Herr Balke, Ihr Herzensprojekt, "Die Zollhausboys", ist Geschichte. Die Tour ist zu Ende, die letzten Lieder wurden gesungen, die Gruppe hat sich aufgelöst. Ganz ehrlich: Wie geht es Ihnen damit?
Pago Balke: Ja, nun ist es vorbei. Es war ein wunderbarer Abschluss einer achtjährigen Reise, eines großen Abenteuers. 17 Konzerte waren es bei der Abschlusstour. 200 waren es insgesamt. Wir haben in dieser zeit gemeinsam drei Programme geschrieben und es war klar: Es wird kein Viertes geben. Bei dieser Entscheidung war ich wohl die treibende Kraft, denn mit 70 Jahren muss ich nicht mehr den Rock-Opa machen.
Die letzten beiden Auftritte waren im Bremer Theater. Die Stadt ist nach Ihrem Wohnort Riede so was wie Ihre zweite Heimat. Sind Tränen geflossen?
Die Freude war an dem Tag so groß, dass für Trauer kein Platz war. Allerdings war es dann so, dass ich nach den letzten Klängen auf der Bühne einen Blumenstrauß bekommen habe – und da war es um mich geschehen. Wir umarmten uns alle und es wurde geheult. Das war sehr bewegend, denn es war eben auch ein Abschied. Es sind ja nicht meine Kinder, aber die Jungs kamen mit 16 Jahren aus Syrien nach Deutschland, heute sind sie 23, und ich habe sie viele Jahre begleitet. Ich kann wirklich sagen, dass "Die Zollhausboys" eines meiner schönsten Kulturprojekte waren.
War es auch Ihr emotionalstes Projekt?
Auf der Bühne weine ich eigentlich nicht, ansonsten aber schon regelmäßig (lacht). Bei Weihnachtsfilmen zum Beispiel. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ja, es war das emotionalste Projekt – und auch das zeitaufwendigste.
War der Erfolg der Zollhausboys zu erwarten?
Das konnte ich am Anfang nicht unbedingt sehen. Als wir aber 2017 unsere Bühnenpremiere hatten, da habe ich schon gemerkt, dass es eine große Sehnsucht nach authentischen Geschichten von Geflüchteten gibt. Und das gehörte immer zu unserem Programm: Das Wesentliche waren deutsche Texte und authentische Erzählungen und Lieder. Da haben wir wohl den damaligen Zeitgeist getroffen. Es war die richtige Idee zur richtigen Zeit.

Die Zollhausboys haben stets für volle Konzertsäle gesorgt. So wie hier im Achimer Kasch 2018.
Und war es auch der richtige Zeitpunkt aufzuhören? Das Ende selbst zu bestimmen, ist nicht immer leicht.
Lieber ein bisschen zu früh aufhören, als ein bisschen zu spät. Es war beim dritten Programm so, dass es neben all der Euphorie auch Stimmen gab, die gesagt haben, dass die Geschichten auserzählt sind. Das ist für mich schon eine schlimme Message. Aber so ist es wohl auch. Die Jungs sind seit acht Jahren hier, stehen voll im Leben. Für mich sind sie mittlerweile echte Bremer.
Ein Ende ist auch immer ein Anfang. Die Zollhausboys sind nicht mehr, Pago Balke ist aber immer noch da. Ein klassisches Rentnerdasein kann ich mir bei Ihnen kaum vorstellen.
Was stark in den Vordergrund rücken wird, ist meine bildende Kunst. Das musste in der Vergangenheit immer etwas hinten anstehen. Darauf habe ich richtig Lust. Mittlerweile bin ich beim Holzbildhauen angekommen. Es wird aber auch weiterhin meine satirischen Führungen in Bremen geben. Zudem gebe ich Seminare für Führungskräfte in Unternehmen. Da geht es unter anderem um das Thema Präsenz. Man könnte es aber auch humanistischen Nachhilfeunterricht nennen. Außerdem gibt es auch noch mein Buch "Charmant Provokant", da plane ich auf jeden Fall noch ein paar Lesungen. Und es gibt auch immer politische Dinge, da denke ich mir, da muss ich mich jetzt einfach einmischen.
