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Redaktionszweikampf Was für Understatement spricht – und was dagegen

Understatement, die bewusste Untertreibung, ist ein oft benutztes Stilmittel von Trainern. Auch die des SV Bornreihe und FC Worpswede üben sich in Zurückhaltung, obwohl ihre Teams klare Spitzenreiter sind.
08.12.2022, 20:00 Uhr
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Was für Understatement spricht – und was dagegen
Von Dennis Schott

Landkreis Osterholz. Um die Rhetorik von Trainern ist es nicht immer gut bestellt. Ein Stilmittel beherrschen sie jedoch in Perfektion: das Understatement. Gemeint ist damit die bewusste Untertreibung. Mitunter treibt sie seltsame Blüten, so wie aktuell bei den Tabellenführern der Fußball-Landesliga Lüneburg und der Bezirksliga Lüneburg 3, dem SV Blau-Weiß Bornreihe und dem FC Worpswede. Beide Mannschaften spielen eine überaus dominante, um nicht zu sagen: überragende Saison. Beide führen ihre Ligen souverän an, beide werden nach Abschluss der Hinrunde von der Konkurrenz mittlerweile als haushoher Favorit auf den Titelgewinn gesehen. Aber selbst nach dem Rückrunden-Auftakt ist die Meisterschaft kein Thema. Stichwort: Understatement. In unserem Redaktionszweikampf nehmen sich die Redakteure Tobias Dohr und Dennis Schott diesem Thema an, und argumentieren anhand der Beispiele des SV Bornreihe und des FC Worpswede, inwiefern diese Zurückhaltung noch zu rechtfertigen ist.

Was für Understatement spricht

Um zu verstehen, warum Understatement gerade im Fußball so weit verbreitet ist, genügt ein Blick nach ganz oben. Wie bei vielen anderen Themen auch, werden hier Mechanismen aus dem Profifußball und der Bundesliga oft kopiert und auch im Amateursport angewendet. Das kann man doof oder albern finden, nachvollziehbar ist es aber allemal. Denn leider tendiert unsere Gesellschaft immer mehr zum Schwarz-Weiß-Denken. Alles oder Nichts. Gewinnen oder Verlieren. Recht haben oder Versagen. Grautöne sind langweilig – und deshalb nicht gern gesehen.

Die Schlagzeile muss gut und will verkauft sein. Es lässt sich doch nach dem 17. Spieltag viel besser darüber berichten, dass ein Saisonziel komplett aus den Augen verloren wird, als darüber, dass ja noch 17 Spieltage Zeit sind, dieses Saisonziel zu erreichen. Im besten Fall hat der SV Blau-Weiß Bornreihe in der Fußball-Landesliga Lüneburg sieben Punkte Vorsprung vor dem Zweiten, im schlechtesten sind es fünf. Nur fünf. Bei noch 16 ausstehenden Spielen wohlgemerkt. Was macht es da für einen Sinn, ein System, das jetzt seit mittlerweile 18 Spieltagen ganz wunderbar funktioniert, über den Haufen zu werfen?

Der Weg der kleinen Schritte

Dass sich die Spieler intern vermutlich ganz andere Ziele stecken, dass das Trainerteam hinter verschlossenen Türen deutlich forschere Töne anschlägt, liegt doch auf der Hand. Ziele sind gut und wichtig für einen Sportler. Nur mit großen, übergeordneten Fixpunkten lässt sich Leistung herauskitzeln. Doch der Weg dorthin geht nur über harte Arbeit und kleine, manchmal nur winzig kleine Schritte. Die Kunst ist es, diese Schritte nacheinander zu setzen – und sich nicht von einem großen Traum die Sinne vernebeln zu lassen. So machen es der SC Freiburg und Union Berlin seit vielen Jahren überaus erfolgreich in der Bundesliga. Übrigens: Die Hauptstädter wurden letzte Saison Fünfter. Was wäre wohl gewesen, wenn sie vor der Saison öffentlich gesagt hätten: Nach Platz fünf, ist Platz vier das einzig logische Ziel, wir wollen in die Champions League! Jeder, der mal Fußball gespielt hat, weiß, dass der Sport so nicht funktioniert – ganz egal, in welcher Liga. Außer vielleicht, man heißt Bayern München.

