Die Gewalt an deutschen Krankenhäusern nimmt zu: In 73 Prozent der Kliniken ist die Zahl gewalttätiger Übergriffe in den letzten fünf Jahren gestiegen, wie eine Umfrage im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ergab. Besonders in Notaufnahmen, wo verstärkt Personalmangel herrscht, werden Beschäftigte immer öfter Opfer von Übergriffen durch Patienten oder deren Angehörige. Dieses Bild spiegeln auch die Ereignisse der vergangenen Wochen im Rotenburger Agaplesion Diakonieklinikum wider. Gleich zwei Mal innerhalb kurzer Zeit war es hier im August zu Angriffen auf das Personal gekommen – im ersten Fall durch Familienmitglieder eines in der Klinik Verstorbenen, im zweiten Fall direkt durch einen Patienten. Die Ermittlungen der Polizei dauern laut Sprecher Marvin Teschke in beiden Fällen noch an.
Als besonders einschneidend erlebten die Beschäftigten den Angriff der Familienmitglieder. "Es war eine Situation, in der viele Angehörige das Haus aufgesucht haben und auch die Behandlung in Frage gestellt haben. Hierbei kam es auch zu körperlichen Übergriffen auf unsere Mitarbeitenden", berichtet der Theologische Direktor Lars Wißmann. Der Tumult habe mehr als zwei Stunden angedauert, der behandelnde Arzt sei dabei leicht verletzt worden. Hinweise auf ärztliche Fehler lagen nach Angaben der Polizei nicht vor.
"Das wollen wir nicht tolerieren", betont Wißmann. Auch er berichtet von einer allgemeinen Zunahme solcher Dynamiken und Übergriffe in den vergangenen Jahren. Gerade in Verbindung mit Alkohol- oder Drogenrauschzuständen bestehe ein hohes Gewaltrisiko – in den meisten Fällen in Form von verbalen Angriffen, aber immer häufiger auch physisch.
Maßnahmen zur Prävention und Nachsorge
Ähnliches schildert auch das Kreiskrankenhaus Osterholz. Zu einem Übergriff im Ausmaß des Vorfalls in Rotenburg sei es zwar noch nicht gekommen, aber: "Die Häufigkeit der Vorfälle, insbesondere verbale Auseinandersetzungen, sind in den vergangenen Jahren tendenziell gestiegen", teilt Sabine Schäfer, Sprecherin des Landkreises Osterholz mit. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, gebe es an beiden Kliniken verschiedene Sicherheitsvorkehrungen, die von Schulungen und Prävention bis hin zur Nachsorge reichen.
"Die Mitarbeitenden werden regelmäßig in Form von Deeskalationstrainings im Umgang mit derartigen Situationen geschult", berichtet Schäfer. Darüber hinaus biete man auch Einzel- und Teamcoachings an. Für den Umgang mit Auseinandersetzungen und Übergriffen gebe es im Kreiskrankenhaus entsprechende Verfahrensanweisungen für das Personal und Notfallknöpfe zur Anforderung von Unterstützung oder Alarmierung.
Der Gesundheitskonzern Agaplesion, zu dem das Krankenhaus in Rotenburg gehört, hat in diesem Zusammenhang die Initiative "AGA gegen Gewalt" ins Leben gerufen. Sie soll nach eigenen Angaben dabei helfen, der Gewalt mit gezielten Maßnahmen der Vernetzung, Analyse und Unterstützung zu begegnen.
Zusammenarbeit mit örtlicher Polizei
Daneben gibt es laut Wißmann in der Rotenburger Klinik einen Sicherheitsdienst. "Die Dynamiken solcher Situationen sind aber sehr unterschiedlich", betont der Theologische Direktor. "Wir brauchen hier Unterstützung externer Stellen und/oder Partner, denn bisher ist es den Krankenhäusern – auch den Psychiatrien – überlassen, Kosten für Sicherheitsdienste aufzuwenden." Anlässlich des Übergriffes der Angehörigen wolle man nun noch einmal die internen Strukturen und Prozesse überprüfen.
Die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei hingegen funktioniere bereits sehr gut. "Wir sind den Kolleginnen und Kollegen der Polizei dankbar für deren verlässliche Präsenz im Hintergrund und rasche Vor-Ort-Präsenz bei Bedarf", sagt Wißmann. Polizeisprecher Marvin Teschke lobt das Miteinander ebenfalls. "Wir stehen im engen und vertrauensvollen Austausch und rücken aus, wenn die Notwendigkeit besteht", erzählt er. An der generellen Einsatzstrategie habe sich seit dem Vorfall an der Klinik nichts verändert. "Das bisherige Konzept hat sich als zuverlässig und gut eingespielt erwiesen." Ähnlich sieht es im Kreiskrankenhaus Osterholz aus: Auch dort hebt Klinikleiterin Doris Sonström die gute Zusammenarbeit mit den Polizeikräften vor Ort hervor.
Psychische Belastung der Mitarbeiter steigt
Neben verbalen und körperlichen Übergriffen nehmen auch sexualisierte und rassistische Gewalt verstärkt zu. Oft mit gravierenden Folgen für die Betroffenen: Laut der durch die DKG beauftragten Studie geben nur 13 Prozent der Kliniken an, dass die Mitarbeitenden psychisch unbeeinträchtigt blieben. In fast einem Viertel der Krankenhäuser kam es im Zusammenhang mit gewaltvollen Übergriffen sogar zu Kündigungen.
Auch zur Nachsorge versuchen die Kliniken in Rotenburg und Osterholz deshalb, ein ausreichendes Angebot für die Betroffenen zu schaffen. "Sofern gewünscht, gibt es eine professionelle externe Beratung, die nach derartigen Situationen den Vorfall gemeinsam mit den Betroffenen aufarbeitet", erzählt Schäfer. "Wir wollen Wege finden, wie wir den bestmöglichen Schutz für alle herstellen können", betont auch Wißmann. "Ein Krankenhaus ist ein Krankenhaus – da hat Gewalt keinen Platz!"