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Folgen wirken bis heute nach Ein Jahr nach dem Hochwasser: Die Sorge bleibt

Weihnachtshochwasser, Winterhochwasser, die große Flut: Vor einem Jahr hat ein außergewöhnliches Ereignis die Region in einen Ausnahmezustand versetzt. Viele Geschädigte haben bis heute mit den Folgen zu tun. 
23.12.2024, 05:00 Uhr
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Von Petra Scheller Irene Niehaus Jörn Dirk Zweibrock André Fesser

Der ganze Nordwesten Deutschlands wurde vor einem Jahr von den Wassermassen beeinflusst, die sich über Monate im Land gesammelt hatten. Ein Jahr danach sind die Folgen für viele Menschen in der Region noch nicht ausgestanden. Wir haben einige von ihnen besucht.

Jutta Malla, Borgfeld

„Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“, sagt Jutta Malla. „Hochwasser gab es am Borgfelder Erbrichterweg schon immer“, so die 92-Jährige. „Aber so schlimm wie im vergangenen Jahr habe ich es nie zuvor erlebt.“ Ihr Enkel, Torben Malla, mit dem die Seniorin in einer Wohngemeinschaft am Wümmeufer lebt, verließ den Erbrichterweg bereits am Abend des zweiten Weihnachtstages. „Ich musste zwischen den Jahren arbeiten – und dachte mir schon, dass es noch ungemütlicher werden würde“, erinnert sich der Landschaftsgärtner. Sein Bruder sei währenddessen bei der Großmutter im Haus geblieben.
Einen Tag später stand das Wasser bereits vor der Terrasse. Der Strom fiel aus. Im Haus wurde es eiskalt, Vorräte in der Kühltruhe tauten auf. „Wir haben gefroren und hatten kein Licht. Die Freiwillige Feuerwehr holte uns schließlich mit einem Kanu ab“, erinnert sich Jutta Malla an ihre Evakuierung. „Ich saß in der Mitte des Bootes mit meinem Enkel, vor und hinter uns war jeweils ein Feuerwehrmann, der uns durch den überfluteten Erbrichterweg paddelte. Meine Kanarienvögel saßen in einer Voliere ganz hinten.“

  • Schieben Sie in dem folgenden interaktiven Bild aus dem Erbrichterweg den blauen Regler am unteren Bildrand hin und her:

Zehn Tage lang kam Jutta Malla in Bremen-Nord bei ihrem Sohn unter. Erst als sie zurückkamen, hörten sie von den Nachbarn, welche Schäden das Hochwasser angerichtet hatte: „Die Leute mussten ihr Hab und Gut retten, aber sie haben sich gegenseitig geholfen. In der Kirchengemeinde gab es Mittagessen.“ Das Haus blieb vom Wasser verschont. Anfang Januar brachte ein Monteur die Heizungsanlage wieder zum Laufen.

Iris Borchers, Lilienthal

Kaum ein Unglück hat Iris Borchers und ihre Familie so erschüttert wie das Weihnachtshochwasser 2023. Ihr Pferdehof in Lilienthal, auf dem 73 Tiere zu Hause waren, wurde komplett geflutet. Mitten in der Nacht mussten die Vierbeiner evakuiert werden und kamen anderweitig unter. Wochenlang überall nur Wasser und kein Strom. Ein Jahr danach erzählt die 53-Jährige von dem Geschehen, als sei es gestern gewesen, von einer Katastrophe, die alle mitgenommen habe. Auch jetzt noch raube ihr jeder Gewitterregen den Schlaf, noch tiefer sitze der Schock bei ihrer Mutter.
Das Wasser habe bei ihnen einen Schaden von rund 120.000 Euro angerichtet, erzählt Iris Borchers. Eine Elementarversicherung hat die Pferdewirtin nicht. Über eine Crowdfunding-Plattform bekam der Betrieb Spenden in Höhe von rund 53.000 Euro. Ansonsten habe es keine Zuwendungen gegeben, sagt Iris Borchers, sie hoffe aber noch auf Hochwasserhilfe.

