Landkreis Osterholz. Kuschelige Wärme konnten Gottesdienstbesucher in den Gemäuern alter Kirchen auch vor Corona nicht erwarten. Bei maximal 16 Grad war Schluss, um Bauteile und Orgel nicht zu beschädigen und aus Rücksicht auf den Energieaufwand. Jetzt sollen die Kirchengemeinden nach einer Corona-Empfehlung der evangelischen Landeskirche Hannovers die Kirchenheizung 30 Minuten vor dem Gottesdienst abschalten. Damit sollen die Heizungen nicht zu Virenschleudern werden, denn Gebläse verteilen nicht nur die Wärme. Während der Feiern solle auch nicht gelüftet werden, um große Bewegungen von Luft und Aerosolen zu vermeiden – sondern im Anschluss.
Warmluftheizungen, Sitzbankheizungen, Wasserheizkörper und Infrarotstrahler verursachten große Luftströmungen und verteilten Aerosole, so die Begründung. Dagegen könnten Fußbodenheizungen oder elektrische Sitzkissenheizungen durchgehend betrieben werden. Beim Lüften würden virentragende Aerosole in Kirchen nicht wirkungsvoll abtransportiert. Stattdessen lösten offene Fenster und Türen ungewollte Luftbewegungen aus. Daher solle erst direkt nach den Gottesdiensten kurz und intensiv Luft durch alle Fenster und Türen eingelassen werden. In dem Schreiben wird auch empfohlen, so zu heizen, dass die relative Luftfeuchte in der Kirche zwischen 40 und 60 Prozent beträgt. Das bedeute aber möglicherweise, dass bei kalter, trockener Witterung nur sehr moderat aufgeheizt werden dürfe.
Wallhöfens Pastor Wolfgang Starke ist skeptisch. Die Kirche in Wallhöfen habe eine Lüftungsheizung. „Das ist ein Problem; wenn wir kurz vorm Gottesdienst die Heizung abstellen, wird es ruckzuck kalt.“ Jahrelang hätten sie während der Gottesdienste mit Kälte kämpfen müssen. Vor Kurzem erst hätten sie deshalb Tausende von Euro in neue Messfühler investiert. Seitdem könnten sie den Kirchenraum endlich auf 16 bis 17 Grad erwärmen. Das Schreiben der Landeskirche helfe ihm daher eher wenig. „Ich verstehe es aber auch als Empfehlung, bei der jeweils vor Ort geguckt werden muss, ob sie Sinn macht.“ Er wolle daher in den nächsten Gottesdiensten ausprobieren, wie schnell und wie stark der Raum abkühle. „Bei Außentemperaturen von etwa zwölf Grad Celsius ist das machbar“, denkt Pastor Starke. Sollten diese Versuche ergeben, dass für die Kirche in Wallhöfen das Abschalten der Heizung keine Option ist, bliebe sie im Winter an. Mit dem Virus würden sie trotzdem verantwortungsvoll umgehen: „Wir lüften immer vor und nach den Gottesdiensten, die nicht länger als 45 Minuten dauern, und mehr als 50 Personen dürfen am Gottesdienst nicht teilnehmen.“ An normalen Wochenenden kämen auch gar nicht mehr als 30 Besucher, und für die Gottesdienste zu Weihnachten müssten sie sich eh etwas anderes überlegen.
In Hambergen reagiert sein Kollege Björn Beißner gelassen auf den Brief: „Wir machen das bereits kaum anders.“ Seit sie im Mai mit den Gottesdiensten wieder begonnen hätten, würden sie in ihrer Kirche mehr lüften – mithilfe der Türen. „Die Fenster sind gar nicht zu öffnen.“ Ob das Ausschalten der Heizung für sie ein gangbarer Weg ist, müsse er gucken. „Zu Beginn des Gottesdienstes hat die Kirche auf jeden Fall ihre Solltemperatur; und die hält sie“, zeigt der Pastor sich optimistisch.
