxis und hatte danach, bis auf das Wochenende, Dauer-Bereitschaft", berichtet der Vater einer erwachsenen Tochter. "Aber ich war zufrieden, trotz der Belastung, weil ich meinen Job mag." In den ersten Jahren als niedergelassener Arzt habe seine Frau ihn mit Mühe und Not zu zwei Wochen Urlaub im Jahr überreden können. Nach und nach habe er der freien Zeit mehr abgewinnen können und die Ferien wurden länger. Aber nicht nur das Reisen, vorzugsweise in die Provence oder die französische Atlantikküste, hätten für Ausgleich gesorgt, sondern vor allem der Garten. "Ich baue Gemüse an: Rote Bete, Kartoffeln, Möhren. Und ich freue mich darauf, dass ich bald mehr Zeit dafür habe." 

Die Vielfalt habe ihn immer an seinem Job gereizt. "Als Allgemeinmediziner weiß ich nie, was mich erwartet. Mein Geist wird dadurch gefordert, und ich musste mich ständig fortbilden." Das sei auch einer der Gründe, warum er aufhöre. "Ich kann dem Fortschritt nicht standhalten." Der Arztberuf habe sich verändert. Nicht nur die Bürokratie habe enorm zugenommen, auch die technischen Geräte und die Pharmaindustrie beeinflussten die Arbeit der Mediziner nicht immer zum Guten. "Die Geräte und die Medikamente ein Segen bei Krankheiten, die sonst tödlich enden können, aber oft wird die Abkürzung über bildgebende Verfahren genommen. Die Zeit für eine gründliche Anamnese fehlt manchen Ärzten heutzutage."

Zur Sache

Praxis schließt

Im Dezember 2017 übernahm die Hausärztliche Gemeinschaftspraxis Lilienthal die Grasberger Praxis von John Lawrence Crum. Seitdem hat der Allgemeinmediziner lediglich vormittags Sprechstunde. Am Donnerstag, 8. Dezember, empfängt der 75-Jährige zum letzten Mal offiziell Patienten. Die Praxis schließt Ende Dezember endgültig ihre Türen, die Lilienthaler Gemeinschaftspraxis führt die Sprechstunden am Standort Grasberg nicht fort.

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