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Redaktionszweikampf Gegen Gewalt im Amateurfußball: Wie sinnvoll ist das Stopp-Konzept?

Thema des Redaktionszweikampfes ist das Stopp-Konzept des DFB. Es besagt, dass der Schiedsrichter Beruhigungspausen erheben darf, sollten sich die Gemüter auf dem Platz zu sehr erhitzen.
21.06.2024, 20:00 Uhr
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Von Dennis Schott Lennart Möller

Der Amateurfußball stand insbesondere in den vergangenen Monaten in den Schlagzeilen. Vermehrt wurde über Handgreiflichkeiten gegenüber dem Schiedsrichter oder unter den Spielern selbst berichtet. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sieht sich deshalb erneut zum Handeln gezwungen und führt als weitere Maßnahme gegen Gewalt im Amateurfußball das sogenannte Stopp-Konzept ein.

In den 21 Landesverbänden werden zur kommenden Saison einheitlich Beruhigungspausen eingeführt. "Die Spielunterbrechungen können von den Schiedsrichtern eingesetzt werden, wenn sich die Gemüter auf dem Platz zu sehr erhitzen", heißt es dazu auf der DFB-Homepage. Tritt dieser Fall ein, schickt der Schiedsrichter die Mannschaften in ihren jeweiligen Strafraum und bittet die Kapitäne und die von ihm zugelassenen Personen (Sicherheitskräfte oder Ordner) in den Mittelkreis, um ihnen Grund und voraussichtliche Dauer der Unterbrechung zu erklären. Falls nötig sollen Kapitäne und Trainer beruhigend auf Zuschauer einwirken. Danach soll entschieden werden, ob das Spiel fortgesetzt werden kann.

"Der DFB und seine Landesverbände gehen damit international neue Wege", schreibt der DFB. Den Grundstein für die Einführung des Stopp-Konzepts legte der Verband durch einen Antrag beim International Football Association Board (IFAB), das FIFA-Gremium, das Änderungen der Fußballregeln berät und beschließt. Das IFAB genehmigte auf dieser Grundlage ein Pilotprojekt, das sich über die komplette Saison und alle Altersklassen im Männer-, Frauen- und Jugendbereich unterhalb der Regionalliga erstreckt. Die Redakteure Lennart Möller und Dennis Schott diskutieren über die neue Maßnahme.

PRO: Über die Vorteile von Beruhigungspausen

Man stelle sich folgende Situation vor: Ein Flügelspieler treibt den Ball im Vollsprint über die linke Seite und wird plötzlich von einem heranrauschenden Verteidiger brutal von den Beinen geholt. Die Folge: eine Rudelbildung, ein wenig Geschubse, Wortgefechte und ein paar gelbe Karten. So oder so ähnlich spielt sich diese Szene Woche für Woche auf Fußballplätzen in Deutschland ab. Sie zeigt, wie schnell die Stimmung eines bis dato friedlichen und fairen Fußballspieles ins Aggressive umschlagen kann. Um eine vollständige Eskalation zu verhindern, hat der DFB jetzt eine neue Maßnahme ins Leben gerufen: Die Beruhigungspause. Schiedsrichter können die Spieler dann für fünf bis acht Minuten in ihren jeweiligen Strafraum schicken.

In einem Sport, der so sehr von seinen Emotionen lebt wie der Fußball, scheint diese Maßnahme auf den ersten Blick allerdings befremdlich. Trotzdem ist es ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, denn man muss sich eines ganz deutlich vor Augen führen: Im Laufe der Jahre ist das Wort „Emotion“ im Fußball zu einem Deckmantel für etwas ganz anderes geworden: nämlich für Gewalt.

In den vergangenen Jahren mussten in den unteren Klassen immer häufiger Spiele aufgrund von Gewaltexzessen auf oder neben dem Platz abgebrochen werden. Und nun soll das Prinzip der Beruhigungspause das Allheilmittel dagegen sein? Ja, denn das Potenzial dafür ist definitiv gegeben. Dafür muss man sich aber zunächst vor Augen führen, dass das nur gelingen kann, wenn alle mitziehen. Spieler, Trainer, Zuschauer. Und das setzt weiterhin voraus, dass alle drei Parteien an der Fortsetzung des Spiels interessiert sind.

Denn die Beruhigungspause erfüllt noch einen weiteren Zweck, dient sie dem Schiedsrichter doch als Instrument der Verwarnung für beide Mannschaften. Zwei solcher Pausen darf ein Schiedsrichter pro Spiel maximal anberaumen, danach muss er das Spiel abbrechen. Was er übrigens weiterhin auch darf, ohne vorher eine Beruhigungspause angeordnet zu haben. Das kann allerdings nicht das Ziel der Spieler sein.

Was macht dieses Prinzip nun so gut? Es ergibt sich eine räumliche Trennung beider Mannschaften, die die Gemüter abkühlt. Und jeder, der schon mal auf einem Fußballplatz gestanden hat und dem dabei mal die Emotionen durchgegangen sind, wird es kennen: Nach Abpfiff denkt man meist anders über so eine Situation und hätte rückblickend auch am liebsten anders gehandelt. Wer diese Pause nicht nutzt, um zu reflektieren, was in den vergangenen Minuten auf dem Platz falsch gelaufen ist, muss sich an dieser Stelle selbst hinterfragen und prüfen, ob Fußball die richtige Sportart für ihn ist.

