Am ersten Prozesstag musste seine eingehende Einlassung aus Zeitgründen abgebrochen werden, ehe es überhaupt um die zahlreichen Tatvorwürfe aus dem Jahr 2016 ging. Der heute 31 Jahre alte Angeklagte hatte erst einmal weit ausgeholt und seine damalige, angeblich sehr angespannte Lebenssituation geschildert – heftige Seitenhiebe auf die frühere Ehefrau eingeschlossen. Beim Fortsetzungstermin zeigte sich der Dörverdener nun auch auskunftsfreudig, als die große Wirtschaftsstrafkammer des Verdener Landgerichts erfahren wollte, wie er eigentlich an die vielen manipulierten Kreditkarten gekommen war, die bei ihm gefunden wurden. Und vor allem, wie er damit mehr oder weniger einträglich hantiert hat.
Die Staatsanwaltschaft Verden legt dem Computerfachmann vor allem „gewerbsmäßige Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion“ zur Last (wir berichteten). In der Anklageschrift sind genau 71 Fälle aufgelistet, in denen diverse aufladbare Karten mit den Daten fremder Personen zum Einsatz gekommen sein sollen. Der entstandene Gesamtschaden wird auf knapp 13.500 Euro beziffert. Eine solche Summe unterm Strich auch nur annähernd erlangt zu haben, wies der redegewandte Angeklagte auf Nachfrage allerdings weit von sich. „Die Sache hat sich nicht wirklich gelohnt“, lautete sein persönliches Fazit.
Ehe er dieses zog, hatte er aus Sicht der Kammer „ein fast vollständiges Geständnis zu allen Taten“ abgelegt. Das Gericht neigt dazu, dies war schon zum Auftakt deutlich geworden, von einer wesentlich geringeren Anzahl an relevanten Einzelfällen auszugehen beziehungsweise eine Beschränkung auf etwa 15 „prozessual einheitliche Taten“ vorzunehmen. Ob der Mann sich auch noch hinsichtlich einer ganz anderen Tat äußern wird, die er verübt haben soll, blieb vorerst offen.
Verdacht auf Einbruch
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den 31-Jährigen auch Anklage wegen Verdachts des Einbruchs erhoben, das diesbezügliche Verfahren jedoch im Hinblick auf das derzeit laufende vorläufig eingestellt. Vom Tisch ist das Thema damit noch nicht. Er möge in Ruhe über eine eventuelle Aussage dazu nachdenken, riet der Vorsitzende Richter dem Angeklagten. Das Stichwort Einbruch war erst gefallen, als die Verfahrensbeteiligten detailliert die verschiedenen Kreditkarten-Komplexe durchgingen und dabei auch die Sprache auf mehrere Durchsuchungen der Wohnung des Dörverdeners kam – und auf die rund viereinhalb Monate Untersuchungshaft, die er bis Mitte Februar 2017 abgesessen hat.
In Untersuchungshaft war der Mann dem Vernehmen nach erst aufgrund der mutmaßlichen Einbruchstat geraten. Näheres, etwa Ort und Zeit, wurde zu dem Fall nicht ausgeführt. Umso intensiver die Beschäftigung mit den Fällen der gefälschten Karten, deren Herkunft, Funktion, Verwendung, Kosten und auch Tücken. Er habe seinerzeit arge finanzielle Probleme gehabt und „nach einer Möglichkeit gesucht, schnell an Geld zu kommen“, erklärte der Angeklagte seine Ausgangslage. Und fügte noch hinzu, dass er aus dem Jahr 2009 ja „Betrugserfahrung“ gehabt und Informationsquellen gekannt habe.
Nicht im Darknet, wie es zunächst hieß, sondern „im normalen Internet“ sei er schließlich auf zwei einschlägige Foren geraten. Zumindest eines soll von der Polizei längst geschlossen worden sein. Ihm sei es wichtig gewesen, beteuerte der Mann, mit dem ins Auge gefassten Kreditkartenbetrug „möglichst keinen kleinen Leuten zu schaden“. Da sei von den Angeboten nicht mehr viel übrig geblieben.
Eines habe er allerdings als „sehr ansprechend“ empfunden. Aber es erwies sich als Reinfall. 100 Euro (die erst in Bitcoins getauscht werden mussten) habe er für eine Fälschungsanleitung gezahlt – die aber nie eintraf. Als der zweite Versuch genauso gescheitert sei, habe er fast gänzlich aufgeben wollen.
Hat er aber nicht, im Gegenteil. Denn was folgte, war der Ankauf eines „Komplettpakets“ für rund 1000 Euro „von einer Art Prämienhändler“. Die Zahl der bestellten und erhaltenen, bereits gebrauchsfertigen Karten mit gestohlenen Daten und umprogrammierten Chips schätzte der 31-Jährige auf 20 bis 30.
Für Fälle, in denen an einer Kasse eine Unterschrift nötig war, hatten die Experten im illegalen Hintergrund vorgesorgt. Das Rundum-Sortiment umfasste zum Beispiel auch einen „österreichischen Ausweis“. Mit dem Namen darin wurde unterschrieben.
Seine erworbenen Karten probierte der Angeklagte in der Regel erst einmal unauffällig an Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn aus, häufig auf dem Bahnhof in Dörverden. Klappte es, steuerte er bevorzugt Filialen eines bestimmten Discounters sowie Tankstellen an, bei denen es Aufladekarten für entsprechende Kreditkarten gibt. Bares spuckte später ein Geldautomat aus. Daneben erwarb der junge Vater auch gerne Gutscheine für den Einkauf bei einem Online-Versandhändler.