„Wir wissen ja, dass die Aerosole das Problem sind“, bemerkt Birgit Spörl. Lüften gehöre deshalb zu ihrem Hygienekonzept, versichert die Pastorin der Ritterhuder Kirchengemeinde St. Johannes. Schon jetzt sei klar, dass sie wegen des häufigen Stoß- und Querlüftens viel mehr Energie in diesem Winter verbrauchen würden. Was die Heizung betrifft, die unter den Sitzbänken installiert ist, werde sie nun schauen und abwägen müssen, wie damit umgegangen werden soll. Denn dass die Gottesdienstbesucher völlig durchgefroren nach Hause gingen, sei für sie auch keine Option. „Bislang sind wir, glaube ich, sehr gut und verantwortungsvoll mit der Pandemie umgegangen.“ Für die Orgel werde dieser Winter allerdings eine echte Herausforderung. Diese Instrumente reagierten empfindlich auf starke Temperaturschwankungen, die nun nicht zu vermeiden seien.
Dass das Lüften in weiten Teilen des Kirchenkreises Osterholz-Scharmbeck einen anderen Stellenwert bekommen hat, seitdem die Sorge vor der Virusausbreitung allgegenwärtig ist, bestätigt auch Jutta Rühlemann. „Wir haben schon jetzt eigentlich nur noch kurze Gottesdienst-Formate von längstens einer Stunde, weil danach immer wieder gelüftet werden muss“, berichtet die Superintendentin aus dem neuen Corona-Alltag. Der wird auch an Weihnachten nicht spurlos vorbeigehen – dem Fest, das den Kirchen stets volle Gotteshäuser garantierte. Ja, Weihnachten werde es natürlich geben, nickt Rühlemann, „aber eben ganz anders.“ In der St.-Willehadi-Kirche in der Kreisstadt etwa dürften im Moment maximal 60 Besucher sein. Wenn man dann noch jede Stunde lüften müsse, könne man sich leicht ausmalen, dass das zum Beispiel an Heiligabend gar nicht funktionieren würde. „Weil aber an große Gottesdienste derzeit nicht zu denken ist, gibt es schon viele bunte und gute Ideen für Weihnachten im Kleinen“, versichert die Superintendentin. In Grasberg denke man beispielsweise über einen Krippenweg nach, andere Kirchengemeinden wollten Krippenspiele ins Internet stellen. Für die Kreisstadt überlege man derzeit sogar Angebote im Freien auf dem Marktplatz. Eine Idee, über die auch die Kirchengemeinde in Wallhöfen nachdenkt. Rühlemanns ganz pragmatischer Tipp lautet deshalb auch: Es könne nicht schaden, wenn sich Kirchengäste wärmer anziehen.
Kirche und Corona
Die Kirchengemeinden in der Region haben mit einem strengen Hygienekonzept versucht, durch die vergangenen Pandemie-Monate zu kommen. Die Gottesdienste waren zum Beispiel deutlich kürzer als sonst, als Richtwert wurden 35 Minuten genannt. Auch die Abstände zwischen Besuchern waren mit 1,5 bis zwei Metern in jede Richtung groß, Ein- und Ausgänge waren geregelt und Fenster und Türen bei schönem Wetter geöffnet. Auf Gesang wurde verzichtet, Desinfektionsmittel standen bereit, Mundschutzpflicht bestand beim Kommen und Gehen. Wo immer möglich, wurden in der Region Gottesdienste auch draußen gefeiert. In Räumen gilt eine hohe Frischluftzufuhr als wirksame Maßnahme, potenziell virushaltige Aerosole zu entfernen. Daher empfiehlt auch die Landeskirche Hannovers die regelmäßige und gründliche Stoßlüftung bei Gemeindeveranstaltungen. Allerdings ist noch ungeklärt, ob die im Winter durch Temperaturunterschiede zwischen außen und innen ausgelösten Luftbewegungen in den Räumen das Infektionsrisiko verändern können.