Hans-Joachim Schulz aus Verden ist überglücklich. Endlich gibt es wieder einen Schuster in der Stadt. Nachdem Hartmut Meyer (54) zu denen gehört hat, die in der Kaufhalle am Blumenwisch das Licht ausgemacht haben, und auch die Schusterwerkstatt an der Oberen Straße ihre Pforten geschlossen hat, gab es lange keinen Schuster mehr in Verden. Doch die Zeiten, in denen Schulz eigens mit seinen kaputten Tretern nach Posthausen oder Bremen fahren musste, gehören nun endlich der Vergangenheit an. Im Frühling hat Meyer sein neues Geschäft an der Herrlichkeit eröffnet.
Kurz nachdem er dort die Türen aufgesperrt hatte, überschütteten ihn seine früheren Stammkunden zum Einstand mit Geschenken. „Viele dachten, ich hätte hier einen Blumenladen aufgemacht“, erzählt er schmunzelnd. Mindestens fünfzehn Sträuße standen fortan bei ihm in der Auslage. „Meine Kunden haben mir sogar Schuhe geschenkt“, zeigt der Schuster stolz auf seine kleine aber feine Sammlung an Deko-Schuhen. Daneben reihen sich die Dreifüsse aneinander.
Mittlerweile hat es sich größtenteils rumgesprochen, dass der Brokser (Bruchhausen-Vilsen) wieder Schuhe in Verden repariert, Uhrenbatterien wechselt und Armbänder austauscht. „Einige Stammkunden aus der Kaufhalle suchen mich aber immer noch“, weiß Meyer. Den genauen Standort seines Geschäfts namens Hartmuts Schuh- und Schlüsseldienst erklärt er ihnen meistens mittels einer kleinen Eselsbrücke: „Bei den Jüngeren sage ich immer neben Subway und bei den Älteren gegenüber von ehemals von Ahsen.“
Hans-Joachim Schulz hat den Flickschuster seines Vertrauens natürlich sofort wiedergefunden. Er ist froh, dass er nun nicht eigens mehr weite Fahrten mit dem Auto zurücklegen muss, wenn er seine Sommerschuhe nähen und kleben lassen will oder im Herbst neue Absätze braucht. Den gewohnten Service aus Kaufhallen-Zeiten, wo er noch Franchise-Partner von Mister Minit war, bietet Meyer seinen Kunden auch an der Herrlichkeit an, allerdings bis auf eine winzig kleine Änderung: „Gravuren mache ich jetzt nicht mehr“, erläutert er.
Für den Neustart in der Verdener City musste er sich im Vorfeld eigene Maschinen anschaffen. In Hamburg hat der 54-Jährige sofort die richtigen gefunden. Neben einer Schleifmaschine braucht es in der Schusterwerkstatt natürlich auch eine Nähmaschine sowie eine Presse. Die Schlüsselmaschine nicht zu vergessen. Meyer, der über drei Jahrzehnte lang der „Mister Minit“ der Kaufhalle war, steht neben seinem handwerklichen Geschick und seinem kundenfreundlichen Service noch für etwas anderes: für Kommunikation. Schon in der Kaufhalle haben die Kunden gerne eine Tasse lang mit dem „lieben Hartmut“ geschnackt, diese gute alte Tradition wird nun natürlich auch an der Herrlichkeit fortgesetzt. „Das ist die halbe Bild-Zeitung hier“, bringt es Stammkunde Hans-Joachim Schulz schmunzelnd auf den Punkt. In der Tat, wer etwas Neues aus Verden oder umzu gewahr werden will, ist beim Schuster an der richtigen Adresse. Während er an den blau getünchten Maschinen vor sich hin werkelt, versorgen ihn die wartenden Kunden mit dem neuesten Klatsch und Tratsch oder klönen einfach untereinander. Deswegen hat Hartmut Meyer das hölzerne Podest vor seinem Schaufenster auch gleich mit bequemen blauen Sitzkissen ausgelegt.
Er ist froh, dass ihn der Eigentümer der Immobilie an der Herrlichkeit damals angesprochen und ihm somit auch die Chance auf einen Neustart in Verden ermöglicht hat. Eigentlich wollte er einmal die Schusterwerkstatt an der Verdener Obernstraße übernehmen. Doch diese Pläne zerschlugen sich irgendwann.
Auch Herma Schröder aus Holtum-Geest weiß um die Vorzüge der jetzt noch zentraleren Lage von Meyers Geschäft. Gut, mit Parkplätzen ist der Schuster jetzt nicht mehr so gesegnet wie früher noch rund um die Kaufhalle. Wer es sich noch nicht dick in den Kalender eingetragen hat, sollte allerdings wissen, dass der Schuster mittlerweile in den Friseur-Modus geschaltet hat. Heißt übersetzt: montags ist Ruhetag. „Ich habe meine Öffnungszeiten ein wenig reduziert, weil ich jahrzehntelang durchgearbeitet habe“, begründet er diesen Schritt. Wer mag es dem Schuster da verdenken, dass er sich mittags in der Zeit von 13.30 bis 14 Uhr eine halbstündige Mittagspause gönnt.
Aussterbende Spezies
Als Schuster gehört der Brokser mittlerweile einer aussterbenden Spezies an – es fehlt einfach der Nachwuchs. „Ich habe damals in Bremen gelernt, die beiden Lehrlinge, die nach mir kamen, machen inzwischen schon wieder etwas ganz anderes“, erzählt der Schuster. Früher hatte er sogar einmal eine Annahmestelle in Hoya. Ein wenig besser sehe es seiner Ansicht nach bei den Orthopädie-Schuhmachern aus.
Jeder, der zu Hause in der Küche mit stumpfen Messern hantieren muss, wird sich nach den Zeiten zurücksehnen, als noch die mobilen Messerschleifer über Land fuhren. Hartmut Meyer hat diesen Bedarf erkannt und bietet deswegen auch einen Messerschleif-Service an. So kommt Stammkunde Hans-Joachim Schulz also nicht nur gut beschuht durch den Herbst, sondern hat auch immer eine scharfe Klinge daheim.