Jürgen Wetjen aus Kirchweyhe erkrankte 1947 an Polio, auch bekannt als Kinderlähmung. Die Zeit im Krankenhaus bezeichnet er als schlimm. Heute leidet er an dem Post-Polio-Syndrom (PPS) und leistet Aufklärungsarbeit.
Weyhe-Kirchweyhe. Jürgen Wetjen ist sechs Jahre alt, als sich sein Leben plötzlich schlagartig ändert: Er erkrankt an Polio, auch bekannt als Kinderlähmung. An die Zeit kann sich der Kirchweyher noch gut erinnern. Im Nachkriegs-Bremen lag er 1947 in der St.-Jürgen-Klinik. Alleine essen konnte er nicht, er war gelähmt. "Neben mir war überall Schutt, man sah auch die eine oder andere Ratte. Das war eine schlimme Zeit für mich", so der 72-Jährige. 1949 wurde er dann ins Anna-Stift nach Hannover verlegt, seine Zustand besserte sich.
Seine Kindheit konnte er nahezu problemlos verleben. "Ich konnte mit dem Fahrrad zur Schule fahren, wurde nicht von Mitschülern gehänselt und kam immer gut zurecht." Zudem spielte er Tischtennis, nahm an Wanderungen teil und blies lange das Bariton-Horn im Blasorchester der Sportvereinigung Kirchweyhe. Die Krankheit war überstanden.
Probleme mit dem Herzen
Doch Mitte der 1970er-Jahre verschlechterte sich sein Zustand wieder. Er bekam Probleme mit dem Herz, dann kam noch Diabetes hinzu. "Ab 1998 merkte ich, dass mir das Laufen immer schwerer fiel. Mir fehlte einfach die Kraft", so Jürgen Wetjen. Die Ärzte, die er konsultierte, zogen zunächst keine Verbindung zur Polio-Erkrankung in seiner Kindheit. Das änderte sich erst im Jahr 2008, als bei ihm das unter Ärzten lange Zeit unbekannte Post-Polio-Syndrom (PPS) diagnostiziert wurde. Die Kinderlähmung von einst macht sich durch Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Muskelschwäche bemerkbar. Nach etwa 35 Jahren könnten diese Beschwerden auftreten, so Wetjen.
Das Leben des heute 72-Jährigen geriet erneut ins Wankeln. Aber auch diesmal ließ er sich davon nicht einschüchtern. Sport kann und darf er nur noch sehr bedingt machen. Zu seinen Aktivitäten zählen heute vor allem Physiotherapie, Rad mit Elektrounterstützung fahren und die eine oder andere Massage. Im Haushalt sei er keine große Hilfe mehr und bald müsse er sich wohl auch mit dem Rollator anfreunden. "Das wird sicherlich nicht einfach. Bisher nutze ich nur einen Gehstock. Ein Rollator ist noch mal etwas ganz anderes." Dennoch: Er hat sich so gut es geht mit der Krankheit arrangiert.
Was ihm heute wichtig ist, ist Aufklärungsarbeit. "Kinderlähmung ist in Europa so gut wie ausgerottet", so Jürgen Wetjen. In der 1960er-Jahren habe die Bundesrepublik mit zahlreichen Kampagnen und Schluckimpfungsaktionen versucht, die Krankheit auszumerzen – mit Erfolg. Wo aber noch Aufklärungsarbeit nötig sei, sei bei der Krankheit Post-Polio-Syndrom. Bei etwa 100000 Menschen in Deutschland sei PPS bisher diagnostiziert worden. "Angenommen wird, das es in Deutschland 2,5 Millionen infizierte Personen gibt, die ein PPS entwickeln können", sagt Jürgen Wetjen.
"Das Problem ist, dass die Krankheit und ihre Spätfolgen in Vergessenheit geraten sind. Beim Studium der Medizin und in der Ausbildung der Physiotherapeuten spielt diese Krankheit keine Rolle mehr", so Wetjen. Daher gestalte sich die Diagnose und die richtige Behandlung oft als schwierig, so der 72-Jährige.
Daher entschied er sich 2012 auch dafür, aktiv für Aufklärungsarbeit zu sorgen. Er trat dem Verein Polio Selbsthilfe bei und ist seitdem für die Region Bremen und Umland zuständig. Bisher sind 31 Mitglieder aus der Region im Verein. Wichtig ist Jürgen Wetjen aber nicht nur die Beratung der erkrankten Menschen, sondern auch die Suche nach Ärzten, die sich mit diesem Thema beschäftigen. "Denn da fängt das Problem an: Wo findet man für die Krankheit den richtigen Arzt?".
Informationen zum Thema Post-Polio erteilt Jürgen Wetjen unter der Telefonnummer 04203 / 6893.