Ich höre auf jeden Fall raus, dass Sie sich künftig nicht zurückziehen, ein bisschen mit Holz arbeiten und Tee trinken, sondern auf der Bühne auch weiterhin für Erheiterung sorgen werden – oder zum Nachdenken anregen.
Den Bühnen-Pago wird es weiterhin geben. Das kann ich allen versprechen, soll keine Drohung sein, auch wenn es für manch einen vielleicht so klingt (lacht). Ich möchte aber weniger machen. Ich war oft und viel weg von zu Hause, das will ich nicht mehr. Mit meiner Frau auf unserem Hof in Felde zu leben ist ein Privileg, dort will ich mehr Zeit verbringen.
Politisches lag Ihnen immer sehr am Herzen. Es passiert momentan viel. Vertrauensfrage in Deutschland, Neuwahlen, Donald Trump als Präsident in den USA – das sind doch rosige Aussichten für einen Kabarettisten. In der Region sind Sie ziemlich allein auf weiter Flur. Da braucht es doch einen kritischen Pago Balke.
Ja, kann man so sagen. Es gab immer Überlegungen, beispielsweise mal ein Programm gegen Rechts zu machen. Diesen Gedanken gibt es auch immer noch. Es ist aber auch grauenhaft, sich damit zu beschäftigen. Während der ersten Amtszeit von Donald Trump und dem Erstarken rechter Tendenzen in Deutschland habe ich mich viel damit beschäftigt und auch reingekniet. Ich habe aber gemerkt, dass ich davon sehr schlechte Laune bekomme. Das Böse der Welt rückt einem dann näher. Es schlägt aufs Gemüt. Aber ich werde mir auch künftig den einen oder anderen Seitenhieb auf der Bühne nicht verkneifen, das ist doch klar. Gerne würde ich auch mit anderen Kabarettisten zusammenarbeiten und mich inspirieren lassen.
Was viele vielleicht gar nicht wissen: Sie sind auch Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Ist das vielleicht noch mal etwas, was Sie gerne machen würden?
Ich habe drei Drehbücher geschrieben, eines davon ist verfilmt worden ("Verrückt nach Paris", Anmerkung der Redaktion). Zwei liegen noch bei mir in der Schublade. Die Filmindustrie ist so ein großes Geschäft, da steige ich auf gar keinen Fall mehr ein. Wirklich nur in meinen verrücktesten Träumen. Meine Heimat ist die Bühne. Das mache ich gerne.
Apropos Träumereien. Wäre die Kommunalpolitik nicht ebenfalls eine schöne Heimat für Sie?
Nein! Ich bin der Künstler und Satiriker, der lieber abseits steht und beobachtet. Als Politiker will ich mich nicht einmischen. Da gibt es andere, die das besser können. Ich könnte aber sicherlich gut Reden schreiben. Vielleicht möchte das jemand gerne? Ich finde es nämlich immer wieder erstaunlich, wie druckreif Politiker im Fernsehen reden können.
Das stimmt. Wobei auf die Fragen der Journalisten oft nicht wirklich geantwortet wird. Die werden ganz gerne umschifft – mal elegant, mal weniger elegant.
Klar, das gibt es auch. Aber ich finde, und das meine ich ganz ehrlich, es ist schon eine Qualität von Politikern, dass die nicht nur druckreif sprechen, sondern dass die Antworten auch juristisch wasserdicht sind. Bei flapsigen Antworten kriegen die das direkt um die Ohren geworfen. Ich beschäftige mich viel mit Politik, aber ich erreiche auch immer wieder den Punkt, an dem ich mich zurückziehe. Vermutlich auch eine Art Schutzmechanismus bei den vielen schlechten Nachrichten, die es so gibt.
Das Gespräch führte Onno Kutscher.