Herr Beckerhoff, Sie sind seit über 50 Jahren im Musikgeschäft. Wie hat sich der Jazz in Deutschland verändert?
Ulrich Beckerhoff: Er hat sich nicht nur in Deutschland verändert, sondern man muss es sogar international fassen: Die instrumentalen Fähigkeiten der Musiker sind in den letzten 20 bis 30 Jahren unglaublich gewachsen. Dies ist vor allem der ungeheuren Zahl an großartigen Ausbildungsmöglichkeiten zuzuschreiben. Alleine in Deutschland gibt es 18 Musikhochschulen, an denen man Jazz im Hauptfach studieren kann. Zudem hat der Faktor Marketing an stärkerer Bedeutung als je zuvor im Jazz gewonnen.
Was macht Jazz für Sie aus?
Der Jazz hat von meinem 20. Lebensjahr an bis heute mein ganzes Sein bestimmt und hat mich mein Leben so außerordentlich spannend und glücklich gestalten lassen. Jazz ist für mich eine Art des Denkens, Fühlens und Handelns. Das bedeutet Freiheit, Spontanität, Kommunikation und Achtsamkeit.
Warum ist das Genre, das oft auch als Katzenmusik abgewertet wird, für viele Menschen immer noch so unzugänglich?
Ich habe bisher in meinem Leben nicht wahrnehmen können, dass Jazz abgewertet wurde. Sicherlich bedarf es gewisser Hörerfahrung mit diesem Musikgenre. Jazz ist die erste Weltmusik – seit ihrer Entstehungszeit etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts –, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Jazz ist die einzige Musikform, die sich allen anderen musikalischen Genres aus allen Kulturen dieser Welt bis heute geöffnet hat, und das wird auch in der Zukunft so bleiben.
Was raten Sie Menschen, die vielleicht ein wenig Scheu vor dem Jazz haben?
Jazz erschließt sich einem Hörer als allererstes durch die Live-Erfahrung. Die Menschen müssen in die Konzerte gehen, um den Spirit von Improvisation und Kommunikation zu erleben. Wenn Jazz auch mehr in den öffentlich Medien – Radio, Fernsehen und Presse – präsentiert würde, würde diese Musik auch in ganz anderer Art und Weise von einem breiteren Publikum geschätzt werden. Andere Länder in Europa können da ein Vorbild für Deutschland sein.
In Stuhr treten Sie gemeinsam mit Nachwuchskünstlern auf. Wie verändern neue Künstler den Jazz?
Wie in jeder anderen Kunstform, der Bildenden Kunst, dem Theater, der Literatur und der klassischen Musik aller Kulturen der Welt, bringen neue Generationen an Künstlern Veränderungen, Weiterentwicklung, neue Ideen und neue Sichtweisen ein. So auch im Jazz. Das hat ihn in den circa 120 Jahren seiner Existenz zu einer weltweit anerkannten Kunstform gemacht.
Laut Jens Schöwing, dem künstlerischen Leiter des Stuhrer Jazzfests, suchen junge Künstler bei Ihnen Rat. Beim Jazzfest treten mit Schülern der Kreismusikschule Diepholz auch viele Kinder und Jugendliche auf. Was raten Sie Nachwuchs-Jazzern, die den Einstieg in die Branche schaffen wollen?
Es ist großartig, dass Jens Schöwing gerade jungen Musikern beim Jazzfest Stuhr ein Podium bietet, sich präsentieren zu können. Ich erinnere mich sehr gern an meine ersten Auftritte vor Publikum, die mit Sicherheit einen nicht geringen Anteil daran hatten, dass ich später Berufsmusiker geworden bin, ohne zu dem Zeitpunkt auch nur im geringsten daran gedacht zu haben.
Was hat Sie selbst zur Jazzmusik gebracht?
Mich hat mein älterer Bruder zum Jazz gebracht. Er hörte immer schon Schallplatten von Louis Armstrong, Glenn Miller, Count Basie und vielen anderen Stars aus der Zeit. Schon mit zwölf Jahren war ich fasziniert von der Kraft und Ausdrucksstärke, dem Feeling dieser Musik. Die Musiker sahen auch noch so super cool aus. Ich wollte auch so eine Musik machen.
Was wollen Sie dem Stuhrer Publikum bei ihrem Auftritt bieten?
Ich möchte gemeinsam mit meinen drei jungen Kollegen – sie sind alle circa 40 Jahre jünger als ich – dem Publikum Spielfreude, Energie, Humor, schöne Melodien, rockige Grooves, mit einem Wort einen Abend bieten, an den es sich noch lange mit viel Freude erinnern wird.
Sie waren in Ihrer Karriere bereits auf vielen Konzerten und Festivals unterwegs. Welchen Stellenwert hat für Sie das Stuhrer Jazzfest?
Festivals und Konzerte dieser Art wie das Jazzfest Stuhr bilden für mich eine der wichtigsten Säulen der Jazzszene in Deutschland und Europa. Vor allem tragen sie dazu bei, den Jazz in die Regionen außerhalb der Ballungszentren zu tragen. Ich persönlich treffe dabei viel häufiger als in den Großstädten auf ein offenes, aufmerksames und auch begeisterungsfähiges Publikum. Es macht für uns Musiker immer eine besondere Freude in der sogenannten Provinz aufzutreten.
Und welchen Ruf genießt es in der Szene?
Welchen Ruf das Jazzfest Stuhr in der deutschen und auch in der internationalen Jazzszene hat, wird Ihnen Jens Schöwing viel besser als ich beantworten können. Über eine Tatsache bin ich mir sehr sicher, ohne seine Antwort im Detail schon zu kennen: Er bekommt jedes Jahr hunderte von Anfragen von Bands aus der ganzen Welt, die in Stuhr auftreten möchten. Das ist der Ruf solcher Festivals wie der des Stuhrer Jazzfestes.
Sie sind vor Kurzem 70 geworden. Welche Projekte stehen für Sie aktuell an?
Ich werde in diesem Jahr weitere Konzerte in Deutschland und im Ausland anlässlich meines 70. Geburtstages geben. Darüber hinaus arbeite ich an einer neuen CD-Produktion, die im Frühjahr beginnen wird.
Das Interview führte Eike Wienbarg.