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Das Geld reicht nicht Ambulante Pflegedienste in Not

Das Insolvenzverfahren der Tarmstedter Diakoniestation wirft ein Schlaglicht auf die prekäre Lage der ambulanten Pflegedienste im Allgemeinen. Alle Dienste sind unterfinanziert. Wie sind die Perspektiven?
27.03.2024, 22:00 Uhr
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Von Johannes Heeg

Landkreise Osterholz/Rotenburg. Nachdem die Sozialstation Tarmstedt wegen drohender Zahlungsunfähigkeit in ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung gegangen ist, fragen sich nicht nur Betroffene: Wie steht es um die anderen ambulanten Pflegedienste in der Region? Eine nicht repräsentative Umfrage bei zwei Anbietern ergab: Alle Betriebe, die auf dem Land häusliche Pflege anbieten, sind unterfinanziert und können sich nur halten, weil sie diese Dienste quersubventionieren.

So sagt es beispielsweise Astrid Genslein, Geschäftsführerin der Pflegezentrum Grasberg GmbH. "Das Problem ist, dass wir unseren tatsächlichen Aufwand in der häuslichen Pflege nicht vollständig refinanzieren können", so Genslein. Fortbildungen, Dienstbesprechungen, Dokumentation und vor allem die Fahrtzeiten würden nicht komplett von den Kassen vergütet. "Wir machen die gleichen Verluste wie die Tarmstedter Kollegen und wie alle anderen ambulanten Pflegedienste", sagt die Chefin des vor 30 Jahren gegründeten Familienbetriebs, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rund 300 Menschen ambulant in deren Wohnungen pflegen.

4,80 Euro fürs Geben von Augentropfen

Genslein nennt Beispiele für Preise, die sie für bestimmte Leistungen berechnen darf. Da seien etwa die 4,80 Euro, die man fürs Geben von Augentropfen bekomme, das Anziehen von Kompressionsstrümpfen werde mit fünf Euro vergütet. "Das rechnet sich, wenn überhaupt, nur in der Stadt, wenn die Wege zwischen den Kunden kurz sind", so Genslein. Auf dem Land aber seien die Entfernungen viel größer, und das Problem werde noch verschärft, wenn es Langzeitbaustellen wie die Kreisstraße nach Worpswede oder die gesperrte Wörpebrücke bei Wilstedt gebe, die weite Umwege erforderten. Gar nicht vergütet würden Serviceleistungen wie das Besorgen von Rezepten und Medikamenten. "Wir wünschen uns eine angemessene Vergütung unseres Zeitaufwands", so Genslein, "bei jedem Handwerker funktioniert das, ausgerechnet bei den Pflegediensten, die mit Menschen arbeiten, aber nicht."

Ähnlich äußert sich Marina Wähnke, Pflegedienstleiterin der ambulanten Pflege des Roten Kreuzes in Osterholz-Scharmbeck und damit auch zuständig für die Filiale in Lilienthal-Worphausen. "Wenn wir nicht zu einem größeren Verbund gehören würden, ginge es uns wie der Tarmstedter Sozialstation. Die Vergütungssätze decken nicht unsere Kosten", sagt sie. Und die Inflationsausgleichsprämie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Tarmstedter Station ins Insolvenzverfahren getrieben hatte, seien auch fürs DRK "ein Schlag ins Kontor". Aber dem könne und wolle sich das Rote Kreuz nicht verweigern, "denn auch wir wollen angesichts des Fachkräftemangels ein attraktiver Arbeitgeber sein". Daher gebe es zum Beispiel Weihnachtsgeld, und die Mitarbeiter dürften ihre Dienstwagen privat nutzen.

Moralische Verpflichtung zu helfen

"Im Moment gibt es keine Aussichten auf eine bessere Finanzierung", sagt Marina Wähnke. Sie sieht es so: "Die Kassen als Kostenträger nutzen es aus, dass sich die Mitarbeiter der Pflegedienste in der moralischen Verpflichtung sehen, im Interesse ihrer Kunden länger zu arbeiten als sie eigentlich dürften, damit niemand unversorgt bleibt. Auf Dauer kann das so aber nicht funktionieren." Um die Probleme zu lösen, müssten die Beiträge steigen, schlägt Wähnke vor, deren 38 Beschäftigte etwa 200 Menschen versorgen.

Auf die Frage, warum die Verbände der Pflegedienste nicht bessere Vergütungen aushandeln, gab es keine klaren Antworten. "Das Finanzierungssystem ist sehr komplex", sagt Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen. Seit zwei Jahren gebe es für ambulante Dienste ein Abrechnungsmodell, bei dem ein Pflegedienst seine Personalkosten gegenüber der Pflegekasse darlegen und seine notwendigen Vergütungssätze vereinbaren könne. Dies sei ein erster guter Ansatz.

Trotzdem müssten Pflegeleistungen in immer kürzerer Zeit erbracht werden, um den Fortbestand der Pflegedienste zu ermöglichen. Die Unterfinanzierung der ambulanten Dienste führe dazu, dass Pflegebedarfe in manchen Fällen nicht mehr abgedeckt würden. Dies habe zur Folge, dass Menschen, die eigentlich noch gut zuhause gepflegt werden könnten, stationär versorgt werden müssen. Der daraus entstehende sogenannte „Heimsog“ verschärfe die Versorgungslage in den stationären Einrichtungen.

Keine tragfähige Regelung

Kerstin Hiller, Kommunikationschefin des DRK-Landesverbandes Niedersachsen, beklagt ebenfalls die unzureichende Vergütung. Den Partnern der Selbstverwaltung sei es noch nicht gelungen, sich auf eine tragfähige Regelung zu verständigen. Da die Kosten für pflegerische Leistungen in den zurückliegenden Jahren deutlich stärker gestiegen seien als die Vergütungen der Pflegeversicherung, reduzierten Pflegebedürftige häufig die Leistungen, die sie in Anspruch nehmen, obwohl sie diese eigentlich benötigten. Dies führe zu einer Verschlechterung der Versorgungssituation und einer zusätzlichen Belastung für die pflegenden An- und Zugehörigen.

Um diese Einnahmeausfälle zu kompensieren, müssten die Pflegedienste mehr Personen anfahren, wodurch sich ihre Probleme verschärften. Abhilfe bringen würde eine grundlegende Strukturreform der Pflegeversicherung oder zumindest eine deutliche Anhebung der Sachleistungsbeträge. Die Inflationsausgleichsprämie, so Hiller, könne durchaus refinanziert werden, allerdings über die Gesamtlaufzeit der Vergütungsvereinbarung – in der Regel zwölf Monate. Ausgezahlt werde sie allerdings auf einmal in voller Höhe.

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