Worpswede. Frisch ist es an diesem Dezembermorgen am Feuerwehrhaus in Waakhausen. Der Wind fegt über die flachen Wiesen, am Horizont laufen ein paar Rehe ihres Weges. Die Worpsweder Ortschaft, lang gezogen über mehrere Kilometer die Hamme hinab, ist ohne Frage idyllisch. Sie ist geprägt vom Moor und von diesem typischen norddeutschen Charme, der immer etwas Raues hat. Ein bisschen so ist auch Ortsvorsteher Wolfgang Wedelich. Er hat diesen Ort für ein Gespräch vorgeschlagen. Irgendwo hinsetzen – auf einen wärmenden Kaffee vielleicht – ist eben gerade nicht möglich. Nicht mal das kleine Feuerwehrhäuschen darf er für Besuch öffnen – Corona und die Bestimmungen wollen es so.
Auch ohne Pandemie wäre es schwierig, einen Treffpunkt in Waakhausen zu finden. Es gibt noch die Gaststätte Dreyer, ansonsten aber war es häufig der Jägertreff am Schießstand, in dem sich das soziale Miteinander der Waakhauser abspielte. Der hat den Betrieb eingestellt, seitdem erst gar nicht und dann wieder nur ein wenig auf der Anlage geschossen wird. Die Auseinandersetzungen um den Stand haben hohe Wellen geschlagen, die Parteien sind allzu oft unversöhnlich und hart miteinander ins Gericht gegangen.
„Miteinander.Füreinander“, so ist die Broschüre zum 800-jährigen Bestehen Waakhausens überschrieben. Zeugnis einer harmonischen Feier im Sommer 2018, kurz bevor der Streit eskalierte. Wie viel Miteinander heute noch übrig ist, darüber gehen die Einschätzungen vor Ort gar nicht so weit auseinander wie zum Schießstand selber. Wedelich ist noch immer überzeugt vom Zusammenhalt. Er sagt, die Waakhauser lebten seit 50 Jahren mit der Anlage und die meisten von ihnen hätten kein Problem damit, einige fanden dort auch Jobs. „Die war und ist immer da!“ Es habe zwar schon immer auch Gegner unter den Einwohnern gegeben, aber man sei doch miteinander ausgekommen. „Es wurde bei Geburtstagsrunden gescherzt und darüber gelacht.“ Das sei schon anders geworden, heutzutage würde bei solchen Anlässen, so sie denn seit der Pandemie noch möglich sind, einfach nicht mehr darüber gesprochen.
Einer, der sich früh gegen den Stand positioniert hat, ist Thomas Murken. Er ist auf einem Hof in Viehland, das im äußersten Westen der Ortschaft ebenfalls noch zu Waakhausen zählt, aufgewachsen. Er wohnt bis heute dort, wo schon etliche Generationen Murkens gelebt haben. Wie viele, weiß er gar nicht so genau, aber es sind wohl Jahrhunderte von Familiengeschichte, die sich dort abgespielt haben. Der Stall, wo er früher als Kind zum Melken früh mit ran musste, ist jetzt sein Wohnzimmer.
Blick in die Augen
Die Ortschaft ist dünn besiedelt, jeder kennt jeden und weiß, wo er steht. Gerade mal 125 Menschen leben hier. „Ganz frische Zahlen“, sagt Wolfgang Wedelich. Aber dass Nachbarn sich nicht mehr grüßen würden, weil sie in der Schießstand-Frage unterschiedlicher Meinung seien, das gebe es nicht. Thomas Murken sieht das ähnlich. Christa und Andreas Oeller, zwei der führenden Köpfe der Bürgerinitiative gegen den Stand, wiederum haben anderes erlebt. Sie leben seit knapp drei Jahrzehnten in Waakhausen. Offene Anfeindungen aus dem Dorf erführen auch sie nicht, erzählen sie, der Umgang miteinander sei aber oberflächlicher geworden. Man schweige dann eben.

