Weyhe. Wie ein gestrandeter Wal, der zurück ins Wasser gehievt wird, hängt der Koloss in den Gurten. Doch was da in die Weser bei Dreye gelassen wird, ist kein Lebewesen, sondern vielmehr ein schwimmendes Zuhause. Leicht schaukelt das Hausboot mit Namen Normadream, das knapp zwei Meter über dem Boden schwebt. Helfer wuseln um das Boot herum, einer zieht die beim Transport abgeplatzte dunkelblaue Farbe auf der Unterseite des Bootes mit einem Pinsel nach. Die sengende Vormittagssonne treibt den sieben Helfern die Schweißperlen auf die Stirn. „Wir haben ja oft große Boote hier, aber dieses ist was Besonderes“, sagt Hafenmeister Axel Budelmann, als er sich kurz Zeit zum Verschnaufen nimmt.
Vereinzelt stehen Jogger, Radfahrer und Spaziergänger um das Spektakel herum und halten das besondere Schauspiel mit ihren Handykameras fest. „Heute Nacht ist das Boot angekommen“, erzählt Ralf Hartwig. Drei Nächte war das Boot von Danzig bis Weyhe unterwegs, „wegen der Überbreite“, erklärt der Pächter der Marina Wieltsee. Hergebracht hat das ohne Motor ausgestattete Boot eine auf Jachttransporte spezialisierte Firma aus Kiel. Die schwimmenden Häuser werden nach Angaben von Spediteur Sven Tiefert hierzulande immer beliebter – frei nach dem Motto: Hausboot statt Wohnwagen. Er weiter: „Hausboote sind unwahrscheinlich im Kommen.“
Mit einer Halbdrehung manövriert der Kran das rechteckige Konstrukt allmählich zur Wasseroberfläche, wo es weich landet. Der Kran neigt sich, und die um das Boot geschlungenen Gurte gleiten über den Sechs-Tonnen-Riesen hinweg. Von einem Motorboot gezogen, verschwindet das zwölfeinhalb mal viereinhalb Meter große Boot allmählich aus dem Blickfeld der Schaulustigen am Dreyer Hafen. Ziel ist der 108 Meter lange E-Steg der Marina im Wieltsee, wo das außergewöhnliche Wohnobjekt von nun an fest liegen soll.
Und so einsam wie jetzt soll das Boot auch nicht bleiben: Eine kleine Siedlung wird entstehen. „Drei weitere Boote sollen folgen“, sagt Ralf Hartwig, der die Hausbootreihe gemeinsam mit einer polnischen Firma Reingard Design konzipiert hat. Das nächste schwimmende Haus ist zunächst auf der Messe Hanseboot in Hamburg zu bewundern, bevor es sich im Oktober zu dem Erstankömmling gesellt. Die Domizile möchte Hartwig vorrangig verkaufen. Kommende Saison sollen zwei Boote probehalber zur Vermietung stehen.
Die Boote werden an das Strom- und Abwassernetz der Marina angebunden. Man könnte sogar völlig unabhängig von den Witterungsverhältnissen auf den Booten leben, sagt Hartwig. Sie sind ihm zufolge winterfest verglast, isoliert und verfügen über eine Klimaanlage.
Auch eine Menge Komfort bietet das Boot. Zwei Schlafzimmer, ein voll ausgestattetes Bad, eine Wohnküche, eine überdachte Terrasse mit Möglichkeit, ins kühle Nass zu springen, und eine Dachterrasse sind vorhanden. Große Fenster und Glastüren bieten einen guten Blick auf den See. Die genaue Ausstattung ist wählbar. Einem Wohnobjekt an Land kommt das Hausboot übrigens preislich recht nah: Der Startpreis liegt bei 280 000 Euro.
Das erste Hausboot im Wieltsee hat übrigens bereits einen Besitzer gefunden. Grundsätzlich hat Hartwig, gleichzeitig Inhaber des HW Bootscenters in Weyhe, die Kundschaft 60 plus im Auge: „Unterm Strich bekunden ältere Bootsfahrer Interesse, die die Flüsse und Meere schon kennen und nicht mehr fahren möchten.“
So ist es auch bei dem frisch gebackenen Eigentümer der ersten Normadream, der sich zwischen den Schaulustigen das Spektakel aus nächster Nähe ansieht. Mit seiner Frau war der langjährige Kunde des HW Bootscenters, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, oft motorisiert auf dem Wasser unterwegs. Nun wird er das charakteristische Schaukeln auf dem Wasser des Weyher Wieltsees erleben können. „Das Risiko, allein auf der Nordsee zu fahren, möchte ich einfach nicht mehr eingehen“, sagt er.