Ritterhude. Detlef Torner ist an diesem Vormittag unentbehrlich – nicht nur für die Kunden von Zweirad Kliem, wo er arbeitet. Auch für mich. Denn Detlef Torner muss mir erklären, wie das Lastenfahrrad funktioniert, das ich testen will. An- und Ausschalter, Gangschaltung, Bremse: Nicht alles ist Neuland für mich. Bis auf den zuschaltbaren Akku. Denn das Lastenfahrrad, das sich Interessenten seit Anfang März bei Zweirad Kliem ausleihen können, ist ein E-Bike. Ich gebe zu, dass ich bislang noch nie mit solch einem Rad gefahren bin. Allein schon deshalb ist der Test eine Herausforderung für mich.
Tatsächlich beginnt der Selbstversuch bereits ein paar Tage vorher. Bei Kliem ist das Rad untergestellt, beziehungsweise es ist der Start- und Zielpunkt. Die Buchung selbst erfolgt über den Ritterhuder Verein „Hu’e Mobil“. Ich schreibe zwecks Registrierung eine E-Mail und bekomme einen Zugang zur Onlineplattform. Das funktioniert auch für Nicht-Vereinsmitglieder unkompliziert, und so ist mein Termin innerhalb von wenigen Minuten gebucht.
Der Verein „Hu'e Mobil“ ist ein Angebot zum lokalen Car-Sharing. Da macht es Sinn, nicht nur ein Auto, sondern auch das E-Lastenfahrrad auf diesem Weg anzubieten – wenn auch erst einmal nur bis Ende August. Bis dann läuft die Aktion der Metropolregion Nordwest, die laut Geschäftsführerin Nicola Illing ein „Impuls zur Umsetzung für die Verkehrswende“ sein soll. Insgesamt 16 E-Lastenräder werden über den Förderfonds der Länder Bremen und Niedersachsen bezahlt.
Nachdem Detlef Torner mich in die Technik eingewiesen hat, geht es los. Auf den ersten Metern frage ich mich: Geht das gut? Das E-Bike ist nämlich ein Dreirad: zwei Räder mit Beförderungs- und Transportkiste vorne, ein Rad hinten. Schnell wird mir klar, dass ich dieses Fahrzeug anders handhaben muss als mein altes Fahrrad. Ich rolle bei Kliem vom Hof und merke: Ui, durch die Konstruktion gleicht der Wendekreis dem eines Kleinwagens. Hinten macht das Lastenrad konstruktionsbedingt einen instabilen Eindruck. Das sei durchaus gewöhnungsbedürftig, werde ich später zu hören bekommen.
Lektion: Sichtbarkeit
Ich schwenke vorsichtig nach rechts in die Beekstraße, dann gleich auf die Riesstraße ein. Vor dem Hamme-Forum signalisiere ich den Autofahrern, dass ich links abbiegen will. Nach dem Handling lerne ich, was das betrifft, eine zweite Lektion: „Besorge dir eine Warnweste und einen auffälligen Überzug für deinen Helm.“ Damit ich im Verkehr auffalle. Da ich vor den vorbeirollenden Blechlawinen Respekt habe, warte ich mit dem Abbiegen, bis ausreichend Abstand zwischen den Autos ist. Auf der Riesstraße geht es am Rathaus vorbei. Vor dem Haupteingang lässt sich ein Hochzeitspaar fotografieren. Aber das nehme ich nur, aus den Augenwinkeln war. Ich konzentriere mich auf den Verkehr.
Jetzt, auf der zwar belebten, aber ansonsten recht geraden Riesstraße, kann das E-Bike seine Vorteile voll ausspielen: Mit dem Akku auf der höchsten Stufe 4 und im sechsten Gang kann ich locker im fließenden Verkehr mithalten. Ein für mich völlig neues Tretgefühl! Überholen und mich dadurch gefährden kann mich auch kein Autofahrer, denn durch den Beförderungs- und Transportkasten nehme ich etwa so viel Platz ein, wie ein Kleinwagen – nur dass ich eben viel umweltfreundlicher fahre. Der eine oder andere Passant schaut mir nach. Ein bisschen komme ich mir vor, wie E.T. der Außerirdische: Scheinbar haben die Menschen hier noch nie ein Lasten-E-Bike gesehen.
Der Fahrspaß auf gerader Strecke ist unbestritten. Aber nun interessiert mich, wie sich das Lasten-E-Bike auf Kopfsteinpflaster und bergauf verhält. Die Windmühlenstraße ist das richtige Terrain: Mit meinem kaputten Knie würde ich mit einem konventionellen Drahtesel nur schwerlich die Straße bis zur Mühle und zum Friedhof hinauf kommen. Da hat das E-Bike echte Vorteile, denn im ersten Gang und mit Unterstützung des Akkubetriebs näher ich mich bequem meinem Ziel. Ein Spaziergänger schaut mir lächelnd bei meinem Experiment zu.