Thomas Murken
Auch die Gegner seien immer akzeptiert gewesen, meint Wedelich: „Ich habe durchaus Respekt vor dem, was sie da machen.“ Dass der Schießstand – nach gründlicher Sanierung – erhalten werden soll, steht für ihn außer Frage. Daraus hat Wedelich nie einen Hehl gemacht. Genauso haben Murken und Oeller mit offenen Karten gespielt: Bevor sie öffentlich ihre Meinung kundgetan haben, haben sie sich mit dem Ortsvorsteher zusammengesetzt. Das rechnet ihnen dieser hoch an. „Das finde ich in Ordnung, so kann man sich weiter in die Augen gucken“, sagt er trotz aller inhaltlicher Diskrepanz.
Auch Wolfgang Wedelich ist ein Alteingesessener, sein Vater heiratete einst auf einen seit Ewigkeiten bestehenden Hof ein. Sammelten die Kinder in der Stadt Pfandflaschen, um ihr Taschengeld aufzubessern, waren es bei den Waakhauser Jungs Tontauben auf dem Schießplatz. Ein paar Pfennig gab es für Exemplare, die verfehlt worden waren, und sich heil auflesen ließen.
Auch Murken sammelte mit, er nutzte die heil gebliebenen Scheiben als Futternäpfe für seine Kaninchen. „Würde ich heute so nicht mehr machen“, sagt er und grinst ein bisschen. Aus Überzeugung für Mensch und Umwelt habe er sich gegen den geplanten Wall auf der Anlage ausgesprochen, macht Murken deutlich. Er ist Lehrer, sein Blick richtet sich auf die nachfolgenden Generationen. Wie die vielen vor ihnen sollen auch sie in Waakhausen ein gutes Leben führen können. Seine Haltung sei auch innerhalb der Familie nicht immer einfach zu vermitteln gewesen. „Ich verstehe durchaus die andere Seite, das ist immer ein Abwägungsprozess. Aber das, was dort passiert, ist verantwortungslos.“ Und manch Älterer, der vorher keine Bedenken gegen den Stand hatte, sei angesichts der Umweltbelastungen, die bislang bekannt wurden, auch ins Grübeln gekommen. Er habe sich selber anfangs nicht vorstellen können, welche Dimensionen die Angelegenheit annehmen würde. Eine gespaltene Ortschaft sieht Murken dennoch nicht, das werde vor allem von außen so dargestellt.
Respektvoller Umgang
Anders als Oeller oder auch Murken sind die Wedelichs mit dem Jagd- und Schützenwesen eng verbunden, der Ortsvorsteher hat es in der Jugend bis in die Bezirkswettbewerbe geschafft. Die Jäger haben Macht im Kreis, gerieten selbst aber auch in die Schusslinie des Konflikts. Einige Anwohner kreiden auch Wedelich an, dass er vor zwei Jahren zu einem Infoabend im Dorf die Kritiker nicht einlud. Das sei sicher ein Fehler gewesen, gesteht er heute ein. Als Mitglieder der Bürgerinitiative in diesem Herbst Tierkadaver vor ihre Einfahrten fanden, war er es wiederum, der in seiner direkten Art die deutlichsten Worte fand, diese Tat zu verurteilen. „So etwas macht man nicht, da bin ich auf der Seite derer, die darunter zu leiden haben.“
Auch für Thomas Murken ist klar: Das waren keine Einheimischen. „Wir gehen hier respektvoll miteinander um“, sagt er, obwohl es Menschen gegeben habe, die sich von ihm abgewandt hätten. „In solchen Situationen zeigt sich immer, wer die wirklichen Freunde sind. Freundschaften, in denen es keine Meinungsverschiedenheiten geben darf, haben keinen Wert. Es ist viel schwieriger, sich in solchen Situationen seinen Freunden entgegen zu stellen. Am Ende des Tages muss man immer in den Spiegel schauen können.“