Es war eine Postkarte, die 15 Bundesfreiwilligendienstlern jüngst eine besondere Fahrt nach Berlin beschert hat. Im Frühjahr 2024 lag sie auf einem Tisch im Verwaltungsgebäude des Bildungszentrums Ritterhude und warb für den Jugendwettbewerb "denkt@g" der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das Thema: Erinnern, Hinschauen, Verändern – Licht in dunkler Zeit. Die 17- bis 21-Jährigen bewarben sich sofort. Denn sie arbeiteten bereits an einem Projekt, das perfekt passte: ein Instagram-Auftritt samt Podcasts über ihre Gedenkstättenfahrt mit dem Bildungszentrum ins jüdische Viertel nach Straßburg inklusive Besuch des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof.

Mit dem Instagram-Account ”weg.zu.gedenken” hat eine Gruppe von Bundesfreiwilligendienstlern (2023/24) die Juroren in Berlin überzeugt.
"Bei einem Dienst von zwölf Monaten gehören 25 Seminartage als pädagogische Begleitung verpflichtend zum Bundesfreiwilligendienst dazu", sagt der Leiter des Bildungszentrums Ritterhude, Steffen Bandlow-Raffalski. Die Gedenkstättenfahrt sei ein spezielles Angebot innerhalb des politischen Bildungsseminars für Bufdis, die sich für dieses Thema besonders interessierten, ergänzt seine Kollegin Silke Schumacher-Lange. Im Anschluss finde stets ein Reflexionsseminar statt, in dem das Erlebte reflektiert werde. Aber wie das gestaltet wird, liege bei den Bufdis.
"Wichtiges Thema"
Die 15 jungen Leute, die mit Silke Schumacher-Lange im Frühjahr 2024 nach Straßburg fuhren, entschieden sich, die Fahrt und alles, was mit ihr zu tun hat, in Bildern, Texten und Audio-Aufnahmen festzuhalten. Nicht nur für sich selbst. Nicht nur für das Reflexionsseminar: "Wir fanden das Thema wichtig und wollten es auch in unseren Freundeskreis tragen", sagt Moritz Rauch, einer der 15 Teilnehmer der 2024er-Fahrt. Da jeder von ihnen – und all ihre Bekannten – eigene Instagram-Kanäle hatten, ihnen der Umgang damit vertraut war und bereits eine frühere Gruppe einen Podcast für das Reflexionsseminar erarbeitet hatte, entschieden sie sich für eine Kombination: "weg.zu.gedenken" haben sie diesen Account genannt.
"Instagram hat heutzutage jeder", meint Moritz Rauch. Das mache ihre Dokumentation zu einem niederschwelligen Angebot. Für viele Menschen sei es mit einem Klick zu erreichen. Dass das funktioniert, bestätigten ihnen Freunde und Bekannte, sobald ihr Instagram-Account online ging.
Große Motivation
"In dieser Gruppe von Bundesfreiwilligendienstlern war die Motivation sehr groß, das Erlebte weiterzugeben", bestätigt Silke Schumacher-Lange. Entsprechend intensiv hätten die 17- bis 21-Jährigen an den Beiträgen für den Instagram-Account gearbeitet. "Diese Motivation ging deutlich über das Seminar hinaus", sagt sie. 3,5 bis vier Wochen hätten die Jugendlichen täglich von 9 bis 16 Uhr an dem Projekt gesessen. Plus der unzähligen Stunden, die sie bis in die Abende hinein daran arbeiteten. Die Aufgaben hatten sie vor Antritt der Fahrt je nach Wissen, Können und Interesse verteilt, sagt Moritz Rauch: "Alle kannten sich mit Instagram aus; zwei von uns wussten, wie man Videos dreht und bearbeitet; einer fotografiert gut." Wieder andere seien Computer-Experten. Moritz Rauch selbst betextete Beiträge. Wieder andere sprachen Texte ein. "Den Kopierraum hatten sie zum Tonstudio umgewandelt", erzählt Schumacher-Lange.
Stunde für Stunde, Tag für Tag ist so ein Instagram-Beitrag mit Kurz-Videos und Podcasts entstanden, der über die 1000-jährige Geschichte des Judentums berichtet. Er geht auf die Geschichte des Antisemitismus ein, auf den Holocaust und zeigt das jüdische Leben heute. Und er lässt die jungen Bufdis mit ihren Gedanken und Gefühlen dazu, zu Wort kommen.
Darauf angesprochen sagt Moritz Rauch, ihn habe der Besuch des KZ Natzweiler-Struthof besonders bewegt. Einiges von dem ursprünglichen KZ-Lager sei erhalten. Zum ersten Mal habe er in einer Gaskammer, einem Krematorium gestanden. "So etwas habe ich noch nie selbst gesehen; das war intensiv", sagt er.
Erlebtes gemeinsam verarbeitet
"Wir haben jeden Abend zusammengesessen und Formen gefunden, um dem Erlebten Raum zu geben", berichtet Silke Schumacher-Lange. Wichtig sei ihr auch, dass sie den sechs Kilometer langen Weg zum Konzentrationslager zu Fuß zurücklegen. Dabei könne darüber geredet werden, was sie im Lager erwarte beziehungsweise, was das Gesehene mit ihnen macht.
Der Besuch des jüdischen Viertels zusammen mit einem jüdischen Gästeführer, sei ebenfalls etwas Besonderes für ihn gewesen, sagt Moritz Rauch. Er habe davor nie einen Juden getroffen. In seinem ganzen Bekanntenkreis gebe es keinen. Silke Schumacher-Lange, die als Dozentin und Organisatorin der Gedenkstättenfahrt zum wiederholten Mal in Straßburg war, bedrückt allerdings, dass der Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel und alles, was daraufhin passiert ist, seine Spuren hinterlassen hat. Der Antisemitismus sei stärker geworden. Das habe ihnen auch der Gästeführer erzählt, nickt Rauch.
Während der Arbeit an dem Account tauchte besagte Karte der Konrad-Adenauer-Stiftung im Bildungszentrum auf und "weg.zu.gedenken" wurde zum Wettbewerbsbeitrag. Als Monate später die Einladung nach Berlin eintrudelte, war die Freude groß. Dass die Juroren von ihrem Online-Auftritt beeindruckt waren, ahnten sie nicht. Dass sie ihnen gar den zweiten Platz zusprachen, habe sie alle überraschte, sagt Rauch. Die 2000 Euro Preisgeld spendet die Gruppe. Je zur Hälfte geht es an den Trägerverein der Synagoge Schirmeck sowie an Cura, ein Opferfonds für Opfer rechter Gewalt.