Lilienthal/Worpswede/Grasberg. Wer nachmittags Brot oder ein Stück Kuchen kaufen möchte, steht bei sieben der acht Filialen der Bäckerei Kärgel vor verschlossener Tür. "Wir haben unsere Öffnungszeiten seit März eingeschränkt", berichtet der Inhaber der Worpsweder Landbäckerei, Sönke Kärgel, auf Nachfrage. Das habe im wesentlichen zwei Gründe: "Wir finden kein Personal, und zudem kam aus der 47-köpfigen Belegschaft immer mehr der Wunsch nach Teilzeit." Lediglich das Hauptgeschäft im Worpsweder Ortskern habe werktags durchgehend bis 18 Uhr geöffnet. Die anderen Filialen schließen mittags, je nach Standort zwischen 12 und 14 Uhr. "Wir sind aber weiterhin an sieben Tagen in der Woche für unsere Kunden da. Das ist in keinem anderen Handwerk so", sagt der Chef.
Attraktivität durch Vormittagsarbeit
Der Personalmangel beziehe sich nicht nur auf den Verkauf, es fehlten auch Bäcker, sagt Kärgel. Woran der Personalmangel liegt, kann er nicht genau sagen. "Vielleicht an den Arbeitszeiten, deswegen bemühen wir uns, mehr Attraktivität durch Vormittagsarbeit zu schaffen." Die Corona-Pandemie, die sonst allerorts für Probleme herhalten muss, sieht er indes nicht als Problem. "Während der Pandemie hatten wir keine Abwanderungen, da sind wir gut durchgekommen." Der Weggang der Mitarbeiter habe sich erst verstärkt, als die Beschränkungen nach und nach gelockert wurden. Seine Kollegen aus der Branche hätten ähnliche Probleme wie er, sagt Kärgel. Und: "Lösungen hat keiner."
Die meisten Kunden hätten Verständnis für die eingeschränkten Öffnungszeiten und verlegten ihre Einkäufe in der Regel in die Vormittagsstunden. Aber es gebe auch solche, die nur nachmittags Zeit hätten. "Natürlich verzichten wir auch auf Umsatz, aber ich habe einfach kein Personal, um mehr Umsatz zu machen."
Köche und Servicepersonal fehlen
Carsten Rohdenburg arbeitet zwar in einem anderen Bereich der Lebensmittelbranche, steht aber vor ganz ähnlichen Problemen. "Der Fachkräftemangel ist da", sagt der Inhaber des gleichnamigen Restaurants und Hotels in Lilienthal. "Wir sind angewiesen auf unsere Gäste, und dafür brauchen wir Personal." Egal ob Köche, Servicepersonal oder Housekeeping. Mitarbeiter sind Mangelware. 23 Angestellte in Voll- und Teilzeit hatte er vor der Pandemie, sagt der Vorsitzende des Dehoga-Kreisverbands Osterholz. Jetzt muss er mit zwölf auskommen. Und deshalb habe auch er Konsequenzen ziehen müssen: So ist das Restaurant nur noch an sechs statt an sieben Tagen die Woche geöffnet.
Vor allem in den vergangenen zwei Jahren, also durch Corona, seien Mitarbeiter abgewandert, viele in den Einzelhandel oder auch in Testzentren. Die Arbeitszeiten sind nach Meinung von Rohdenburg der Hauptgrund, warum sich Mitarbeiter für einen Wechsel der Branche entscheiden. Zudem komme die Unsicherheit, inwieweit es ab Herbst wieder Corona-Beschränkungen gibt. "Wir wissen nicht, was dann passiert: Machen wir wieder zu? Müssen wir Mitarbeiter nach Hause schicken?"
Neuer Tarifvertrag
An der Bezahlung könne es nicht liegen, sagt Rohdenburg, denn es gebe einen neuen Tarifvertrag, auf den sich Dehoga und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) geeinigt hätten. Diesem liegt ab Oktober in Niedersachsen ein Einstiegsverdienst in der Branche von 12,50 Euro pro Stunde zugrunde. Fachkräfte kommen demnach auf einen Stundenlohn von mindestens 13,95 Euro.
Etwa 2000 bis 3000 Ausbildungsplätze im Hotel- und Gaststättengewerbe sind zurzeit in Niedersachsen frei, sagt Rohdenburg. "Wir arbeiten daran, den Beruf attraktiver zu machen." Helfen soll dabei eine neue Ausbildungsverordnung, die jüngst auf den Weg gebracht worden sei und in der auch das Thema Digitalisierung nicht zu kurz komme. "Wir müssen den jungen Leuten zeigen, dass ihn ein unserer Branche alle Türen offen stehen vom Meisterbrief bis hin zu Tätigkeiten auf Kreuzfahrtschiffen oder in Top-Hotels in Dubai."