Rotenburg. Verkohltes Holz in der Feuerstelle erinnert noch an das Kinder-Wildnis-Camp, das vor Kurzem als erste Veranstaltung im Rahmen der Corona-Lockerungen wieder stattfinden konnte. Vor dem Fachwerkhaus sitzt ein Mann mit Kaffeepott an einem der Tische. Kinder wuseln über den Hof, die Tür zum Hofladen steht auf. Der Weg des Gemüses in die Holzkisten misst nur wenige Meter, die Gewächshäuser des Hof Grafel in Rotenburg stehen in Sichtweite, genau wie die Ponys. Eingerahmt wird diese Sommeridylle mit großer Spielwiese von Wald und Wiesen, und dem Badesee und einem Seerosenteich ganz in der Nähe. 1963 haben die Großeltern von Kathrin Peters ihren landwirtschaftlichen Betrieb in einen Ferienhof umgewandelt. Inzwischen leiten ihn die nächsten beiden Generationen und Enkelin Kathrin Peters praktiziert das, was sie sich als Zukunftsmodell für die ganze Gesellschaft erhofft: Einen Lebensstil, der die Erde nicht übernutzt.
Entscheidung gegen Wachstum
1963 überlegten die Großeltern, wie sie den Hof erhalten könnten. Viele entschieden sich seinerzeit für Wachstum. Das wollten sie nicht, so Kathrin Peters. Sie bauten den Kuhstall zur Gästediele um und begannen mit Urlaub auf dem Bauernhof. „Jetzt spinnen die“, habe es damals geheißen. Heute können Urlauber allein in Niedersachsen aus über 300 Bauern-, Land- und Reiterhöfen, Heuhotels sowie Hofcafés und -läden ihren Favoriten auswählen.
Wenn Kathrin Peters das Hofkonzept beschreibt, taucht das Wort Nachhaltigkeit nicht auf. Sie, ihre Eltern, die Mitarbeiter und Freiwilligen des Hofes leben den Gedanken dahinter einfach und dieser bedeutet für sie etwa Ökostrom und vegan-vegetarische Mahlzeiten für die Gäste. In den Topf kommen Gemüse und Obst aus eigenem Anbau – ohne Pestizide. Der Honig stammt aus der Hof-Imkerei. Was kaputt geht, wird repariert, erzählt Peters und deutet auf die Fuhrparkflotte des Hofes. Die reicht von Dino-Cars für Kinder bis zum Fahrradverleih. Die Möbel in der Diele verströmen einen einladend nostalgischen Charme. Hier ist der Treffpunkt der „Gästegemeinschaft auf Zeit“. Warum alle fünf Jahre neue Möbel, fragt Peters. Sie halte es nicht wie andere Höfe, die sich an Hotel-Standards messen.
Ihr geht es um etwas anderes: Der Naturentfremdung will sie entgegen wirken, die Verbindung zur Natur vermitteln. Dazu hat die Sozial- und Wildnispädagogin beispielsweise das Kinder-Wildnis-Camp entwickelt. Ohne Eltern beobachten sie mit Peters und deren Helfern Tiere, lernen Feuer anzünden oder Schnüre aus Brennnesseln herstellen und Salbe aus Fichtenharz.
Diese Mischung aus Natur und Tier kommt offenbar gut an. Überwiegend Stammgäste verbringen ihre Ferientage auf dem Grafel-Hof, wie die zehnjährige Linda. Sie ist mit ihren Eltern gerade zum neunten Mal da und streichelt Pony Mingo begeistert ab. Man hat hier alles, schwärmt die Mutter: Natur und Moorspaziergänge, Essen, Hofladen, Yoga. Und: „Die Familie Peters ist so gastfreundlich.“ Zweimal im Jahr packt die Familie seit 2014 dafür die Koffer und fast entschuldigend sagt sie, dass sie mit dem Auto aus der Nähe von Düsseldorf anreisen, denn nachhaltiger Urlaub sei der Familie wichtig. Der Herbst ist wieder gebucht. Auf dem Grafel-Hof ankommen, „ist wie nach Hause kommen“. Und vielleicht folgt Linda einmal dem Vorbild der 17-jährigen Bremerin, die mit ihrer Freundin an der Pferdegruppe vorbeischlendert. Seit 14 Jahren besucht sie regelmäßig den Hof. Im nächsten Jahr will sie als Praktikantin wieder kommen. „Freiwillige Helfer auf ökologischen Höfen“, kurz Wwoofer genannt, sind auf dem Hof ebenfalls willkommen.
Das Gefühl, auf dem Rotenburger Grafel-Hof nach Hause zu kommen, schätzen auch Merle Otto und Maurice Redetzky aus Bremen. Kaum angekommen, flitzen Alva und Noam sofort los und können sich den ganzen Tag auf dem Hof beschäftigen. Von der Fahrt müssen sich die Vierjährige und der Einjährige nicht erholen. Ganze eineinhalb Stunden braucht die Schwachhauser Familie mit Zug und Fahrrad von Haustür zu Haustür. Und sie bleibt bei jedem Aufenthalt etwas länger. Zehn Tage sind es diesmal, für das nächste Mal haben sie zwölf gebucht, lacht Merle Otto.
Wer sich solch einen Urlaub nicht leisten kann, hat bei den Peters trotzdem eine Chance. „Wir haben ein Solidarisches Zimmer“, sagt Kathrin Peters, „wo die Gäste selber entscheiden können, was sie zahlen.“ Manche dieser Gäste helfen dann mit auf dem Hof. Andere zahlen mehr, als solch ein Zimmer koste. Kathrin Peters versteht das Zimmer als ein Zeichen für Vertrauen und Mitmenschlichkeit und für den Ausgleich zwischen denen, die viel Geld und denen, die wenig Geld haben. Ihre Vision einer zukunftsweisenden Gesellschaft basiert auf einer „Kultur des Miteinanders“ von Mensch, Tier und Pflanzen. Diese vermittle sie nicht nur im Denken, sondern mit Erlebnissen und Erfahrungen. Wer auf dem Grafel-Hof Urlaub macht, kann Zufriedenheit in der Einfachheit finden. Dazu gehört auch der bewusste Verzicht auf eine anonyme Buchungsplattform. „Der Urlaub beginnt mit dem ersten Kontakt“, so Peters. Statt per anonymer Buchungsplattform gibt es diesen telefonisch oder per E-Mail.
Und Kathrin Peters Wirken geht über den Urlaub hinaus. An der Schuppenwand bläht der Sommerwind ein Laken auf, das für den Erhalt des Hambacher Forstes bemalt worden ist. Und für ein anderes ihrer Projekte wirbt ein Plakat an der Hofladentür, der Regio Challenge „Iss, was um die Ecke wächst“.
Weitere Informationen
Informationen zum Ferienhof Grafel gibt es im Internet unter www.hof-grafel.de.