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Stimmungsbild der SPD im Landkreis Die Basis meutert

Der SPD-Sonderparteitag am Sonntag hat sich knapp für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen mit der Union ausgesprochen. Der WESER-KURIER hat ein Stimmungsbild bei SPDlern im Nordkreis eingeholt.
22.01.2018, 19:19 Uhr
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Von den Redaktionsteams aus Syke und Brinkum

Seine Ankündigung hat Ludger Bugla am Sonntag auch in die Tat umgesetzt. Der stellvertretende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Diepholz hat als Delegierter am Sonderparteitag in Bonn teilgenommen und gegen eine Große Koalition gestimmt. „Das war nicht genug“, sagt er zum Ausgang der Sondierungsgespräche. Das sehen zahlreiche weitere Sozialdemokraten im Landkreis Diepholz ebenso.

Beim Thema Krankenversicherung müsse nachgebessert werden, ebenso im Bereich Familiennachzug von Flüchtlingen und befristete Arbeitsverträge, findet Bugla. Der SPD-Politiker aus Rehden hat sich bei seinem Urteil nicht nur auf seine eigene Meinung verlassen, sondern auch ein Stimmungsbild im Unterbezirk eingeholt. Rund 200 Rückmeldungen habe er auf seine Aufforderung über verschiedene Kanäle wie Internet und Telefon bekommen. 50 Prozent seien gegen die GroKo gewesen, 20 Prozent unentschieden und 30 Prozent dafür. Wenn sich nun bei den Koalitionsverhandlungen nichts tue, geht Bugla auch davon aus, dass die Sozialdemokraten bei der Mitgliederbefragung gegen die gemeinsame Regierung mit der CDU/CSU stimmen.

Beim Sonderparteitag selbst konnte ihn auch SPD-Chef Martin Schulz nicht umstimmen. „Ich fand seine Rede etwas schwach“, sagt Bugla. Schulz habe seiner Meinung nach nichts Überzeugendes rübergebracht, „es fehlte auch etwas der Dampf“. „Jetzt ist die Verhandlungskommission gefordert, die Nachverhandlungen im Sinne der Parteimitglieder durchzuführen“, sagt Bugla. Wenn das nicht zum Erfolg führt, es eine Absage der Mitglieder gibt, spricht sich Bugla für eine Minderheitenregierung aus.

Auch Arno Büchel, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Stuhr, sieht der Mitgliederabstimmung nach den Koalitionsverhandlungen mit Spannung entgegen. Im Moment seien die Befürworter und Gegner einer neuen Großen Koalition in Stuhr etwa gleich auf. Am Anfang seien viele gegen eine GroKo gewesen, nach den Sondierungen hätte der ein oder andere das dann doch akzeptiert. „Ich hatte von Anfang an nichts dagegen“, so Büchel. Er würde die Partei im Moment wie ein Wirtschaftsunternehmen betrachten – mit einer drohenden Insolvenz am Horizont. Eine Regierungsbeteiligung und neue Strukturen sind dabei für ihn der richtige Weg, um dem entgegenzuwirken.

Wichtig ist ihm außerdem die künftige Trennung von Amt und Mandat, betont Büchel. „Der Vorsitzende braucht seine ganze Kraft für die Partei“, findet er. Martin Schulz sei für ihn weiterhin glaubwürdig. „Er ist vom Bundespräsident überzeugt worden, in die Sondierungsgespräche hineinzugehen“, so Büchel. Die Ergebnisse dieser Gespräche sind für den Stuhrer SPD-Chef allerdings „nicht der große Wurf“. In diesem Rahmen müsse nun weiter verhandelt werden. Gibt es am Ende keine Zustimmung der SPD-Mitglieder für die GroKo, hält Büchel Neuwahlen auch nicht für sinnvoll. „Das wäre ein rotes Tuch für uns“, sagt er.

