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Angebot in Breddorf im Bau Pflege: "Versorgung ist in einigen Regionen nicht mehr gewährleistet"

Im Interview sprechen Anja Ahlers und Antje Harms über die Verzögerung bei der geplanten neuen Tagespflege in Breddorf und über die vielfältigen Herausforderungen in der Pflegebranche.
01.01.2025, 18:54 Uhr
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Von Johannes Heeg

Frau Ahlers, die neue Tagespflege in Breddorf ist ja noch gar nicht fertig, dabei wollten Sie doch schon zum 1. Dezember eröffnet haben. Wie kommt's?

Anja Ahlers: Ja, die Sache hat sich verzögert, weil wir länger auf Genehmigungen warten mussten als gedacht. So brauchen wir für die Küche einen Fettabscheider, wie in einer Großküche. Dabei werden wir nur eine Aufwärmküche haben. Und der Statiker ist mittendrin ausgefallen. Jetzt ist aber alles da, wir kommen gut voran. Unser Atrium nimmt Formen an, und demnächst wird die neue Treppe zum Obergeschoss eingebaut. Die Sonnenhof GmbH hat bisher rund eine Million Euro in die Breddorfer Tagespflege investiert.

Wann wird eröffnet?

Antje Harms: Wir peilen den 1. März 2025 an. Unsere Tagespflege wird so ausgelegt sein, dass sich 20 Personen gleichzeitig bei uns aufhalten können. Im Moment haben wir etwa 30 Menschen auf der Warteliste. Viele von ihnen kommen schon jetzt zu unseren Veranstaltungen, die wir seit Anfang Dezember im Breddorfer Heimathaus anbieten. Da machen wir Sachen wie Bingo, Waffeln backen, Spielenachmittag, Kinovorführungen und vieles mehr. Die Idee dazu hatte Breddorfs Bürgermeisterin Susanne Schmiedel, die uns das Heimathaus und auch das Sportzentrum, wo unsere Weihnachtsfeier stattgefunden hat, kostenlos zur Verfügung stellt. Wir haben vier Mitarbeiterinnen plus einen Fahrer eingestellt.

Frau Ahlers, warum sind Sie immer noch Projektleiterin der Sonnenhof GmbH, die die Tagespflege betreiben wird, und noch nicht Geschäftsführerin?

Ahlers: Weil ich immer noch Geschäftsführerin der Tarmstedter Diakonie bin, die sich in der Abwicklung befindet. Der Insolvenzprozess ist noch nicht abgeschlossen, unter anderem, weil die Tagespflege in Tarmstedt noch nicht verkauft ist. Mit dem Verkauf hat die Insolvenzverwaltung einen Makler beauftragt. Das Geld wird gebraucht, um die Gläubiger zu befriedigen. Bis zum Ende des Insolvenzverfahrens ist Andreas Maske Geschäftsführer der Sonnenhof GmbH, ihm gehören Haus und Grundstück.

Warum betreibt die Sonnenhof GmbH nicht auch die Tarmstedter Tagespflege?

Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Mitarbeiter bei einem Betriebsübergang automatisch mitgenommen werden. Der neue Inhaber übernimmt damit auch die in den Arbeitsverträgen festgelegten Rechte und Pflichten, dazu zählen neben Lohn und Urlaub auch: besondere Urlaubsvereinbarungen und übertarifliche Bezahlung. Da alle 50 Mitarbeitenden der Diakonie einen einheitlichen Arbeitsvertrag hatten, war das Risiko zu hoch, alle Mitarbeitenden zu übernehmen. Wir hätten mit Kündigungsschutzklagen rechnen müssen.

Denkt die Sonnenhof GmbH daran, in Breddorf auch einen ambulanten Pflegedienst zu eröffnen?

Ahlers: Ganz bestimmt nicht. Das rechnet sich nicht, zumal auf dem Land. Die Kosten sind zu hoch, die Vergütungen zu gering. Genau das hat der Tarmstedter Diakoniestation das Genick gebrochen.

Harms: Wir bräuchten dafür Fachpersonal, das ist erstens teuer und zweitens auf dem Markt nicht zu bekommen. Und die Entfernungen zu den Patienten sind auf dem Land groß, zwischen den Dörfern liegen oft mehr als zehn Kilometer. Da ist man manchmal länger im Auto als beim Patienten. All das zusammengenommen führt zu sehr hohen Kosten, die von den Kassen nicht refinanziert werden. Die Versorgung ist deshalb in einigen Regionen nicht mehr gewährleistet.

