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Stadtwerke und Stromsperren "Das ist für uns das allerletzte Mittel"

Trotz Energiekrise und Inflation ist die Zahl der Stromsperrungen wegen unbezahlter Rechnungen im Gebiet der Osterholzer Stadtwerke nicht gestiegen.
08.02.2023, 18:00 Uhr
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Von Irene Niehaus

Landkreis Osterholz. Arbeitslosigkeit, Krankheit und eine schlimme Trennung können Menschen finanziell aus der Bahn werfen. Auch ein geringes Einkommen, eine niedrige Rente oder eine unwirtschaftliche Lebensführung sind manchmal Gründe, dass sich Schulden häufen. Gerade verschärfen Inflation und Energiekrise für Haushalte mit wenig Geld die finanzielle Schieflage. Wenn dann noch die Stadtwerke damit drohen, den Strom abzuschalten, wissen die Betroffenen oft nicht mehr weiter. Ein Teufelskreis. Dabei gibt es Hilfe.

"Die Menschen haben keine Rücklagen mehr und sind mürbe davon, ihre Ersparnisse zusammenzuhalten", sagt Stephanie Thiele, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks in der Kreisstadt, das auch eine Schuldnerberatung anbietet. Obwohl staatliche Hilfen die finanziellen Probleme abfederten, spürt Thiele seit gut zwei Jahren eine allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung. Kommen Strom- und Gasschulden dazu, verschärft sich die Situation für Schuldner und deren Angehörige.

Viele Androhungen

Der hiesige kommunale Energieversorger kennt das Problem. „Stromsperren sind für uns immer das allerletzte Mittel", sagt der Sprecher der Osterholzer Stadtwerke, Jürgen Möller. In den allermeisten Fällen gelinge das. Denn die Stadtwerke schalten säumigen Zahlern nach Ablauf der gesetzten Frist nicht einfach den Strom ab. Sie suchen vorher das persönliche Gespräch mit den Betroffenen. Mitarbeiter der Stadtwerke machten sich auf den Weg zu den Kunden, denen eine Energiesperre drohe, erklärt Möller. „Wenn der Kunde nicht angetroffen wird, dann hinterlassen wir eine Nachricht.“

Der Energieversorger hat seit 2014 seine Bemühungen zur Vermeidung von Stromsperren intensiviert. Damals gab es eine Absprache mit der Gemeinde Lilienthal, dass das Sozialamt und die Stadtwerke zusammen mit den Schuldnern nach Lösungen suchen, um Stromsperren zu verhindern. „Das Motto ist einfach: Reden und handeln",  sagt der Stadtwerke-Sprecher Jürgen Möller. „Je früher der Kunde reagiert und auf seine finanziellen Probleme hinweist, desto größer die Chance, dass eine Stromsperre vermieden werden kann.“ Im vergangenen Jahr drohten die Osterholzer Stadtwerke, die rund 45.000 Strom- und Gaskunden haben, säumigen Zahlern in 2067 Fällen mit Sperren. Tatsächlich schalteten sie den Strom nur in 69 Fällen ab – wenn Kunden gar nicht oder zu spät auf Gesprächsangebote reagierten. 2021 gab es 62 Sperrungen und 1740 Androhungen. Ein Jahr zuvor waren es 27 Sperrungen bei 2547 Androhungen, und 2019 drehten die Stadtwerke in 61 Fällen den Strom ab bei 2972 Androhungen. 2015 drohten die Stadtwerke 3126 Mal damit, die Stromzufuhr zu kappen; 162 Mal machten sie damals die Drohung wahr.

Bei Zahlungsrückstand von 100 Euro droht Sperre

Der Versorger darf laut Verbraucherzentrale Strom und Gas abklemmen, wenn der Zahlungsrückstand das Doppelte des monatlichen Abschlages oder der monatlichen Vorauszahlung erreicht. Wurden kein Abschlag oder Vorauszahlung vereinbart, muss der Rückstand ein Sechstel der Jahresrechnung erreichen. In jedem Fall muss er aber mindestens 100 Euro betragen. Darüber hinaus gibt es Härtefälle, bei denen der Strom ebenfalls nicht abgestellt werden darf.

Wenn Menschen ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, hat sich ihre Finanzmisere in den meisten Fällen schon zugespitzt. "Das große Problem ist, dass sich die Leute damit abfinden und sagen, da kann man nichts machen", berichtet Angelika Meurer-Schaffenberg, Sozialarbeiterin beim Diakonischen Werk.  "Es gibt aber immer Hilfe."