Auch Frank Seidel, Fraktionsvorsitzender der SPD in Weyhe, würde sich in diesem Fall für eine Minderheitenregierung aussprechen. Im Gegensatz zu Büchel wäre ihm ein konsequentes Nein zur GroKo lieber gewesen. „Aber die SPD hat so oder so die Pappnase auf“, sagt er. Bei allen Diskussionen komme ihm zu kurz, dass im Falle einer Regierungsbeteiligung die AfD die stärkste Oppositionsfraktion im Bundestag wird. Dennoch findet Seidel, dass die Sozialdemokraten mit der derzeitigen offenen Diskussion auf dem richtigen Weg sind. „Nicht von oben herab und Vertrauen zurückgewinnen“, so seine Stichworte dazu. In Weyhe sieht er im Moment keine Mehrheit für eine GroKo. „Deshalb ist es wichtig, was jetzt noch kommt“, spielt Seidel auf die Koalitionsverhandlungen an. „Es wurde bislang nicht verhandelt, sondern nur sondiert“, sagt er. Ihm persönlich sei wichtig, dass die Aufhebung von sachgrundlosen Befristungen von Arbeitsverträgen mit aufgenommen wird.

Ein Nein hätte es auch von Reinhard Thöle, Fraktionsvorsitzender der SPD in Bruchhausen-Vilsen, gegeben. „Ich hätte nach diesem Sondierungspapier nicht für Koalitionsverhandlungen gestimmt“, so Thöle. Dafür sei die Handschrift der Sozialdemokraten zu wenig zu erkennen. Ist die CDU zu dominant oder die SPD einfach zu schwach? Eine Frage, die sich für Thöle nicht mit einem Satz beantworten lässt. „Wir hätten im Wahlkampf einfach vieles anders machen können. Zudem geht die Bundeskanzlerin keine eigenen Problematiken an, sondern greift nur andere Themen auf“, skizziert er. Dennoch sorgte die Abstimmung aus seiner Sicht für eine Überraschung: „Bei dem, was vorher getrommelt worden ist, hätte ich eher ein Verhältnis von 60 zu 40 Prozent erwartet. Dass es so ausgegangen ist, bestärkt mich darum, dass sich ein Großteil der Mitglieder nicht mitgerissen fühlt.“

Friedrich Nordmann, SPD-Fraktionschef in Twistringen, ist Thöles Meinung. „Die Entscheidung hat mir nicht gepasst“, sagt er. Er wäre lieber in die Opposition gegangen, „so gehen wir unter“. Das Sondierungspapier sei wie ein Haus: „Die Wände stehen schon, wir können nur noch die Tapeten verrücken.“ Aber auch an seiner Partei kritisiert er herum. Ihm fehlt die Nähe zur Basis.

Peter Jahnke indes begrüßt, dass die SPD in Koalitionsverhandlungen eintritt. In der vergangenen Großen Koalition habe die SPD wichtige sozialpolitische Errungenschaften durchgesetzt, sagt der SPD-Ratsherr aus Syke. „Die größte Chance sehe ich darin, dass die Große Koalition schon weiß, worauf es ankommt“, fügt er hinzu. Jahnke findet es vor allem gut, dass auch künftig etwas gegen Kinder- und Altersarmut getan werden soll und die Position von alleinerziehenden Müttern gestärkt wird.

Als Wahl zwischen Pest und Cholera bezeichnet Christoph Lanzendörfer die Abstimmung. Dennoch hätte sich der Vorsitzende der Bassumer SPD-Fraktion für eine weitere Zusammenarbeit mit den Christdemokraten entschieden. Denn in einer Koalition ließe sich immer noch mehr erreichen, als in der Opposition. Insbesondere in Sachen befristeter Arbeitsverhältnisse und Bürgerversicherung hofft er auf eine starke SPD.

Nicht unerheblicher Gegenwind kam im Vorfeld des Parteitags von den Jusos. Auch die Diepholzer Kreisgruppe zeigt sich nicht zufrieden mit der Entscheidung. „Wir haben uns ein anderes Ergebnis gewünscht“, sagt ihr Vorsitzender Jonathan Kolschen. Das Sondierungspapier sei keine Grundlage für Koalitionsverhandlungen, da wichtige Punkte wie zum Beispiel die Bürgerversicherung fehlt. Er habe eine „große Skepsis“ bei den Mitgliedern gespürt. Allerdings könne er sich einen ähnlichen Verlauf, wie vor vier Jahren vorstellen. Damals hatten hochrangige SPD-Politiker vor dem Mitgliederentscheid erfolgreich für den Eintritt in eine Große Koalition geworben.

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