Eine Kundin hat Tränen in den Augen, als sie zum letzten Mal eine in rosafarbenes Papier verpackte Wurst aus den Händen des Fleischers mit der gestreiften Schürze entgegennimmt. Ein älterer Herr überreicht eine bunt eingewickelte Flasche, eine Kollegin von nebenan kommt mit einem Strauß Blumen vorbei. Nach mehr als 50 Jahren auf dem Wochenmarkt verschwindet der Stand von Heinz-Herbert Bartels.
Der Verdener Fleischer ist 68 Jahre alt. Das ist einer, aber nicht der einzige Grund dafür, dass er seinen Stand am Freitagmorgen zum letzten Mal aufgebaut hat. „Es hat sich vieles verändert und leider oft zum Negativen“, sagt das Verdener Urgestein.
Blutwurst, Mettwurst und Mortadella liegen hinter einer Scheibe in der Auslage, an großen Fleischerhaken an der Wand hängen Rippchen und Schinkenspeck. Bartels gehört zur alten Schule: Einmannbetrieb, 90 Prozent Stammkunden, Handarbeit. In seinem Haus an der Großen Fischerstraße hat er insgesamt 40 verschiedene Wurstsorten hergestellt. Geschlachtet hat er nicht selbst, er bekam das Fleisch angeliefert.
Und da ist er bei einem der Punkte, die sich in den vergangenen Jahren verändert hätten: „Die Qualität des Fleisches ist nicht mehr so, wie sie war“, sagt Bartels. Die kleinen Betriebe gebe es kaum noch, bei den großen gehe alles um billige Produktion. Gerade bei Schweinefleisch mache sich das bemerkbar – es enthalte mehr Wasser als früher, ist Bartels Erfahrung. Außerdem habe die Wurst, die heute sonst bekomme, „mit Handwerk oft nichts mehr zu tun“.
Viermal die Woche auf dem Markt
Zweimal in der Woche hat er seine Ware auf dem Markt in Bremen-Gröpelingen verkauft, zweimal in Verden. „Und dazwischen muss man ja auch irgendwann produzieren“, sagt der 68-Jährige. Mit den Jahren hat er sich viele Stammkunden erarbeitet, die ihm die Treue hielten. „Den Sonntag habe ich bisher nicht gekannt, aber jetzt lerne ich ihn ja kennen“, sagt er und lacht. In seinem Betrieb ist er sein eigener Chef, Angestellte hatte er nie. „Ich war in all den Jahrzehnten zum Glück auch nur zweimal krank“, sagt er.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft habe auch das Bild des Wochenmarktes verändert. Es gebe nur noch wenige Selbstanbauer, eher die großen Betriebe von weiter weg. „Heute gehen die Kunden nur zu X,Y,Z und dann nach Hause. Man kennt sich nicht mehr, den Großen fehlt der lokale Bezug. Es bilden sich keine Gesprächsrunden, durch die die Leute früher länger auf dem Markt blieben“, hat Bartels beobachtet. Auch die Zusammenarbeit mit der Stadt habe ihn mitunter verärgert. Wenn man ein Problem hatte, habe es geheißen, dass man ja auch wegbleiben könne, während die neuen Beschicker eher hofiert worden seien, so Bartels Wahrnehmung. „Bei Veränderungen hat man einfach gemacht, ohne vorher mit uns zu reden“, kritisiert er.
An seinem letzten Tag ist Bartels ein bisschen wehmütig, aber zufrieden mit seiner Entscheidung. Was er nun mit seiner Zeit macht, die sonst ganz mit Arbeit ausgefüllt war, weiß er noch nicht. „Golf kommt für mich nicht in Frage“, sagt er schmunzelnd. Gelernt hat der Verdener zur Hälfte bei Vater Heinrich, zur anderen in einem Betrieb in Bremen. Seinen Meister machte er 1970. Das eigene Geschäft an der Großen Fischerstraße schloss die Familie schon vor 35 Jahren – es habe sich wegen der abseitigen Lage nicht mehr gelohnt. Seit 1962 stand der Familienbetrieb auf dem Wochenmarkt in Verden, 40 Jahre lang führte Heinz-Herbert Bartels den Laden in Eigenregie. Für ihn solle es schon einen Nachfolger geben – auch wieder ein Fleischer. Allerdings, so Bartels, komme der wohl von weiter weg.