Zwei Tage vor seinem 23. Geburtstag wird der Angeklagte erfahren, welche Konsequenzen seine beiden bewaffneten Auftritte in einem Getränkemarkt im Oytener Gewerbepark haben werden. Nicht auf Durstlöscher jedweder Art hatte er es dort im Januar abgesehen, sondern auf Bargeld, das er mal wieder dringend für Drogennachschub brauchte. Damals wohnte er noch in einer Obdachlosenunterkunft. Ende Februar musste er zwecks Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde Quartier nehmen. Und wenn das Landgericht Verden nun der Empfehlung des psychiatrischen Sachverständigen folgt, wird der gebürtige Schweriner demnächst in eine Entziehungsanstalt umsiedeln.
Im Falle einer Verurteilung wäre die Unterbringung im Maßregelvollzug äußerst angebracht, erklärte Marc Schröder (Hannover) am dritten Prozesstag. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie legte bei der mündlichen Gutachtenerstattung dar, dass bei dem jungen Mann durch „multiplen Substanzkonsum“ schon länger eine ausgeprägte Drogensucht bestehe. Auch für die Tattage sei von einer „Mischintoxikation“ auszugehen sowie „sehr wahrscheinlich gleichzeitigen Entzugssymptomen“. Eine verminderte Schuldfähigkeit könne nicht ausgeschlossen werden, so Schröder. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung lägen zweifelsfrei vor.
Gewalt und Missbrauch
Der Experte für forensische Psychiatrie erläuterte aber nicht nur die eigentliche Betäubungsmittelproblematik und deren massive Auswirkungen bis hin zu vermehrter Straffälligkeit. Er zeichnete auch den komplizierten, von frühen Gewalt- und auch Missbrauchserfahrungen geprägten Lebensweg des Angeklagten nach, der insgesamt zehn Geschwister hat und in „desolaten Familienverhältnissen“ aufwuchs. „Seine Kindheit verlief traumatisierend“, sagte Schröder. Er verwies unter anderem auf „tätliche Angriffe“ durch die drogenabhängige Mutter und den Stiefvater sowie sexuellen Missbrauch durch einen Halbbruder.
Trotz allem sei der Angeklagte zunächst ein guter Schüler gewesen. Der Weg aufs Gymnasium sei ihm jedoch von der Mutter verwehrt worden. Bereits im Alter von neun Jahren habe es den „ersten Kontakt“ mit harten Drogen gegeben. Die stetige Steigerung führte dazu, dass der Schweriner sich ab dem 16. Lebensjahr Heroin und Kokain intravenös zuführte. Mehrere Therapien scheiterten, und als es mit der schon vereinbarten Ausbildung zum Koch auch nichts wurde, soll der Jugendliche sogar einen Suizidversuch unternommen haben. Er kam vorübergehend in die Psychiatrie.
Posttraumatische Belastungsstörung
In Oyten landete er schließlich, weil er sich bei seinem leiblichen Vater ein besseres Dasein erhoffte. Aber der Mann soll mit dem „verhaltensauffälligen“ Sohn bald überfordert gewesen sein und dessen „Entfernung“ aus der gemeinsamen Wohnung angestrebt haben. Wie es dann weiterging und was zum Einzug in eine Obdachlosenunterkunft der Gemeinde führte, hatte vor Gericht der Achimer Anwalt geschildert, der Mitte 2022 rechtlicher Betreuer des Angeklagten geworden war. Für den Sachverständigen Marc Schröder ergab sich als „wichtigste Diagnose“ unterm Strich eine „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“.
Der 22-Jährige muss sich, wie berichtet, vor der 2. Großen Strafkammer wegen schweren Raubes und versuchten schweren Raubes verantworten. Maskiert und mit einem Messer bewaffnet hatte er am 12. Januar rund 1960 Euro erbeutet. Noch am selben Abend war fast das gesamte Geld für die Begleichung von Drogenschulden und den Kauf von Kokain und Essen draufgegangen. Am 23. Januar war der geplante zweite Coup fehlgeschlagen. Der Angeklagte hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Nach eigenem Bekunden ist es sein größter Ehrgeiz, endlich von den Drogen loszukommen.
Das Gericht sieht für diesen Montag die Plädoyers und die Urteilsverkündung vor.