Mehrere einschlägige Vorstrafen und laufende Bewährung mit strengen Auflagen haben den Mann nicht davon abgehalten, sich ein neues Opfer zu suchen. Er fand es in der Walsroder Nachbarschaft und ließ nicht locker, bis die Eltern schließlich einwilligten, dass das fünfjährige Mädchen bei ihm immer mittwochs Musikunterricht bekam. Am Mittwoch ist der 78-Jährige vom Landgericht Verden wegen fünffachen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, davon in zwei schweren Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt worden.
Dass die große Jugendstrafkammer den Prozess bereits am zweiten Tag beenden konnte, lag nicht zuletzt daran, dass der Angeklagte zum Auftakt der Hauptverhandlung ein, wie es hieß, „vollumfängliches Geständnis“ abgelegt hatte. Dabei war die Öffentlichkeit ebenso ausgeschlossen wie nun bei den Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Nebenklage und der Verteidigung. Die Feststellungen zu den einzelnen Taten, begangen zwischen Juli 2019 und Januar 2020, beruhten zum einen auf dieser geständigen Einlassung, so die Kammer, zum anderen aber auch maßgeblich auf den ausführlichen Angaben des kleinen Mädchens.
Achtjährige Nebenklägerin
Die heute achtjährige Nebenklägerin musste nicht vor Gericht erscheinen. Die Verfahrensbeteiligten befassten sich dafür eingehend mit der Aufzeichnung ihrer audiovisuellen richterlichen Vernehmung im Februar vergangenen Jahres. Das Mädchen habe die Taten „absolut glaubhaft“ beschrieben. Es habe dabei auch von dem typischen „Schweigegelübde“ berichtet. Nach den Übergriffen habe der Mann ihr jedes Mal gesagt, sie dürfe „schon gar nichts den Eltern erzählen“. Das hat sie aber eines Tages doch getan. Bis dahin war allerdings vieles geschehen, was weiter nachwirkt.
Die psychischen Folgen bei dem sehr jungen Opfer seien als erheblich zu werten, sagte der Vorsitzende Richter während der eingehenden Urteilsbegründung. Dazu waren während der Verhandlung besonders die Eltern befragt worden. Zu ihnen habe der Angeklagte zunächst „Vertrauen aufgebaut“ und angeboten, der Tochter das Schwimmen beizubringen und auch Musikunterricht zu geben, so der Richter. Der Mann habe sich dafür „regelrecht aufgedrängt“. Anfängliche Skepsis vor allem der Mutter seien zerstreut worden. Vielleicht habe man ihm auch wegen seines fortgeschrittenen Alters vertraut.
Übergriffe im Schwimmbad
Ende Januar 2020, als die angeklagten Taten schon passiert waren, hatte es dann bei der Familie des Mädchens eine sogenannte Gefährder-Ansprache durch die Verdener Polizei gegeben. Diese resultierte vermutlich aus verdächtigen Beobachtungen, die eine nicht genannte Person im Verdener Erlebnisbad Verwell gemacht hat. Das Kind hatte bei der späteren Vernehmung auch von einigen eklatanten Übergriffen des Angeklagten während gemeinsamer Schwimmbadbesuche erzählt. Nach den Hinweisen der Polizei untersagten die Eltern der Tochter, weiterhin in die Wohnung des Angeklagten zu gehen.
Der Vater indes soll dort dreimal gewesen sein, um den Nachbarn mit den Verdächtigungen zu konfrontieren. Und erst recht tauchte er auf, nachdem das Mädchen sich im März den Eltern anvertraut hatte. Der Angeklagte soll gegenüber dem aufgebrachten Vater bereits ein Teilgeständnis abgelegt haben. Wenig später erschien die Polizei. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis das Amtsgericht Verden die 2016 verhängte zweijährige Bewährungsstrafe widerrief. Das Verbüßen ging nahtlos in erneute Untersuchungshaft über, nachdem das Landgericht einen Haftbefehl in der aktuellen Sache erlassen hatte. „Niemand aus der Kammer wollte Sie in Freiheit lassen“, erklärte der Vorsitzende dem Angeklagten.
Begonnene Sexualtherapie
Die ersten beiden Taten wertete das Gericht aufgrund der Vorgehensweise als schwere Fälle sexuellen Missbrauchs. Für diese Verbrechen wurden allein Einzelstrafen von drei Jahren und acht Monaten beziehungsweise drei Jahren und drei Monaten angesetzt. Die drei weiteren Fälle wurden als Vergehen gewertet. Sie als minderschwer einzustufen, sei aber „ganz, ganz bestimmt“ nicht in Frage gekommen. Mit der Gesamtstrafe blieb die Jugendkammer unter den Anträgen der Staatsanwalt und der Nebenklage. Diese hatten zuvor nach Auskunft der Pressesprecherin des Landgerichts sechseinhalb beziehungsweise sieben Jahre Haft gefordert.
Sein zeitiges Geständnis wurde dem alten Herrn mit der eigenwilligen Frisur ebenso zugutegehalten wie seine „ernsthafte Bereitschaft“, Schmerzensgeld zu zahlen. Eine Summe wurde nicht erwähnt. Als positiv rechnete das Gericht dem Mann zudem an, dass er während der Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Uelzen eine Sexualtherapie begonnen hat; mit dem Wechsel in die U-Haft war es damit aber vorerst vorbei. Eine baldige Fortsetzung sei ratsam, wurde betont. Die Liste der Punkte, die alle strafschärfend wirkten, fiel bei dem „Bewährungsversager“ und Wiederholungstäter allerdings ungleich länger aus.
Ohne noch mit seiner Verteidigerin Rücksprache gehalten zu haben, sagte der Angeklagte auch schon: „Ich erkenne das Urteil an“. Revision wolle er nicht. Da die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf der Stelle noch keine Erklärung abgeben mochte, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.