Ungefähr zu dieser Zeit im Jahr pilgern normalerweise Spielzeughändler aus der ganzen Welt nach Nürnberg. Auf der größten internationalen Spielwarenmesse suchen sie nach Neuheiten für die Kinderzimmer, bestellen frühzeitig Ware für Weihnachten und pflegen Kontakte. Auch Imke Fleischer, Inhaberin des gleichnamigen Kaufhauses und Spielwarengeschäfts in Osterholz-Scharmbeck, hätte sich wieder auf den Weg nach Süden begeben. Normalerweise. Die Messe in Nürnberg wurde in diesem Jahr coronabedingt auf den Sommer verschoben. Ob eine solche Massenveranstaltung dann stattfinden kann? Für Fleischer ist das zumindest fraglich. Große Hoffnungen mache sie sich nicht. Ohnehin erlebt die 34-Jährige gerade eine Phase, die es in dem Traditionsgeschäft so wahrscheinlich noch nicht gegeben hat.
Sicherlich, sagt Fleischer, verkaufe sie auch in dieser Zeit Spielzeug. „Aber das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Und ja: Die Abholstation an der Eingangstür sei besser als nichts – eine Option, die es für die Kunden bei der ersten Schließung im Frühjahr nicht gegeben habe. „Nur ist das natürlich nicht das, wofür wir stehen“, sagt sie. „Die Leute kommen ja auch spontan zum Stöbern, suchen nach Inspiration. Das macht ein Spielwarengeschäft aus.“ Diese Besonderheit lasse sich unmöglich digital ersetzen. Mehr als 200.000 Artikel führe das Kaufhaus – viel zu viele, um sie alle in einem Online-Shop aufzulisten. Fleischer bewirbt deshalb vor allem neue Produkte bei Facebook; einen Ebay-Shop bietet das Geschäft schon seit einigen Jahren an.
Die Rückkehr des Puzzles
Und irgendwie gehe es dann ja doch. Einigermaßen. Vieles habe sich eingependelt. Die großen Hersteller böten mittlerweile digitale Messen an, Neuheiten würden in Videos vorgestellt. „Sie bemühen sich auf jeden Fall, das muss man schon sagen“, sagt Imke Fleischer. „Aber es fehlt die Möglichkeit, selbst auf die Suche nach Produkten zu gehen.“ Die Corona-Pandemie habe übrigens nicht nur den Verkauf verändert, sondern auch neue Spieletrends gesetzt. Geduldsspiele stünden aktuell hoch im Kurs. „Die passen gut zum Lockdown und sind auch bei Erwachsenen sehr beliebt“, meint Fleischer. Überhaupt sei erkennbar, dass Gesellschaftsspiele in allen Altersklassen begehrter würden. Dabei müssten es gar nicht die ausgeklügelten Neuheiten sein – auch Klassiker wie Monopoly oder Die Siedler von Catan erlebten ein Revival. „Und Puzzles“, ergänzt Fleischer. „Erwachsene in meinem Alter, Anfang 30, rufen an und fragen nach einem 1000-Teile-Puzzle.“
Auch bei den Kindern gebe es bestimmte Klassiker, die nie an Beliebtheit verloren hätten beziehungsweise immer wieder zurückkehren würden: Pokémonkarten, Fußball-Sammelbilder oder Beyblades (Kreisel zum Kämpfen). Vorhersehbar seien die Trends in dieser Altersgruppe aber nicht wirklich. „Letztendlich entscheiden die Kinder selbst, was ihnen gefällt“, sagt Fleischer. Und das passiere vor allem auf den Schulhöfen und in den Kindergärten – seit jeher Orte, an denen der Tauschhandel etabliert ist, und die in den vergangenen Monaten coronabedingt oft spärlich besucht waren.
Nur eingeschränkte Möglichkeiten zum Sammeln und Tauschen also. Homeschooling, eine Herausforderung auch für Spielwarenhändler? Ja, das könne man schon so sagen, findet Imke Fleischer. Aktuell gelte umso mehr: „Ich muss ein gutes Gespür dafür haben, was funktionieren kann.“ Es komme selten vor, aber auch sie habe schon mal richtig danebengelegen, sagt Fleischer. Weil die Ware häufig in Asien produziert werde, bestelle sie in der Regel größere Mengen. Da sei es dann natürlich ungünstig, wenn die Spielzeuge später keine Abnehmer fänden und die Regale verstopften.
Momentan allerdings sei eher das Gegenteil der Fall. „Es kommt zu wenig Ware“, sagt Fleischer. Die Container, mit denen das Spielzeug nach Europa kommt, würden für andere Waren benötigt. Engpässe seien an der Tagesordnung. Auch die Kapazitäten bei der Produktion seien zwischenzeitlich eingeschränkt gewesen. „Das haben wir im Weihnachtsgeschäft zu spüren bekommen.“ Ohnehin seien die zwei wichtigsten Wochen im Jahr durch den Lockdown größtenteils verloren gegangen. „Das lässt sich auch nicht mehr aufholen, keine Chance.“ Für sie sei es eine frustrierende Situation. Die Menschen verbringen viel Zeit zu Hause, suchen Beschäftigung. Eigentlich ideale Voraussetzungen für ein Spielwarengeschäft. Aber die Ware liegt hinter verschlossenen Türen, potenziell zugänglich, aber aktuell muss das Spielzeug zu den Menschen kommen. Fleischer will es wieder andersrum haben.
Spielzeuge im Internet verkaufen, ohne Kundenkontakt: zwar möglich, aber einfach nicht das Metier ihres Traditionsgeschäfts, meint die Inhaberin. Also hofft sie, wie so viele Geschäftsleute, dass die Türen bald öffnen dürfen. Auch ihre Kunden würde das wohl freuen, vor allem die jüngsten. Fleischer erzählt: „Wir kriegen regelmäßig Anrufe von Kindern, die fragen, wann sie endlich wieder in den Laden kommen dürfen.“
Eingeschränkter Optimismus
Die Deutsche Spielwarenindustrie rechnet für 2021 mit einem Umsatzplus von neun Prozent – der Optimismus gilt jedoch nur eingeschränkt. Kopfzerbrechen bereiten der Branche vor allem die Ladengeschäfte, die durch den erneuten Lockdown in existenzielle Nöte geraten könnten. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie unter seinen Mitgliedern durchgeführt hat. Große Hersteller profitierten demnach vom Online-Boom, kleinere Produzenten seien viel stärker auf die Präsenz in den Läden angewiesen.