Das fühlte sich ja fast schon wieder normal an: Jeweils über 400 Menschen waren an beiden Abenden des Domplatzfestivals versammelt, die größte Publikumsbeteiligung seit anderthalb Jahren. Mit dem Pop-Sänger Max Mutzke brachte der charismatische Jazz-Trompeter Rüdiger Baldauf am Freitagabend neben seiner großartigen Band und zwei jungen Trompeter-Kollegen einen Topstar auf die Bühne, der die Sympathie des Publikums im Sturm eroberte. Mit dem jungen Sänger Michael Schulte herrschte am Sonnabend sogar ausgelassene Partystimmung mit Tanzen vor den Stühlen.
Mit der Organisation des zweitägigen Open Air-Events hatte der Verein Verdener Jazz- und Bluestage nicht nur den zurzeit so kostbaren Optimismus, sondern auch ein Höchstmaß an Risikobereitschaft gezeigt. Die breite Unterstützung durch Sponsoren aus Wirtschaft und Handel sowie aus dem Kulturtopf der Stadt Verden hatte den Mut dazu bestärkt, und an beiden Abenden ging das Konzept optimal auf.
Mit Martin Schulte (Gitarre), Christian Frentzen (Keyboard), Marius Goldhammer (Bass) und Hendrik Lensing (Drums) hatte Baldauf vier Jazzmusiker der ersten Liga zu einer begeisternd vielschichtigen und originellen Band zusammengestellt, deren Groove das Publikum von der ersten Sekunde an in seinen Bann zog. Mit "Working Day and Night" vom Album "Jackson Trip" ließ Baldauf dazu seine Trompete mit individueller Ausdruckskraft sprechen und riss den Stimmungs-Regler sofort aufs Maximum hoch. "Ich kann Ihnen jetzt schon einen guten Geschmack attestieren" scherzte er, als ihn die erste Beifall-Welle erreichte.
Mutzke auf Englisch stärker
Nun holte er die beiden jungen Jazztrompeter Lorenzo Ludemann und Menzel Mutzke auf die Bühne, und der elektrisierend dichte Sound des farbenreichen, spontan agierenden Trios, das sich gegenseitig zu inspirieren schien, bot eine optimale Klangkulisse für Max Mutzke, der nun, zuerst noch aus dem Off singend, eine "Welt hinter Glas" beschwor. Das war nun allerdings das genaue Gegenteil von Jazz, nämlich Mainstream-Romantik-Pop, aus dessen unüberschaubar großer Zahl von Interpreten der sympathische Sänger allerdings durch seine selbstbewusste und kraftvolle Stimme mit dem hohen Wiedererkennungswert heraussticht.
Ungleich stärker ist Mutzke jedoch, wenn er auf Englisch singt: Mit seinem "Come Together"-Cover zeigte er Star-Appeal. Dabei erlebte der Kult-Titel eine faszinierende Metarmorphose, denn in Baldaufs eigener Version vom Album "Strawberry Fields" tanzten alle nur denkbaren Jazz-Elemente durch den fetzigen Rocksound. Zuvor hatte Mutzke bereits den Song "Can't Wait Until Tonight" gesungen, den Stefan Raab ihm damals auf den Leib geschrieben hatte, mit dem er schlagartig berühmt wurde, und den auch seine Fans auf dem Domplatz unbedingt hören wollten.
Was die Band danach aus Baldaufs allererstem selbst geschriebenen Stück "Funky No 5" machte, das riss die Zuhörer immer wieder vom Hocker, ob Drum- Keyboard- oder Gitarrensolo oder Baldaufs virtuose Trompetenkaskaden – der Domplatz hallte von Applaus und Jubelrufen wider. Nun folgte ein Beatles-Song auf den anderen, und Titeln wie "Back in the USSR" oder "Eight Days a Week" stand dieser besondere, overcrossende Sound ausgezeichnet zu Gesicht. Mutzkes Song "Back to the Moon" zeigte den Sänger noch mal von einer spannenden Seite, ebenso wie die jazzballadige "Imagine"-Version, bei der er Baldaufs Trompete ersetzen durfte, und die er geradezu zelebrierte. Darauf folgte wieder hoch gefühliger Deutsch-Pop mit den Songs "Das ist unsre Nacht" und "Schwerelos", der beim Publikum spürbar gut ankam.
Die Verdenerin Antje Ringel war gleichermaßen gepackt von Musik und Stimmung: "Man braucht das einfach wieder! Tolle Atmosphäre, toller Abend, das macht so viel Spaß!"
Sehnsucht nach Party
"Total begeistert" war auch der Langwedeler Michael Schmitz, der im Daverdener Kulturverein selbst so einiges zum Klingen bringt. "Ich finde es super, dass der Verein das alles so perfekt organisiert hat, und ich mag auch diese tolle Kombination aus Pop und Jazz." Ganz beeindruckt war er von der mitreißenden Spielfreude auf der Bühne, und seine Frau Heike setzte hinzu: "Am allerschönsten war ,Imagine'."
Am zweiten Abend war reinster Pop angesagt, zuerst mit Benne genau jener Deutschpop, der zurzeit zahllose immer gleiche Sänger und Songs zu temporären kleinen Stars werden lässt, und dann der Voice of Germany- und Eurovison Song Contest-Star Michael Schulte, der seine Songs in englischer Sprache schreibt. Angesichts solcher Texteinfälle wie "Ich weiß, es ist ein Licht in uns" oder "Ohne dich bin ich wie ein Zug, der nach seinen Schienen sucht" in Bennes Songs war das sicherlich ein großer Gewinn.
Das Publikum war an diesem Abend völlig ausgetauscht, sehr viele junge Leute, auch Kinder, und offenbar waren auch Fans des quirligen Lockenkopfs von außerhalb gekommen, während viele Gesichter aus dem vertrauten Verdener Jazz- und Blues-Publikum fehlten. Ein bisschen fühlte man sich wie auf einer Open-Air-Version des "Hallo Verden-Festivals". Mit Drummer Nando Schäfer und Florian Lippert am Keyboard hatte Schulte, der selbst die Gitarre spielte, eine professionelle kleine Band zur Seite. Als er zwischen einer Reihe eigener Songs aus seinen vier Alben, die viele aus dem Publikum sogar mitsingen konnten, je eine kleine, sehr gekonnte Jazz- und Blues-Parodie ablieferte, zeigten seine Musiker sehr überzeugend, dass sie durchaus nicht nur Pop können, und auch Schultes Stimme lief beinahe zu so etwas wie Glamour auf.
Hin und wieder nervte seine reichlich zerstreute Moderation, in der er allerhand Ahnungslosigkeit bewies und die Sekunden zwischen den Songs ziemlich lang werden ließ. Doch seine Musik begeisterte die Fans, die von ihren Plätzen aufstanden und so gut es ging, vor den Stühlen tanzen durften. Die Stimmung war ausgelassen, man spürte, dass die Menschen Party wollten. Gar nichts machte ihnen dabei der Regen aus, der sich immer mal wieder meldete und mit Regencapes und Schirmen neutralisiert wurde.
In vollen Zügen genossen die über 400 Besucher dieses musikalische Angebot, das doch sehr anders war, als es sonst beim Jazz- und Bluesverein üblich ist, und so klang das kleine Festival in allerbester Stimmung aus.