Wer Jesus oder den Evangelisten direkt ins Gesicht gucken möchte, muss hoch im Dom zu Verden hinaufsteigen. Fünf oder sechs Ebenen führt der Weg das Baugerüst hoch, denn die Darstellungen sind Teil eines rund 15 Meter hohen und vier Meter breiten Glasfensters, das restauriert und saniert werden soll. Das Fenster ist bereits von außen und von innen eingerüstet, jetzt beginnen Experten der Klosterkammer Hannover damit, den Zustand des Fensters zu beurteilen und Schäden festzustellen.
"Wir hoffen natürlich, dass wir alles reparieren können und nicht Teile ersetzen müssen", sagt Baudezernentin Christina Lippert, die bei der Klosterkammer für den Bereich Verden zuständig ist. Denn auch die Restaurierung altehrwürdiger Kirchenfenster ist letztlich eine Kostenfrage. Der Etat für die Arbeiten beträgt 220.000 Euro. Eine stolze Summe, doch müssen damit das Fenster, die Fassade und zwei Pfeiler restauriert werden, und je nach Zustand können sich die Arbeiten über einen langen Zeitraum hinziehen. "Die Sanierung des Doms geschieht abschnittsweise. Nachdem die Orgel restauriert wurde, ist jetzt das große Fenster an der Reihe", erklärt Christina Lippert.
1913 in den Dom eingebaut
Das Fenster stammt von dem Glasmalkünstler Franz Lauterbach. Es hat eine Fläche von rund 60 Quadratmetern. Die Auftragsarbeit wurde 1913 in den Dom eingebaut und hat als einziges Fenster aus dieser Zeit bis heute überdauert. "Die anderen wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört", erzählt Johannes Mädebach, Restaurator bei der Klosterkammer und Bauleiter. Seit den 1950er-Jahren, als ein Teil der Kriegsschäden beseitigt worden sei, habe die Klosterkammer das Fenster nicht mehr restauriert. Und Schäden haben sich inzwischen etliche eingestellt, wie Mädebach auflistet: Neben der Verschmutzung, haben sich die Fenster teilweise durch die Druckwelle bei Kriegsbomben gewölbt, außerdem haben sich im umliegenden Gestein Risse ergeben, sodass sich dort durch den Druck die Fensterelemente verformt haben. "Wir können jetzt schon sagen, dass sich im oberen Bereich mehr Schadstellen entwickelt haben als unten", erzählt der Restaurator. Das Fenster sei nach dem Zweiten Weltkrieg zwar in einen guten Zustand gebracht worden, im Laufe der vielen Jahre hätten sich aber neue Probleme ergeben.
Abschnittsweise unterteilt
Thematisch ist das große Fenster abschnittsweise unterteilt. Oben, in der Rosette, ist Jesus Christus zu sehen. Darunter folgt das neue Testament in Gestalt der vier Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Wieder darunter ist das Alte Testament dargestellt, es wird symbolisiert durch das Buch der Könige. Den unteren Abschluss des Fensters bildet laut Christina Lippert das Wappen des Königreichs Preußen sowie eine Abbildung des Niedersachsenrosses. Über das Leben des Künstlers Franz Lauterbach sei wenig bekannt. Er sei in den 1910er-Jahren ein gefragter Glasmaler gewesen. Welche Vorgaben er für das Domfenster hatte und wie lange er daran arbeitete, ist nicht überliefert. "Das Archiv der Klosterkammer ist in den 1940er-Jahren teilweise verbrannt. Deshalb erhoffen wir uns durch die Sanierung des Doms auch Rückschlüsse darauf, wie damals gebaut wurde und welche Materialien verwendet wurden", betont die Baudezernentin. Für Restaurator Johannes Mädebach ist aber jetzt schon klar: "Wir haben große Hochachtung vor den Baumeistern, die den Dom errichtet haben." Denn die allermeisten Sandsteine in den Dommauern sind noch erhalten. "Die größten Schäden sind unten im Sockelbereich, wo Wind und Wetter besonders stark angreifen können. Dort sind die Steine fünf Zentimeter zurückgewittert", so der Experte.

Detailansicht: Schäden wie diese sollen bei der Restaurierung verschwinden.
In jedem Fall muss der Bau des Fensters eine zeitraubende Arbeit gewesen sein. Denn die Bleiglasarbeit besteht aus "Millionen Einzelteilen", wie Christina Lippert sagt. Auch wenn das etwas übertrieben sein mag, was von unten aus der Entfernung wie eine Einheit aussieht, besteht, aus der Nähe besehen, aus zahllosen kleinen Glasscheiben, die durch sogenannte Bleiruten verbunden sind. "Das ist wie ein Riesenpuzzle", beschreibt Mädebach die Anordnung. Die intensiven Farben des Fensters sind übrigens nur von innen zu sehen, von außen erscheint das Glas eintönig dunkel.
An der Außenfassade stehen außerdem Erhaltungsarbeiten an, um vor allem das Mauerwerk zu schützen. Deshalb sind nach Angaben des Restaurators im oberen Bereich Fugenarbeiten vonnöten, um "eine gute Wasserführung" des Mauerwerks wiederherzustellen, damit Niederschlag abgeleitet wird und nicht eindringen kann. Welche Geschichten Steine auch nach Jahrhunderten noch erzählen können, zeigt sich außen neben dem Fenster. Ein paar rote Sandsteine verraten den Fachleuten, "dass sie durch ein großes Feuer im Dachstuhl ihre untypische Farbe erhalten haben müssen".