Ahlers: Es wird in absehbarer Zeit immer mehr Insolvenzen unter den Pflegediensten geben, wenn die Pflegesätze nicht angehoben werden. Diese Erhöhung ist aber nicht in Sicht, stattdessen geht die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinander. Außerdem nimmt auch die Bürokratie immer mehr zu. Warum muss eine examinierte Krankenschwester, die 20 Jahre Erfahrung in der Wundversorgung hat, dafür noch 80 Stunden Zusatzausbildung machen?

Dabei werden doch immer mehr Menschen zu Hause gepflegt. Dafür werden ambulante Pflegedienste gebraucht.

Ahlers: Genau. Doch leider mussten in den vergangenen Monaten etliche Pflegedienste schließen, weil sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren oder sogar insolvent wurden.

Was genau war das Problem, das zur Insolvenz der Tarmstedter Diakonie geführt hat?

Ahlers: Unter anderem das sogenannte Tariftreuegesetz. Seit September 2022 sind Pflegedienste verpflichtet, ihrem Personal einen tarifähnlichen Lohn zu zahlen. Das ist gut für die Pflegekräfte, die besser bezahlt werden, erhöht aber die Personalkosten um etwa 30 Prozent. Leider bekommen die Pflegedienste diese erhöhten Kosten bei Weitem nicht voll erstattet. Vor allem die teuren, hoch qualifizierten Pflegekräfte, die eine anspruchsvolle medizinische Versorgung leisten, können oft nicht mehr finanziert werden.

Haben Sie ein Beispiel?

Harms: Die Versorgung einer großflächigen Wunde dauert manchmal eineinhalb Stunden, was die Pflegedienste teilweise mehr als 45 Euro kostet. Von den Kassen gibt es dafür aber nur eine Pauschale von 30 Euro. Hinzu kommt die Inflation, die Benzin, Strom und Verbrauchsmaterial viel teurer gemacht hat. Dafür gibt es keinen Ausgleich. Klar, dass da die Rechnung nicht aufgeht.

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Trifft das mit der Bürokratie auch auf die Tagespflege zu?

Selbstverständlich. Nehmen wir zum Beispiel unsere Mitarbeiterinnen für den hauswirtschaftlichen Dienst. Deren Aufgabe ist im Wesentlichen einkaufen und reinigen, und dennoch müssen sie einen 40 Stunden umfassenden Lehrgang für Alltagsbegleiter nachweisen, in dem es unter anderem auch um Patientenverfügungen, Vorsorgevollmacht und rechtliche Betreuung, Beratungsangebote der Pflegekassen und Pflegestützpunkte, um Krankheitsbilder und den Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten geht. Und sie müssen ein qualifiziertes Führungszeugnis vorlegen, ein einfaches reicht nicht. Das kostet uns 800 Euro plus die Arbeitszeit. Der Kurs muss alle zwei Jahre aufgefrischt werden. Das ist schon eine hohe Hürde für Mütter, die gerne halbtags arbeiten wollen.

Harms: Und die Vergütung ist auch in diesem Bereich knapp. Als Fahrtkostenpauschale für den hauswirtschaftlichen Dienst hätten wir gerne sieben Euro, im Raum stehen derzeit noch sechs Euro.

Unter der Bürokratie leiden sicher auch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen?

Ahlers: Ja, das ist wirklich ein großes Problem. Viele wissen gar nicht, was ihnen zusteht, welche Leistungen es gibt, was sie kosten, und wer das bezahlt. Auch die Angehörigen sind oft überfordert, wenn sie Anträge ausfüllen müssen. Daher werden wir in unserer Tagespflege eine Beratungsstelle einrichten. Sie soll die Betroffenen ermutigen und unterstützen.

Das Interview führte Johannes Heeg.

Zur Person

Anja Ahlers (48) und Antje Harms (44)

Ahlers ist Betriebswirtin und B.Sc. Psychologie. Sie ist Projektleiterin der Sonnenhof GmbH, die in Breddorf eine Tagespflegestation betreiben will. Zuvor war sie Geschäftsführerin der Diakoniesozialstation Tarmstedt. Harms ist gelernte Pflegefachkraft in Kinderpflege und Altenpflege und arbeitet als Pflegedienstleitung in der Seniorentagesstätte Sonnenhof.

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