Noch längst sind nicht alle Schäden behoben. Obendrein kämpft der Hof mit weiteren finanziellen Folgen des Hochwassers. Die meisten Halterinnen hielten dem Betrieb nicht die Treue, aus Angst vor einem weiteren Unglück „und aus anderen Gründen“, so Borchers. Platz hätte sie für 80 Tiere, doch noch stehen nur 57 Pferde in den Boxen. Um die finanziellen Einbußen auszugleichen, denke sie darüber nach, Turniere und Tage der offenen Tür zu veranstalten. Froh sei sie über jede neue Anmeldung und die positive Resonanz der Pferdebesitzer, die die Bedingungen auf dem Hof schätzten.

Claudia Bruckhaus und Holger Röhling, Lilienthal

Das Hochwasser abhaken können Claudia Bruckhaus und Holger Röhling bis heute noch nicht. Sie sind immer noch damit beschäftigt, die im Dezember und Januar an ihrem Haus entstandenen Schäden zu beseitigen. Die Sanierung des Souterrains und der Garage ist nicht abgeschlossen. Und bis jetzt leidet der Alltag unter den Einschränkungen.
Bruckhaus und Röhling wohnen im Zollpfad, einer kleinen, nahe der Wörpe gelegenen Wohnstraße mitten in Lilienthal, die vor einem Jahr über Nacht zum Hochwasser-Hotspot wurde. Die Erinnerung an den Tag, als die Häuser komplett unter Wasser standen, ist den beiden noch präsent. Röhling erzählt, dass er seinen Augen nicht getraut habe, als sein Nachbar im Schlauchboot an seinem Fenster vorbeigeschoben wurde. Kaum hatte er realisiert, dass der Zollpfad evakuiert wird, habe auch schon ein Feuerwehrmann vor ihm gestanden und ihn zum Packen aufgefordert: „Sie sind die Nächsten!“

Wochenlang musste das Ehepaar bei Freunden und in einer Ferienwohnung unterschlüpfen, erst im Februar durften die beiden in ihr Haus zurückkehren. Doch der Ärger ging weiter. Die Sanierung ist aufwendig, ein Bauunternehmer ließ sie monatelang sitzen, und mit der Versicherung zanken sie bis heute. An sich sind die beiden das, was man Frohnaturen nennt, und sie betonen, dass sie ihren Humor nicht verloren haben. Bruckhaus räumt aber ein, dass Ärger, Schmutz, Baulärm und andere Begleiterscheinungen dazu geführt hätten, „dass hier alle einen Knacks weggekriegt haben“. Im Februar soll das Haus wieder von oben bis unten nutzbar sein – „dann sind wir glücklich“.

Bernd Moje, Verden

Nicht einen Cent von der Versicherung haben Bernd Moje und sein Sohn Christian aus dem Verdener Fischerviertel nach der Hochwasserkatastrophe erhalten. „Die Feuchtigkeit ist von außen in das Haus eingedrungen, das zahlt niemand“, ärgert sich Moje. Viele von der Allerflut betroffene Nachbarn haben das Bild noch vor Augen, wie er mit dem Schlauchboot durch das überschwemmte Quartier an der Aller gefahren ist. Auch die Bilder mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich ein Bild von der Lage im Fischerviertel gemacht hat, sind vielen in Erinnerung geblieben.
Der Fußboden wurde inzwischen neu verlegt und die Wände zieren neue Tapeten. Mojes und die anderen Menschen aus dem Viertel wünschen sich, dass die Stadt Verden bald den versprochenen Hochwasserschutz errichtet – ob fest, teilmobil oder mobil – Hauptsache, es geschehe zügig irgendwas. Die Verwaltung begründet den noch immer fehlenden Schutz mit hohen Kosten und fehlenden Fördermöglichkeiten.
Sie seien zwar im Endeffekt auf den Kosten sitzen geblieben, hätten aber dennoch Glück im Unglück gehabt, resümiert Familie Moje: Die höhere Lage ihres Hauses und dessen massive Bauweise hätten vermutlich Schlimmeres verhindert. „Wir hoffen jetzt nur, dass sich so etwas nicht so schnell wiederholt.“ Seit einem Jahr ist die Pegel-App der ständige Begleiter der Menschen aus dem Viertel. Fallen im Harz Niederschläge, steige der Pegel in Verden binnen einer Woche um rund einen Meter, wissen sie und hoffen wenigstens in diesem Jahr auf ruhige Feiertage und einen entspannten Jahreswechsel.

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