Osterholz-Scharmbeck. „Wir meinen, dass der Volkstrauertag 2023 ein passender Anlass ist, sich daran zu erinnern, dass Grausamkeit und Unmenschlichkeit in jeder Gesellschaft permanent schlummern. Die Gemeinschaft der Weltbevölkerung braucht ein Verständnis dafür, dass wir nur im Miteinander eine Zukunft haben.“ Das sagte der Fotograf Hans-Roland Becker zur Einführung in die Ausstellung unter dem Thema „Gegen das Vergessen“ im Foyer des Kreishauses.
Becker und sein Kollege Bernhard Schmid präsentieren derzeit Fotos aus dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager Stalag X B in Sandbostel im Foyer des Kreishauses. Stalag steht für Stammlager. Neben den Fotos sind kurze Notizen angebracht und erklären beispielsweise, dass von den mindestens "313.000 Kriegsgefangenen, Militärinternierten und Zivilinternierten" im Zweiten Weltkrieg 5162 Tote im Stalag X B nachweisbar seien. Außer den Fotos von Becker und Schmid sind auch Archivbilder der Gedenkstätte Lager Sandbostel zu sehen.
Ästhetik nachrangig
Laut Becker war bei den Aufnahmen und der Bildauswahl wichtig, dass sich nicht die Ästhetik in den Vordergrund drängt. „Die Aussage der Motive sollte die größere Bedeutung zukommen.“ Dies sei der Grund, weshalb der Großteil der Bilder in Schwarz-Weiß präsentiert werde, so der Fotograf.
In Blick auf den Volkstrauertag sagte Landrat Bernd Lütjen in seiner Begrüßung, dass Friede und Freiheit nicht selbstverständlich seien: „Die Geschehnisse wie der Krieg in der Ukraine und Israel lassen uns nicht kalt.“ Insofern fand seine Wertschätzung, dass „viele interessierte Menschen“ den Weg ins Kreishaus und zur Ausstellungseröffnung gefunden hätten. „Gegen das Vergessen“ richteten sich laut dem Landrat auch zwei weitere parallele Ausstellungen im Foyer. Mit im Boot seien auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit „Krieg und Menschenrechte“ und die Berufsbildenden Schulen (BBS) mit der Darstellung und Rückblick ihres Stelenprojektes.
Auf das Stelenprojekt gingen die BBS-Fachlehrer Andrea Wintjen und Holger Jacob ein. Auf den weißen gut ein Meter hohen Stelen steht senkrecht in Großbuchstaben das Wort „TODESMARSCH“, auf der Rückseite „April 1945“. Der Todesmarsch von KZ-Häftlingen führte ab dem 10. April 1945 zu Fuß von Bremen-Farge über Schwanewede, Meyenburg, Uthlede, Hagen und Bramstedt bis hin zum Bahnhof in Bremervörde. Die Stelen dokumentieren entlang dieser Strecke den Marsch.
Stelenprojekt der BBS
Bei der BBS angefragt worden ist laut Wintjen das Stelenprojekt von Lars Hellwinkel, Historiker und Gymnasiallehrer in Stade und verantwortlich für die Gedenkstättenpädagogik des Lagers Sandbostel. Der habe sich erkundigt, ob Klassen der BBS die Stelen anfertigen könnten. „Das war dann auch nicht ein Lernen im luftleeren Raum“, sagte die Fachlehrerin. Denn parallel dazu sei auch Johann Dücker besucht worden. Der habe als Neunjähriger vom Hof seiner Eltern aus noch nie „so magere und erschöpfte Menschen“ erlebt, erzählte Wintjen. Zwei Menschen seien vor dessen Augen erschossen worden. Dücker selbst war bei der Eröffnung anwesend. Deshalb sei das Anfertigen der Stelen „in einen größeren Zusammenhang eingebettet gewesen“, unterstrich die Fachlehrerin. Jacob ging unter anderem auf die technischen Probleme beim Herstellen der Stelen ein.
Der Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel, Andreas Ehresmann, verwies in seinem Grußwort auf den Überfall der Hamas auf Israel. Infolge dessen habe sich in Deutschland ein Antisemitismus die Bahn gebrochen, nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Feuilletons und in intellektuellen Kreisen, „den ich nicht so für möglich gehalten hätte“. „Zuletzt wurden beispielsweise zahlreiche eindeutige neonazistische und antisemitische Aufkleber in der Gedenkstätte ehemalige jüdische Gartenbaumschule in Hannover verklebt.“ Die aktuelle Fotoausstellung diene nun dazu, „gemeinsam und solidarisch immer wieder für unser demokratisches Gemeinwesen und eine offene und kritische Erinnerungskultur zu arbeiten und zu streiten“. Gedenkstätte und Gedenkorte können Ehresmann zufolge dazu beitragen, ein kritisch-reflexives Geschichtsbewusstsein zu entwickeln.
Bei den Fotos der beiden Fotografen handle es sich nicht um klassische Schnappschüsse. Beide hätten sich auf die ihnen eigene Art mit Hilfe ihres Fotoapparates dem Ort Gedenkstätte Lager Sandbostel und der Geschichte des Kriegsgefangenlagers genähert. Sein Dank galt den Fotografen, dem Landkreis Osterholz und Ursula Villwock vom Amt für Kreisentwicklung und Kultur.
Karl-Friedrich Boese vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hob hervor, dass angesichts immer mehr fehlender Zeitzeugen die Bedeutung der Kriegsgräber als „außerschulische Lernorte“ wachse. Kriegsgefangene seien „bloße Masse“, ihnen drohten Hinrichtung, Folter und Versklavung.
Die Ausstellung läuft bis Donnerstag, 30. November zu den Öffnungszeiten des Kreishauses.