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Frauenfußball Frank Reichhart: "Der DFB hinkt immer noch hinterher"

An diesem Mittwoch beginnt die Fußball-EM der Frauen. Wie ist es um den Frauenfußball bestellt? Darüber sprachen wir mit Frank Reichhart, Trainer der Oberliga-Frauen des ATSV Schwarmebckstotel.
05.07.2022, 18:44 Uhr
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Frank Reichhart:
Von Dennis Schott

Herr Reichhart, an diesem Mittwoch beginnt die Fußball-Europameisterschaft der Frauen. Werden Sie das Turnier verfolgen?

Ich habe den Spielplan jetzt nicht im Kopf, aber so lange ich durch Arbeit nicht daran gestört werde, ja. Die Abendspiele werde ich sicherlich gucken.

Welche Chancen räumen Sie der deutschen Mannschaft ein?

Ich finde schon, dass wir ein bisschen ins Hintertreffen geraten sind, wenn ich mir anschaue, wie beliebt der Frauenfußball zum Beispiel inzwischen in England und Spanien geworden ist. Aber ich denke auch, dass es bei den Frauen ein bisschen wie bei den Männern ist. Die Deutschen waren schon immer eine Turniermannschaft, und wenn sie in den richtigen Flow kommen, können sie auch weit kommen. Ob sie den Titel gewinnen können, sei einmal dahingestellt. Ohne Dzsenifer Marozsán, die wieder mal verletzt ist, wird es natürlich schwierig, das ist eine Schlüsselspielerin. Aber die Mannschaft ist jung, und ich denke, die Chancen sind besser als beim letzten Mal bei der WM.

Die deutschen Frauen haben seit 2013 keinen EM-Titel mehr geholt, obwohl sie vorher auf europäischer Ebene das Nonplusultra waren. Haben die anderen Nationen aufgeholt oder hat der DFB nachgelassen?

Beides. Sicherlich hat der DFB auch nachgelassen. Da steht für mich viel zu sehr der teure Männerfußball, der sicherlich auch beliebter ist, im Fokus. Es wird aber einfach zu wenig getan, um den Frauenfußball nach vorne zu bringen. Ich bin regelmäßig beim Gothia-Cup in Schweden, und wenn ich sehe, wie körperlich und wie beherzt die Schwedinnen gegen unsere Mädels zur Sache gehen, dann wundert es mich nicht, wenn sich in den späteren Jahren ein Leistungsunterschied auftut. Auch hinsichtlich der Fitness und Cleverness. In Skandinavien wird meiner Meinung nach mehr Wert auf Athletik und Kraft gelegt. Auch wenn ich selbst lieber technischen Fußball sehe, vermisse ich das in Deutschland.

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Gerade an solchen Tagen, in denen der Frauenfußball stärker in den Medien vertreten ist, verweisen die Vertreterinnen des Frauenfußballs auf einige Versäumnisse, vor allem in der Gleichstellung mit dem Männerfußball. Wie sehen Sie das?

In England ist es so, dass ein Erstligist verpflichtet ist, eine Frauenmannschaft mindestens auf Zweitliga-Niveau zu haben. Das kann ich mir auch in Deutschland gut vorstellen. Und wenn du es nicht machst, muss es dich eine Menge Geld kosten. Mich stört es auch, dass zu den Heimspielen von Werders Frauen nur 300 Zuschauer kommen. Es müssen auch Anreize geschaffen werden, zum Beispiel, indem die Dauerkarte fürs Weserstadion auch für die Spiele der Frauen auf Platz elf zählt. Was im Detail da passieren muss, kann ich auch nicht sagen. Aber es muss sich etwas verändern.

Die Traditionsvereine öffnen sich dem Frauenfußball aber immer stärker, oder nicht?

Das stimmt. Borussia Dortmund ist ja aktuell dabei, mit seinen Frauen im Eiltempo hochzukommen. Vielleicht kann man da drüber nachdenken, sie direkt höher einzustufen als andere, um nicht zu viel Zeit zu verlieren, bis sie in die Bundesliga aufgestiegen sind. Dabei schießen die gerade in den unteren Ligen alles in Grund und Boden. Man sollte alles möglich machen, um die Bundesliga der Frauen attraktiver zu machen. Ein Verein wie Dortmund würde die Bundesliga auf jeden Fall bereichern. Ich finde einfach, die großen Vereine müssen mehr in die Pflicht genommen werden.

Aber ist es nicht auch so, dass die Nachfrage das Angebot regelt? Die Frage ist ja: Ist die Nachfrage für Frauenfußball überhaupt vorhanden, oder ist das Angebot aktuell nur noch nicht attraktiv genug?

Natürlich ist das auch eine Frage von Angebot und Nachfrage. Aber es kann doch nicht sein, dass bis auf Wolfsburg und Bayern alle Spielerinnen in der Bundesliga voll berufstätig sind und nur nebenher kicken. Der Aufwand, den die Frauen betreiben, ist ja nicht viel kleiner als der der Männer. Man sollte den Frauenfußball professioneller aufziehen, und natürlich geht es dabei auch ums Geld.

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Aber kann sich der Frauenfußball in dem Schatten, den der Herrenfußball wirft, überhaupt entwickeln?

Das ist die Frage. Aber man kann zumindest anfangen zu versuchen, den Schatten kleiner werden zu lassen. Und sei es, den Frauenfußball künstlich zu beleuchten. Wenn man das Ziel hat, mehr zu erreichen, muss man sich etwas einfallen lassen und auch investieren. Oder man muss sagen: Frauenfußball spielt bei uns keine Rolle. Natürlich ist der Frauenfußball langsamer, aber er hat andere Vorzüge. Er ist technischer, er ist fairer und es wird nicht so viel lamentiert wie bei den Männern. Das wird beim DFB nicht erkannt, wie so vieles. Es kommt mir so vor, als würde der Verband immer so ein bisschen hinterherhinken. Mal gibt es keine Straßenfußballer, mal keine Stürmer, dann wird zu viel Individualismus beklagt und jeweils versucht, dagegen etwas zu machen. Beim Thema Frauenfußball wird ja auch seit Jahren diskutiert, ohne dass sich etwas Entscheidendes verändert hätte.

Merken Sie denn an der Basis eine gestiegene Wertschätzung in den vergangenen Jahren oder ist alles beim Alten geblieben?

Das ist tatsächlich aktuell ein etwas leidiges Thema, weil wir das auch gerade im Verein diskutieren. Wir steigen jetzt in die Oberliga Niedersachsen auf, und wenn wir eine Männermannschaft wären, dann würden wir wohl viel mehr Unterstützung bekommen. Mit ein bisschen Glück bekommen wir unsere Fahrtkosten erstattet. Auch ist uns unsere Sprinkleranlage um die Ohren geflogen. Wir wissen noch gar nicht, ob wir unsere Heimspiele austragen können, weil der Hauptplatz total vertrocknet ist.

Das Gespräch führte Dennis Schott.

Zur Person

Frank Reichhart (58)

kann auf viele Jahre Erfahrung als Trainer im Frauenbereich verweisen. Seit 2018 trainiert er die Frauen-Mannschaft des ATSV Scharmbeckstotel, mit der er und Trainerkollege Nils Menzel den Aufstieg in die Oberliga Niedersachsen schafften.

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