Osterholz-Scharmbeck. Was in diesen Nächten in deutschen Gärten passiert, hat es bis in die britische Tageszeitung „The Guardian“ geschafft. Dort heißt es, lautes Schnaufen, Grunzen und gar Schreie hätten Anwohner derart aufgeschreckt, dass sie die Polizei riefen. Am Einsatzort eingetroffen, stellten die Beamten die Übeltäter: ein Igelweibchen, das heftig von einem Igelmännchen umworben wurde. „Bis Anfang September drehen sich die Igel-Karussells noch“, bestätigt Maja Langsdorff. So nennen Igel-Experten wie sie das Werben der Igelmännchen. Eine durchaus laute und lange Angelegenheit, bei der das Weibchen das sie umkreisende Männchen immer wieder schnaufend wegstößt, bis es dem Werben nachgibt.
Seit 2007 setzt sich Maja Langsdorff für Igel ein. Damals war sie in die Kreisstadt gezogen und sah ihren ersten Igel. „Diese Tiere gibt es seit Millionen von Jahren; sie haben alle möglichen Katastrophen überlebt, nur uns Menschen, überleben sie nicht“, sagt sie. Tatsächlich ist die Zahl der Igel in Deutschland stark rückläufig. In Sachsen-Anhalt und Bayern steht das Tier bereits auf der Vorwarnliste zur Roten Liste. „Prognosen gehen davon aus, dass Igel in 60 Jahren ausgestorben sind.“
Einer der Gründe: Igel sind Insektenfresser. Das Insektensterben wirkt sich direkt auf ihr Nahrungsangebot aus. „Früher hatten sie ein breites Angebot; es reichte von Regenwürmern und Schnecken bis zu Tausendfüßlern und allen möglichen Käfern“, erzählt Langsdorff. Dieser Mix habe dafür gesorgt, dass sie ein starkes Immunsystem hatten. „Das Chitin aus den Panzern der Laufkäfer wird in ihrem Körper zu Blausäure und die tötet viele der Innenparasiten ab, mit denen es Igel zu tun haben.“ Kein Chitin bedeutet, keine Blausäure und damit kein Schutz vor Parasiten. Wenn Igelschützer früher einen kranken Igel fanden, litt er meist unter einer einzigen Art von Innenparasit. „Heute sind es drei oder vier verschiedene gleichzeitig.“
Richtig Fahrt habe ihr Engagement 2013 aufgenommen: „In dem Herbst habe ich fast täglich einen untergewichtigen Igel gefunden.“ Durchbekommen habe sie damals nur einen. „Ich habe Fehler gemacht“, räumt sie unumwunden ein. Das passiere schnell. „Wenn Sie einen untergewichtigen aber ansonsten gesunden Igel zum Winterbeginn aufnehmen, bedeutet das für das Tier extremen Stress“, erklärt Langsdorff. Das aufgrund der einseitigen Ernährung (überwiegend Schnecken) eh schlechte Immunsystem gehe in die Knie, und die bis dahin unterdrückten Innenparasiten wie Lungen- und Darmwürmer vermehrten sich explosionsartig. „Plötzlich haben sie einen kranken Igel.“
Ein erster Hinweis darauf sei, dass er trotz Fütterns nicht zunehme. Leider helfe der Gang zum Tierarzt oft nicht. Standard Behandlungen, wie das im Nacken aufgetragene Spot-On gegen Flöhe, seien für Igel sogar gefährlich. Besonders Unterernährte und Kranke könnte dadurch sterben. „Der Igel gehört im Veterinärmedizin-Studium halt nicht zum Lehrplan“, nimmt Langsdorff die Tierärzte in Schutz. „Deshalb müssen sich Igelhelfer selbst auf die Behandlung von Igeln spezialisieren.“ Das hat Maja Langsdorff getan – mithilfe von dem Verein „Pro Igel“. Heute hält sie in ganz Deutschland Vorträge. So wird sie etwa vom Deutschen Tierschutzbund als Referentin eingeladen und gibt ihr Wissen bei Veranstaltungen für tiermedizinische Fachangestellte weiter. Aktuell schreibt sie ein Buch über den Igelschutz. Dazu ist sie kreuz und quer durch Deutschland gereist und hat mit Igel-Schützern gesprochen. „Ohne meinen Mann würde ich dieses Projekt nie schaffen.“ Noch schreibe sie. „Aber ich hoffe, Ende September fertig zu sein.“
