Worpswede. „Die Gans ist das dümmste Tier, denn sie frisst nur so lange, als sie etwas findet.“ Diesem Ausspruch von Johann August Galetti, im späten 18. Jahrhundert Gymnasialprofessor in Gotha und bekannt durch die Sammlung seiner Kathederblüten, ist einiges hinzufügen, wie die gut 70 Zuschauer in der Premiere von „De Goos, de toveel weet“, einem Stück von Helmut Schmidt, gespielt von der Theotergruppe von’n Heimatvereen Nee St. Jürgen unter Regie von Edeltraut Becker und Sonja Hollmann, jetzt wissen: Es gibt auch kluge Gänse – zwar auch zweibeinig, aber ohne Flügel, dafür mit gewitztem Köpfchen.
Bis eine dieser Spezies auftritt, haben Bio-Gänsezüchter Karl-Heinz Stolle (Gerhard Schröder, der sein komödiantisches Talent wieder voll auslebt) und sein Bruder Ludger (Jens Peper) aber genug Zeit, um sich kräftig zu streiten. Nach dem Tod der Eltern funktioniert die Männerwirtschaft nicht gut, wie die schief hängende Wanduhr und die ollen Plünnen auf der Kommode in der Essdiele zeigen. Ludger hat genug von Dosenfutter: „‘Ne Huushöllersche mutt her!“ Er hat auch schon eine engagiert. Aber wenn sie Sperenzchen macht, kann sie gleich wieder gehen, meint Karl-Heinz.
Lisbeth, ein wahrer Besen
Vorerst erscheint aber Nachbarin Lisbeth Kück (Susanne Wendelken), ein wahrer Besen und deshalb mit Riecher für Unsauberes. Karl-Heinz hat da nämlich ein kleines, aber nicht feines Geheimnis, deshalb wachsen seine Bio-Gänse auch so gut. Nur Lisbeth weiß davon, aber sie verrät nichts. Das kostet Karl-Heinz nur 50 Euro im Monat.
Lisbeth rauscht ab, Ludger kommt mit Traute (Antje Peper), Studentin der Tiermedizin und angehende Haushaltshilfe – aber nicht mehr als drei Stunden am Tag, „un kümmern Se sick nich üm Soken, de Se nix angeiht“. Es dürften schon freundlichere Einstellungsgespräche stattgefunden haben. Und was heißt „nix angeiht“? Leider plappert Karl-Heinz selbst aus, dass in der Kommode Medikamente für die Gänse stehen. Das interessiert eine Tiermedizin-Studentin natürlich sehr. Aber jetzt verschwindet sie erstmal in der Küche.
Minutenlanger Monolog
Noch eine Nachbarin macht den beiden Einsiedlern das Leben schwer. Viktoria Müllerschmidt (Stefanie Walendzik) mit fürchterlichen roten Schleifen in den Zöpfen stürzt aufgeregt herein: „De Göös sind utbroken!“ Das ist aber nicht der einzige Grund ihres Kommens, sie ist auf der Balz – Ludger lässt das leider ziemlich kalt, und jetzt sind die Gänse wichtiger (die geflügelten).
Das ist gut für Traute, sie findet sofort die Dose mit den teuren Medikamenten: Clenbuterol. Östrogene in einem Biobetrieb? Ihre Mutter (Silvia Pape), die empört angestiefelt kommt, interessiert das weniger. Wie kann ihre Tochter, Kind eines leitenden Bankangestellten, sich bloß in so einem Haushalt verdingen? Silvia Pape legt einen minutenlangen Monolog hin, fast ohne Luft zu holen. Das honoriert das Publikum mit Szenenapplaus, Töchterchen ist weniger beeindruckt.
Blut auf der Stirn
Jetzt trifft sich die ganze Gesellschaft außer Lisbeth in der Diele, Ludger und Karl-Heinz schleppen Herrn Pastor herein (Schützenhof-Wirt Jürgen Bohling, der zum ersten Mal auf seiner eigenen Bühne auftritt), mit Blut auf der Stirn, aber sonst ganz ungewöhnlich vergnügt, als er wieder halbwegs zur Besinnung kommt. An zu viel Messwein liegt es nicht, da war Härteres im Spiel. Aber dann sollte man nicht mit seinem Auto in eine ausgerissene Schar Gänse geraten.
Zweiter Akt, eine Woche später: Die Wanduhr hängt gerade und ist sogar aufgezogen, die Aktenordner auf der Kommode stehen in Reih und Glied, aber sonst gerät einiges in Unordnung. Karl-Heinz scheint ein wenig high. Ecstasy? Speed? Nur etwas Clenbuterol, das Traute ihm ins Essen gemischt hat. Jetzt fängt er auch noch an zu singen, sackt plötzlich auf einem Stuhl zusammen und wird ins Bettchen gebracht.
Unschuld vom Lande
Auch im Kopf und in der Gefühlswelt von Nachbarin Viktoria ist einiges durcheinandergeraten. Da muss der Pastor geistigen Beistand leisten oder eher Nachhilfe in Biologie – das ist anscheinend manchmal sogar bei schwer verliebten 26-Jährigen nötig. „Seid fruchtbar und mehret euch.“ Eine Fruchtbar, das ist bestimmt ein besonderer Tresen für Gäste, die noch Auto fahren müssen? Selbst der fromme Kirchenmann ist über so viel Naivität erschüttert – bei dieser Unschuld vom Lande hat der Autor ein wenig dick aufgetragen.
Traute hat andere Sorgen, zu ihrer Erleichterung weiß Ludger nichts von den Machenschaften seines Bruders, und Lisbeth hat von dem Clenbuterol, das sie ohne zu fragen aus der Küche mitgenommen hat, weil sie die Gewohnheit hat, sich von Karl-Heinz Mehl zu leihen, auch die Nase und sonst noch einiges voll – Susanne Wendelken legt einen Tanz aufs Parkett wie ein Roboter mit Wackelkontakt. Irgendwie wird alles gut, Ludger freut sich schon aufs Schützenfest, denn Traute kommt mit, und was macht Viktoria, nachdem sie vom Pastor erfahren hat, dass Männlein und Weiblein ein wenig verschieden aussehen?
Die Theatergruppe Neu. St. Jürgen spielt die Komödie über Gänsezüchter am 27. März sowie am 2., 3., 10., 14. und 30. April um 19.30 Uhr sowie mit Kaffee und Kuchen am 9. und 24. April um 15 Uhr. Karten unter Telefon 04794/209 (13 bis 17 Uhr) und 04792/40 23 (17 bis 19 Uhr).