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Europawahl 2024 Wahlforscher Dominik Hirndorf über den Ruf der EU und Rechtspopulisten

Am 9. Juni wird das neue Europäische Parlament gewählt. Das Interesse daran sei ähnlich hoch wie 2019, sagt Politikwissenschaftler Dominik Hirndorf im Interview.
23.05.2024, 08:57 Uhr
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Wahlforscher Dominik Hirndorf über den Ruf der EU und Rechtspopulisten
Von Lutz Rode

Weniger als vier Wochen noch, dann wird das Europäische Parlament gewählt. Wie groß ist das Interesse der Menschen an der Wahl?

Die Europawahl galt lange Zeit als „Nebenwahl“. Das hat sich bei der letzten Wahl 2019 geändert, als die Wahlbeteiligung deutlich höher ausfiel. Dieses Mal liegt das Interesse vor der Wahl ähnlich hoch wie 2019. In Deutschland lag sie damals bei 61,4 Prozent.

Sie kommen am 30. Mai nach Lilienthal, um unter anderem zu berichten, was die Menschen über Parteien, Demokratie und Europa denken. Wie lautet der Befund? Welchen Ruf hat Europa bei den Menschen?

Wir befinden uns momentan in einer Phase, in der die Demokratiezufriedenheit und das Institutionenvertrauen stärker gesunken sind. Gleichzeitig gilt: Knapp die Hälfte der Deutschen vertraut der EU und drei Viertel halten die deutsche EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache.

Sie arbeiten für die Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich als Europastiftung versteht und die populistische und antidemokratische Tendenzen ablehnt. Doch antieuropäische und antidemokratische Kräfte gewinnen an Einfluss. Wie erklären Sie sich den Aufstieg der Rechtspopulisten?

Rechtspopulisten profitieren von gesellschaftlichen Ängsten, die sie in ihrer Kommunikation weiter schüren und verstärken. Als Ausweg aus der Angst präsentieren sie Sündenböcke und einfache Antworten. Das verfängt in Teilen der Bevölkerung und ist eine Herausforderung für die demokratischen Kräfte.

Schenken die Medien den Rechtspopulisten zu viel Aufmerksamkeit?

Zumindest könnte man sagen, dass die Strategie der Nichtbeachtung nie ernsthaft verfolgt wurde. Und natürlich kalkulieren Rechtspopulisten bei grenzwertigen Aussagen mit der Aufmerksamkeitsökonomie der Medien. Wir tun gut daran, ihnen nicht jedes Mal in die Falle zu gehen – und gleichzeitig müssen Skandale und Grenzüberschreitungen aufgearbeitet werden.

Würden Sie von einer Richtungsentscheidung sprechen, vor der Europa steht?

Nein, der europäische Gedanke und die demokratischen Kräfte werden auch nach dieser Wahl eine breite Mehrheit besitzen. Allerdings muss die EU in der nächsten Legislaturperiode erneut beweisen, dass sie in der Lage ist, die Probleme der Menschen in Europa zu lösen.

Welche Themen sind für die Wähler wichtig, wenn sie an Europa denken?

Das wichtigste Thema ist für die Wahlberechtigten aktuell die Migrationspolitik, dicht gefolgt von der internationalen Sicherheit mit Blick auf Russland und China. Klima und Umwelt liegen auf Platz 3, gleichauf mit Wirtschaft und Wettbewerb.

Gibt es Unterschiede zwischen Land und Stadt?

Tatsächlich zeigen wir in einer neuen Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass zwischen Stadt und Land feine Unterschiede bei politischen Einstellungen bestehen. Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt gibt es grundsätzlich eine positive Haltung zur europäischen Einigung und die Tendenz, diese weiter voranzutreiben. Allerdings fällt diese Tendenz mit zunehmender Ländlichkeit schwächer aus.

Das Wahlalter ist auf 16 Jahre herabgesetzt worden. Wie tickt denn die Jugend, wenn es um Europa geht?

Gleich sieben Jahrgänge gehen zum ersten Mal an die Wahlurne. In dieser Gruppe ist die Zustimmung zur Europäischen Union sehr hoch, wie auch in der Gesamtbevölkerung. Die Jüngeren zwischen 16 und 22 Jahren halten zu 81 Prozent Deutschlands EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache und 75 Prozent erkennen Vorteile aus der EU-Mitgliedschaft für Deutschland.

Inwieweit gehen die Parteien im Wahlkampf auf die Belange von jungen Menschen ein?

Ein weit verbreiteter Fehlschluss ist, dass sich Generationen fundamental voneinander unterscheiden. Ein expliziter Wahlkampf um die Erstwählenden ist nicht zwangsläufig nötig. Jüngere assoziieren die EU vor allem mit Sicherheit und Wohlstand und haben einen starken Wunsch nach aktiver Klimapolitik der EU. In anderen politischen Bereichen wie Wirtschaft, Verteidigung und Migration sind die jüngeren Wähler etwas zurückhaltender als die Gesamtbevölkerung. Diese Nuancen können Parteien aufgreifen.

Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass die Menschen am 9. Juni ihre Stimme abgeben?

Die EU ist ein Erfolgsmodell mit vielen Errungenschaften: Freiheit, Frieden und Sicherheit, wirtschaftliche und politische Stärke in der Welt. Wir begegnen den Vorzügen jeden Tag. Ob beim Zahlen mit dem Euro, besseren Verbraucherstandards beim Produktkauf oder der Planung unserer nächsten Reise. Eine Stimme für eine proeuropäische Partei ist eine Stimme für gute Problemlösungen der Zukunft.

Das Interview führte Lutz Rode.

Zur Person

Dominik Hirndorf (29)

hat Staats-, Politik- und Verwaltungswissenschaften an den Universitäten Passau, Konstanz und Göteborg studiert. Anschließend war er am Varieties of Democracy Institute an der Universität Göteborg tätig. Seit Juni 2020 ist er Referent für Wahl- und Sozialforschung in der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Auf Einladung der Volkshochschule Lilienthal wird er am Donnerstag, 30. Mai, ab 19 Uhr einen Vortrag in Murkens Hof unter dem Titel "Herausforderungen für unsere Demokratie" zur Europawahl 2024 halten.

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