Bis dahin hat das E-Bike seine Probe bestanden. Also geht es die Windmühlenstraße zurück. Aber diesmal abwärts, und bei dem Gefälle muss ich ordentlich bremsen. Jetzt zeigt sich, wie gut die verbauten Öldruckbremsen funktionieren. Als mir das Tempo zu schnell wird, lege ich eine Vollbremsung hin, die ihren Namen wirklich verdient. An der Einmündung zur Riesstraße entscheide ich mich, nach rechts abzubiegen – ich möchte dem E-Bike einen weiteren Kopfsteinpflaster-Test auf der Bahnhofstraße unterziehen.
Abbiegen im Bogen
Beim Abbiegen bemerke ich allerdings einen Nachteil dieser Dreirad-Konstruktion: Die Hochpflasterung der Bahnhofstraße lässt das E-Bike verdächtig nach links kippen. Ich bekomme einen Schreck, mache eine Vollbremsung und nehme einen neuen Anlauf. Die nächste Lektion: Wer abbiegen möchte, sollte einen leichten Bogen fahren. Ich lege also den ersten Gang rein, schalte den Akku auf Stufe 2 und unternehme einen neuen Versuch. Diesmal mit Erfolg.
Ich erklimme die Steigung zum Ritterhuder Bahnhof. Gerade läuft die RS 2 nach Bremerhaven ein. Zwei junge Frauen schauen mir interessiert nach. Auf einem der Parkplätze stelle ich das E-Bike ab und ziehe ein erstes Fazit: Das Angebot eines E-Bike- beziehungsweise Lastenfahrrad-Sharings ist eine echte Alternative zum eigenen Auto, auch auf dem Land und in Gemeinden wie Ritterhude. Zusammen mit Carsharing und dem Bürgerbus kann die Verkehrswende, die in aller Munde ist, gelingen.
Noch nicht rumgesprochen
Das findet auch André Hilbers. Er ist als Kassenwart des Vereins Hu’e Mobil unter anderem für die Registrierung und Buchung in Sachen Lastenfahrrad zuständig. Hilbers wünscht sich für die Zukunft mehr Zuspruch – bislang hätten sich lediglich fünf Nicht-Mitglieder des Vereins registriert, um das Lasten-E-Bike zu nutzen. Leider habe auch „Hu’e Mobil“ nur durch Zufall vom Angebot erfahren und dann schnell zugegriffen.
Eigentlich sollte das Lastenrad seinen Standort in der Ritterhuder Schweiz haben, aber das habe sich als wenig praktikabel erwiesen, deshalb sei die Entscheidung für Kliem gefallen. Hilbers räumt ein, dass der Standort für die Nutzer nicht ideal ist, „aber es ist ja erst einmal ein Testballon, und es macht wenig Sinn, erst mit dem Auto zum Lastenfahrrad zu fahren.“ Hilbers weiß: Solle das E-Bike-Sharing erfolgreich sein, müssten mehrere Standorte her. Dies gelte gerade für die weiter entfernten Ortsteile wie Ihlpohl, Platjenwerbe und Lesumstotel.
Schmale Radwege
Ich mache mich wieder auf den Weg. An der Ritterhuder Schleuse habe ich mich mit meinem Kollegen Christian Kosak fürs Foto zum Artikel verabredet. Zwei Mitarbeitende des Ritterhuder Bauhofs beobachten uns von ihrem Auto aus vergnügt. Anschließend radele ich über den Großen Geeren zur Stader Landstraße. Dort ist so viel Verkehr, dass ich mich auf meinem Gefährt extrem unwohl fühle. Ich sehe zu, dass ich auf den irre schmalen Fahrradweg komme. „Hoffentlich kommt mir niemand entgegen“, denke ich. Aber nichts dergleichen geschieht.
Über Schillerstraße und An der Untermühle geht es zurück. Meine Buchungszeit von zwei Stunden ist allerdings noch nicht abgelaufen – Zeit für einen Abstecher über die Kiepelbergstraße bis zur Landesgrenze. Die Anwohner grüßen mich freundlich. Bevor ich hinter dem Ortsausgangsschild wende, stoppe ich kurz, um einen Blick auf das ehemalige Bergolin-Gelände zu werfen. Dort wo es vor wenigen Jahren brannte und ein Mensch ums Leben kam, wird jetzt emsig gebaut.
Persönliches Fazit
Mein Fazit nach zwei Stunden Erprobungstour durch Ritterhude: Die Idee, ein Lastenfahrrad anzubieten, ist gut. Ein erster Schritt in Richtung Verkehrswende dürfte damit gemacht sein. Sicherlich ist es nicht jedermanns Sache ein Dreirad zu fahren, da es sich nur mit einiger Übung wirklich sicher fahren lässt. Vor allem das instabile Heck ist nicht wirklich meines. Aber das dürfte eine Sache des Trainings sein.