Die Beruhigungspause wird allerdings Zeit brauchen, um sich im Amateurfußball zu etablieren. Schiedsrichter dürfen keine Angst davor haben, das Spiel dafür zu unterbrechen. Und sie dürfen sich dadurch nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen, die Kontrolle über das Spiel verloren zu haben. Denn die Schiedsrichter dafür verantwortlich zu machen, dass Amateurfußballer ihre Emotionen nicht im Griff haben, ist der falsche Ansatz. Das kann und darf niemals die Schuld des Schiedsrichters sein, sonst haben wir bald niemanden mehr, der freiwillig die Pfeife in die Hand nimmt und die Spiele an der Basis leitet.

KONTRA: Über die Nachteile von Beruhigungspausen

Richtig und absolut notwendig ist es, dass der DFB Maßnahmen gegen Gewalt im Amateurfußball ergreift. Viel zu lange wurde dieses Thema ignoriert. Durch die zahlreichen Vorfälle wurde der mediale Druck aber so groß, dass sich der größte Sportverband genau dies nicht mehr leisten konnte. Und was macht er? Greift ins Reglement der Amateurklassen ein, ohne das große Ganze im Blick zu haben.

Die weitreichende Wirkung des Profi- auf den Amateurfußball ist doch hinlänglich bekannt. Spielt David Beckham in bunten Schuhen, machen es ihm die Möchtegern-Beckhams nach. Jubelt Cristiano Ronaldo auf eine bestimmte Art und Weise, jubeln die Mini-Ronaldos genau so. Und entdecken Profi-Fußballer ihre Vorliebe für einen bestimmten Haarschnitt, finden sich auch hier zahlreiche Nachahmer.

Leider trifft dies auch auf den Bereich zu, der gerne als „Emotion“ verkauft wird, letztlich aber nichts anderes als das Ausleben von Aggression ist. Längst hat die Rudelbildung Einzug gehalten in der öffentlichen Wahrnehmung von Fußball. Teils richten sich die Aggressionen an den Gegner, noch öfter an den Schiedsrichter. Oder an den vierten Offiziellen, der an der Seitenlinie der Prellbock für die Trainerbänke ist. Solche Auseinandersetzungen gehören inzwischen wie bunte Schuhe, extravagante Frisuren und besondere Torjubler einfach dazu – und das auch im Amateurwesen. Weil es die Profis eben vorleben.

Weitaus effektivere Wirkung hat da bereits der Vorstoß der UEFA während dieser EM. Zum Schutz des Schiedsrichters und als Maßnahme gegen Rudelbildungen sind die Nationalmannschaften dazu angehalten, nur den Kapitän zum Schiedsrichter bei strittigen Entscheidungen zu schicken. Die Folge: Unsägliche Rudelbildungen sind kaum noch zu sehen. Wäre das nicht auch für den Amateurfußball denkbar?

Stattdessen muss es der Amateurschiedsrichter selbst richten, indem er Beruhigungspausen während eines Spiels einführen kann. Und zwar immer dann, wenn sich die Gemüter auf dem Platz zu sehr erhitzen. Man kann dies als positiv bezeichnen. Besser etwas als gar nichts tun. Man kann es aber auch als Eingeständnis des Schiedsrichters bezeichnen, nicht mehr Herr der Lage zu sein. Drohende Eskalationen zu erkennen und einzudämpfen, ist seine Aufgabe. Und nicht erst dann reagieren, wenn es schon zu spät ist. Abgesehen davon war der Schiedsrichter schon vor Einführung des Stopp-Konzepts befähigt, das Spiel jederzeit zu unterbrechen – wenn er es denn für notwendig erachtet. Eine Anmahnung hat es im Übrigen schon immer gegeben: Da holte der Schiedsrichter beide Kapitäne zu sich, um sie mit ernstem Blick darauf hinzuweisen, dass auf und neben dem Platz wieder mehr Ruhe zu herrschen hat. Ende der Diskussion!

Jetzt muss sich der Schiedsrichter, wenn er sich für die Beruhigungspause entschieden hat, erklären. Er schickt die Mannschaften in die eigenen Strafräume und holt die Kapitäne zu sich, um ihnen Grund und Dauer der Pause zu erklären. Daneben sind Offizielle und Trainer angehalten, eventuell Zuschauer zu beruhigen. Man stelle sich einmal vor, die Profis hätten sich jederzeit so beschwichtigend verhalten. Vermutlich bräuchte es so eine Neuerung wie die Beruhigungspause dann überhaupt nicht.

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In unserer Rubrik „Redaktionszweikampf“ nehmen zwei Sportredakteure ganz bewusst gegensätzliche Standpunkte ein. Ziel ist es, ein aktuelles Thema aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen zu betrachten – um damit zu verdeutlichen, wie kontrovers gewisse Themen diskutiert werden können und wie wichtig es ist, beide Seiten einer Medaille zu betrachten. In der aktuellen Ausgabe setzen sich Dennis Schott und Lennart Möller mit der Frage auseinander, wie sinnvoll das Stopp-Konzept ist, das der DFB als Maßnahme gegen Gewalt im Amateurfußball zur kommenden Saison in allen 21 Landesverbänden einführen möchte. Wie immer an dieser Stelle der Hinweis: Die hier geäußerten Sichtweisen der Sportredakteure decken sich mitunter nicht mit ihrer tatsächlichen Meinung.

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