Am Strand von Harriersand sind am kommenden Sonnabend Detektive unterwegs. Im Visier haben sie Plastikmüll. Genauer gesagt kleine Plastikteilchen, die als Verschmutzung aus dem Fluss ans Ufer geschwemmt werden. Die Ortsgruppe Schwanewede im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sammelt als "Mikroplastikdetektive" Proben für ein gleichnamiges Projekt des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven.
Vor Ort sein wird auch Bruno Walther. Der promovierte Zoologe hat das AWI-Projekt zusammen mit seiner Kollegin, der Meeresbiologin Melanie Bergmann, ins Leben gerufen. Sie wollen erforschen, wie stark die deutschen Küsten mit Mikroplastik verschmutzt sind. Großer Plastikmüll werde an deutschen Stränden schon seit Jahrzehnten erfasst, "kleinere Müllteilchen aber bisher nicht", heißt es in einer Information zum Projekt. Das Pilotprojekt ist noch in einer weiteren Hinsicht besonders: Bürgerinnen und Bürger können bei der Spurensuche nach den kleinsten Plastikteilchen mithelfen. Bruno Walther spricht von einem "Bürgerwissenschaftler-Projekt", das in dieser Form neu sei. Mithilfe der Bürgerbeteiligung könne die gesamte norddeutsche Küste abgedeckt werden.
Aufgrund "vieler Anfragen" seien neben den Sandstränden an Nord- und Ostsee auch die Weser bis nach Bremen und die Elbe bis nach Hamburg ins Untersuchungsgebiet einbezogen worden. Auf Harriersand wird die BUND-Ortsgruppe Schwanewede gemeinsam mit Bruno Walther Proben nehmen. Gesammelt werden fünf bis und 25 Millimeter große Plastikteilchen (Mesoplastik) und ein bis fünf Millimeter große Müllpartikel (größere Mikroplastik). Die Sammelwerkzeuge stellt das Alfred-Wegener-Institut, dort ist auch besondere Methode für die Probennahme entwickelt worden. Die Proben vom Harriersand werden später im AWI-Labor in Bremerhaven untersucht.
Das Projekt "Mikroplastikdetektive" ist im September 2021 gestartet und läuft bis November 2022. Neben Umweltverbänden wie dem BUND und dem Naturschutzbund Deutschland sind laut Bruno Walther unter anderem Studentengruppen, Schulen, Vereine und der Lions Club dabei. "Wir haben bislang von 60 bis 70 verschiedenen Standorten Proben bekommen", zieht er eine Zwischenbilanz. Pro Standort seien mindestens 20 unabhängige Proben erforderlich, um relativ verlässliche Aussagen zur Belastung des Standortes machen zu können.
Von den vorliegenden Proben seien bisher 70 bis 80 Prozent im Labor untersucht worden. Die ersten Auswertungen zeigen laut Bruno Walther: "Wir haben an allen Standorten Meso- und Mikroplastik, aber in sehr unterschiedlicher Verteilung. Es gibt Standorte, die sehr stark und andere, die kaum verschmutzt sind." Die meisten aufgefunden kleinen Plastikteilchen stammten aus Verpackungsmüll. "In den Proben sind aber auch viele andere Plastikarten zu finden."
Die endgültige Projektauswertung einschließlich der Ergebnisse der Probennahme auf Harriersand soll Walther zufolge spätestens im Frühjahr 2023 vorliegen. Die gesammelten Proben sollen in eine Datenbank eingegeben werden, die der Öffentlichkeit und anderen Wissenschaftlern zugänglich sein soll. Die im Rahmen des Projektes erhobenen Daten sollen zudem Grundlage für weitere Forschungen sein. Eine weiterführende Frage könne etwa sein, warum bestimmte Bereiche eine hohe Belastung mit Mikroplastik aufweisen.
Die Auswirkungen von kleinsten Plastikteilchen auf marine Pflanzen, Tiere und Ökosysteme sei ein wachsender Forschungsbereich, heißt es in der AWI-Projektinformation. "Trotzdem gibt es noch keinen eindeutigen Konsensus, was die negativen Auswirkungen betrifft." Einige schädliche Folgen seien aber dokumentiert. So könnten kleine Plastikteilchen bei mittelgroßen Tieren wie etwa Seevögeln die Verdauungsorgane verstopfen. Bruno Walther bringt den bisherigen Forschungsstand so auf den Punkt: "Viele Studien sehen Effekte, andere sehen nur geringe oder keine."
Das Problem der Plastikverschmutzung sei aber auf jeden Fall ein "weiterer Stressfaktor". Klimawandel, Überfischung, Belastung durch Pestizide und Düngemittel oder die Zerstörung von Lebensraum durch küstennahe Bebauung würden Nord- und Ostsee schon heute zusetzen. "Die Plastikverschmutzung kommt da noch obendrauf. Unsere Ökosysteme werden die multiplen Stressfaktoren irgendwann nicht mehr aushalten." Die Konsequenz muss laut Walther heißen, Plastikmüll zu vermeiden und die Plastikproduktion einzuschränken.