Ratenzahlungen und Stundungen

Die Schuldnerberatung des Diakonischen Werks und andere Fachdienste suchen gemeinsam mit den Betroffenen einen Ausweg. Kann das  Sozialamt ein einmaliges Darlehen zahlen, auch wenn man sonst keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat? Wo gibt es staatliche Hilfe, wer könnte sonst Geld geben? Sind Ratenzahlungen und Stundungen sinnvoll?

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Für Empfänger von Bürgergeld, Sozialhilfe oder anderen sogenannten Transferleistungen könnten Stromsperren am ehesten vermieden werden, sagt Stadtwerke-Sprecher Möller. „Wir weisen die Kunden stets darauf hin, dass sie sich unbedingt mit der Sozialbehörde oder dem Jobcenter in Verbindung setzen sollen.“

Post immer öffnen

Die beiden Diakoniewerk-Mitarbeiterinnen Stephanie Thiele und Angelika Meurer-Schaffenberg raten allen Betroffenen, möglichst früh in die Beratungsstelle zu kommen. Sie sollten zudem stets sofort die Post öffnen, sie genau durchlesen und auf keinen Fall Zahlungserinnerungen oder Mahnungen ignorieren. Drohe eine Energiesperre, sollten Betroffene unverzüglich Kontakt zum Energieversorger aufnehmen. "In solchen Fällen waren die Stadtwerke stets sehr zugewandt und kooperativ", betont Angelika Meurer-Schaffenberg. Sie und Stephanie Thiel kennen keinen Fall von Stromsperren im gesamten Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck, nachdem der Schuldner sich hatte beraten lassen und mit dem Energieversorger gesprochen hatte.

Zu niedrige Abschlagszahlungen

Hilfreich sei außerdem, die Zähler abzulesen und nach einer gewissen Verbrauchszeit die Abschlagszahlungen anzupassen, so Meurer-Schaffenberg. Zu niedrige Abschlagszahlungen seien ein Grund für Nachzahlungen, die besonders Geringverdiener und Transferleistungsempfänger belasteten, weiß Stadtwerke-Sprecher Jürgen Möller. Auch hoch gerechnete Zählerstände für die Jahresabrechnung, weil der Kunde die Ableser nicht hereingelassen und die Zählerständestände nicht gemeldet habe, könnten zu einer Nachzahlung führen. Möller unterstreicht, dass auch ein hoher Energiebrauch durch ineffiziente Geräte und falsches Verbraucherverhalten zu einer happigen Stromrechnung beitragen könne.

Zur Sache

Härtefallfonds bei drohender Energiesperre

Wer seine Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen kann, hat die Möglichkeit, Geld aus einem Härtefallfonds zu bekommen. Der Landkreis Osterholz hat einen solchen Fonds aufgelegt. Wann erste Mittel aus dem zunächst mit 200.000 Euro gefüllten Topf fließen, ist offen. Die Vergabekriterien scheinen aber inzwischen geklärt zu sein. Demnach können nur bedürftige Personen, die ihren Wohnsitz in der jeweiligen Kommune haben und bei denen im Zeitpunkt der Antragstellung eine finanzielle Notlage besteht, Leistungen erhalten. Eine finanzielle Notlage liegt nach Angaben des niedersächsischen Gesundheitsministeriums dann vor, wenn es der bedürftigen Person aufgrund der Preissteigerungen nicht möglich ist, die Energiekosten aus ihrem Einkommen zu decken und deshalb eine Energiesperre konkret droht. Es darf auch kein Vermögen mehr vorhanden sein, ein gewisser Vermögensumfang ist dabei jedoch geschützt. Vor der Inanspruchnahme der Mittel aus den Härtefallfonds müssen alle anderen Unterstützungsmöglichkeiten, zum Beispiel Sozialleistungen, ausgeschöpft werden. Dazu zählen auch Absprachen und Vereinbarungen mit dem jeweiligen Energieversorgungsunternehmen wie Stundungen, Ratenzahlungen oder Reduzierung von Abschlagszahlungen.

Stadtwerke helfen bei Lösungssuche

Falls einem Kunden die Energiekosten davonlaufen sollten, sollte er möglichst rasch das Gespräch mit den Stadtwerken suchen, betont auch Stadtwerke-Geschäftsführer Christian Meyer-Hammerström (Telefon 04791/ 80 99 99, Whatsapp an 04791/80 92 22 oder E-Mail an info@osterholzer-stadtwerke.de). "Wir helfen bei der Lösungssuche." Ihm ist wichtig, auch auf die Nachbarn zu achten; gerade bei älteren Menschen sei eine falsche Scham verbreitet. "Die sitzen dann bei 16 Grad in ihrem Zimmer und sparen sich das noch vom Munde ab."

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