Die Welt ist nicht Schwarz-Weiß

In einer Mannschaft finden sich bei 25 Spielern immer fünf, die zu jedem Zeitpunkt ganz forsch formulieren, dass sie Meister werden wollen. Es gibt aber eben auch die fünf, die mit solch aggressiven Aussagen nichts anfangen können, eventuell sogar gehemmt werden. Und dann gibt es die breite Masse, die noch viel differenzierter an solche Zielvorgaben rangeht. Wie gesagt: Die Welt ist nicht Schwarz-Weiß. Schon gar nicht im Laufe einer langen Fußballsaison. Das ist manchmal langweilig, aber so ist das Leben eben manchmal auch.

Was gegen Understatement spricht

Der Mut von Thorsten Westphal ist löblich. Erinnern Sie sich? Vor der Saison hatte der Trainer des VSK Osterholz-Scharmbeck die Meisterschaft und den damit verbundenen Aufstieg ganz klar als Ziel ausgegeben. Es war kein Ausdruck von Arroganz, sondern schlichtweg die logische Konsequenz der Vorsaison, die der VSK auf dem zweiten Platz beendet hatte. Und was kommt nach Platz zwei? Richtig, Platz eins.

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Der SV Bornreihe und der TSV Worpswede üben sich derweil weiterhin in Zurückhaltung, obwohl beide Teams ihre Ligen seit geraumer Zeit anführen, teils mit gebührendem Vorsprung. Sie könnten ihren Standpunkt gerade mit Blick auf die forschen Töne aus der Kreisstadt rechtfertigen, schließlich läuft der VSK der Musik im Meisterschaftsrennen stark hinterher. Aber selbst jetzt, da es für die beiden Tabellenführer so gut läuft, trauen sich ihre Trainer (unverständlicherweise) nicht aus der Reserve. Stattdessen werden (sinngemäß) hohle Phrasen wie "Wir denken von Spiel zu Spiel", "Die Saison ist noch lang" oder "Wir halten an unserem Saisonziel fest" gedroschen.

Langweilig und unglaubwürdig

Solche Sätze sind sowohl langweilig als auch wenig glaubwürdig. Es ist doch schwer vorstellbar, dass nicht zumindest intern einmal das "böse" Wort von der Meisterschaft in den Mund genommen wurde. Beschwichtigende Aussagen werden den Mannschaften zudem nicht gerecht. Man muss sich das mal vorstellen: Da gewinnt der FC Worpswede nicht nur fast jedes Spiel, sondern auch jedes Topspiel und hat nun satte neun Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger, und was sagen die Trainer zum Meisterschaftsrennen? "Wir wollen so viele Punkte wie möglich holen." Oder der SV Bornreihe: Holte nach zuvor drei Siegen in Folge mit 15:0-Toren und teilweise herausragendem Fußball gegen den FC Hagen/Uthlede zuletzt zwar nur einen Zähler, baute seinen Vorsprung aber aufgrund der parallelen Niederlage von Verfolger TuS Harsefeld sogar noch aus, und was sagen die Trainer? Dass der Drittplatzierte FC Verden 04 mit einem Sieg im Nachholspiel näher an die Bonreiher heranrücken könnte. Na, klasse!

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Liebe Trainer, ein bisschen mehr Traute darf schon sein. Was spricht dagegen, von der Meisterschaft zu reden? Ist es die Angst, ein eventuell verpasstes Ziel erklären zu müssen? Und selbst wenn es so kommen sollte: Was ist daran so schlimm? Übrigens: VSK-Coach Westphal hat erst einmal Abstand von seinem ursprünglich geäußerten Saisonziel genommen. Und das ist auch völlig okay. Vor allem ist die "Von-Spiel-zu-Spiel-Denke" nach diversen Rückschlägen auch glaubwürdig. Zum Sport gehört das Scheitern genauso wie das Gewinnen. Darüber sprechen darf man allemal.

Info

In unserer Rubrik „Redaktions-Zweikampf“ nehmen zwei Sportredakteure ganz bewusst gegensätzliche Standpunkte ein. Ziel ist es, ein aktuelles Thema aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen zu betrachten – um damit zu verdeutlichen, wie kontrovers gewisse Themen angegangen werden können und wie wichtig es ist, beide Seiten einer Medaille zu betrachten. In der aktuellen Ausgabe setzen sich die Sportredakteure Dennis Schott und Tobias Dohr mit allseits verbreiteten Understatement im Fußball auseinander. Und wie immer an dieser Stelle der Hinweis: Die Meinungen der Sportredakteure decken sich im mitunter nicht mit der tatsächlichen Sichtweise der Autoren.

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