Hilfe bietet Maja Langsdorff außerdem allen Menschen, die Igel schützen wollen, über ihr Igel-Notruftelefon an. „Ich erkläre den Leuten, wie sie einem Igel selbst helfen können; ich leite sie dabei Schritt für Schritt an.“ Sie ist überzeugt: Wenn die Last auf viele Schultern verteilt wird, hilft das allen. Und Maja Langsdorff wünscht sich Unterstützung: „Im vorigen Winter habe ich vormittags bis zu vier Stunden gebraucht, bis ich die Igel versorgt hatte.“ Selbst als sie die Tiere gesund gepflegt hatte, sei die Arbeit nicht vorbei gewesen. Auswildern konnte sie sie da kaum. Also bereitete sie ihnen ein kühles Winterquartier auf der Terrasse. „Von den acht Igeln, die ich hatte, sind aber nur drei richtig in Winterschlaf gefallen.“ Sie lacht. „Alles Mädels.“ Die fünf Männchen seien immer mal wach geworden und rumgelaufen, hätten Dreck gemacht und gefressen. Diese kurierten, aber mitunter ruhelosen Igel, würde Langsdorff gern an Helfer abgeben: „Ich würde ihnen natürlich mit Tipps zur Seite stehen.“

Die Autorin hat schon so manchen Igel aufgepäppelt.
Im Augenblick, so könnten Laien angesichts der Jahreszeit glauben, brauchen Igel keine Hilfe. Für sie ist der Tisch jetzt gedeckt und bis es kalt wird, bleibt ihnen Zeit, um auf die nötigen 500 bis 550 Gramm Körpergewicht zu kommen. Das Futter dafür sollten sie als nachtaktive Jäger selbst in heißen, trockenen Sommern finden. Langsdorff widerspricht. „Igel fressen Nachtfalter und andere Insekten, die nachts unterwegs sind.“ Aber deren Raupen, Larven und Maden seien tagaktiv und ernährten sie sich von Pflanzen, die in der Hitze vertrockneten.
Kurzum, die Igel haben es schwer. „Ich stelle ihnen deshalb das ganze Jahr über Futter hin.“ In dem Punkt vertrete sie eine andere Haltung als Pro Igel. Langsdorff ist überzeugt, dass jeder Igel, der das nötige Winterschlaf-Gewicht in Freiheit erreicht, eine bessere Überlebenschance hat, als Igel, die zum Überwintern aufgenommen werden. Spätestens ab September, so wirbt sie, sollte Futter hingestellt werden: Nassfutter für Katzen mit einem hohen Geflügelfleischanteil vermischt mit ungewürztem Rührei, wenigen Haferflocken und ein paar Tropfen Maiskeimöl. „Ich stelle das Futter unter eine Holzpalette, die ich mit Dachpappe abdecke“, erklärt sie. Eine Art Schwingtür aus Kunststoff versperrt den Zugang. Igel ließen sich davon nicht aufhalten; sie marschierten einfach zum Futter durch. „Aber Ratten mögen das nicht“, ist ihre Erfahrung.
„Uns alle bewegt doch, wie es dem Igel geht.“ Davon ist Maja Langsdorff überzeugt. Sie wirbt deshalb für Gärten mit Blumenwiesen, Totholz- und Laubhaufen, unordentlichen Ecken, Hecken aus heimischen Pflanzen und Zäunen, die Igel durchlassen. „Es sollte immer Wasser für die Tiere hingestellt werden.“ Gartenteiche sollten flache Ufer haben, damit Igel nicht ertrinken. Und Langsdorff mahnt zum vorsichtigen Umgang mit Rasenmäher und Kantenschneider. Ausdrücklich warnt sie vor Mährobotern und Giften. Wer all das beherzigt, hat gute Chancen, das Igel-Karussell selbst zu erleben.
Die Notrufnummer für Igel-Helfer lautet 0 15 77 / 1 25 13 73 (www.maja-langsdorff.de).