Landkreis Osterholz. Die Zahl der Menschen mit Schwerbehinderung im Landkreis ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dies ist einem Bericht der Krankenkasse IKK Classic zu entnehmen. So lässt sich in den vergangenen zwei Jahren ein Anstieg von etwa 3,4 Prozent verzeichnen, das entspricht 327 Menschen. In den zehn Jahren seit 2008 betrug der Anstieg circa 18,5 Prozent. Eine Schwerbehinderung liegt vor, sobald ein Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent erreicht ist. Diese Behinderung muss nicht immer von außen erkennbar sein. Auch Fälle von Morbus Crohn oder Schwerhörigkeit beziehungsweise Taubheit können eine schwere Behinderung darstellen.

Walter Dammann.
Laut Walter Dammann, ehrenamtlicher Ansprechpartner im Kreisbehindertenrat des Landkreises Osterholz, ist der Anstieg nicht allein auf das steigende Alter der Bevölkerung zurückzuführen. „Viele nehmen ihre Rechte mehr wahr. Die Akzeptanz innerhalb von Familien ist auch gestiegen“, so Dammann. Eine starke Behinderung stellte zu früheren Zeiten ein Stigma dar, heute sei man aufgeklärter.
Dammann ist seit 18 Jahren im Kreisbehindertenrat und hat einen Blick dafür entwickelt, wo Handlungsbedarf besteht. So werde mit den steigenden Zahlen der Schwerbehinderten besonders das Thema Wohnraum prekär. „Es müsste besonders dringend mehr bezahlbare Wohnungen im Landkreis geben“, sagt Dammann. Barrierefreie Wohnungen seien im Schnitt zu teuer. So falle es Menschen schwer, passenden Wohnraum zu finden, etwa wenn sie bereits von einer Behindertenrente leben würden. Schwerbehinderte Menschen seien häufig finanziell eingeschränkt, da sie weniger arbeiten könnten oder bereits von einer kleinen Rente leben müssten.
Auch anderswo bestehe Nachholbedarf: So könnten Geschäfte noch mehr für barrierefreie Zugänge tun, sagt Dammann. So weiß er von einem Reisebüro, das Rollstuhlfahrer nur über den Hintereingang betreten können. Ein Beispiel für die positive Entwicklung der Barrierefreiheit eines Ortes lieferten die Maßnahmen, die in Lilienthal in Absprache mit Dammann durchgeführt wurden. Dort habe man die Bauarbeiten zur Verlängerung der Linie 4 genutzt, um einige Maßnahmen umzusetzen.
Die Zahlen im Bereich der schweren Behinderung entwickeln sich im Landkreis fast parallel zu denen im Land. Niedersachsen verzeichnet wie auch der Landkreis Osterholz im Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre einen Anstieg von beinahe 20 Prozent der Menschen mit Schwerbehinderung. Prognosen zufolge sei davon auszugehen, dass bis 2050 jeder achte Mensch in Deutschland schwerbehindert ist. Michael Haase, Pressesprecher des niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie, berichtet, dass in Niedersachsen jährlich im Schnitt 150 000 Anträge für Schwerbehinderung eingehen. „Für uns steht im Vordergrund, die Anträge abzuarbeiten, damit die Leute ihre Möglichkeiten wahrnehmen können“, sagt er. Bei erfolgreicher Beantragung des Schwerbehindertenausweises werde direkt ein Paket mit zusätzlichen Hinweisen zu den Möglichkeiten mitgeliefert. „Besonders beliebt sind natürlich die Rollstuhlparkplätze, die sind aber wirklich für Rollstuhlfahrer und schwer gehbehinderte Menschen reserviert,“ betont Haase.
Wachsende Barrierefreiheit
Insgesamt habe sich die Lage für Menschen mit Schwerbehinderung schon verbessert. Walter Dammann vom Kreisbehindertenrat berichtet, dass man im alltäglichen Leben eine größere Rücksicht von Menschen ohne Behinderung erfahre. Auch die Möglichkeiten würden mittlerweile besser kommuniziert und von den Menschen wahrgenommen, so Dammann. „Es werden mehr Steuerermäßigungen und Ermäßigungen für die Kfz-Steuer beantragt,“ sagt er. Das Internet ist hier auch eine große Hilfe, die Darstellung von relevanten Informationen wird mittlerweile auf einem Niveau angeboten, das auch den digitalen Raum barrierefreundlicher macht. Konkretes Beispiel für eine wachsende Barrierefreiheit im realen Leben sei der Besuch im Supermarkt, wo man vermehrt auf breite Kassenzugänge für Rollstuhlfahrer treffe. "Die Verkäufer sind heute auch hilfsbereiter als noch vor zehn Jahren und helfen behinderten Menschen etwa beim Erreichen von Waren auf hohen Regalen", berichtet Dammann.
Doch Dammanns Arbeit ist noch nicht getan. So wünscht er sich mehr Ampeln mit Tonsignalen. „Und wer einmal spät aus Bremerhaven nach Osterholz-Scharmbeck gekommen ist, weiß, dass der Bahnhof dort ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Aufzug ist eigentlich ständig kaputt. Die Bahn handelt im Bereich der Barrierefreiheit fast gar nicht.“
Wer sich informieren möchte oder seine Möglichkeiten als Mensch mit Behinderung ergründen will, findet bei Walter Dammann Rat. Jeden ersten Dienstag im Monat bietet er freie Sprechstunden von 9 Uhr bis 12 Uhr im Kreishaus Osterholz-Scharmbeck an. Mitarbeiter des niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie bieten ebenfalls regelmäßige Sprechstunden an und beantworten Fragen.