Das Eröffnungskonzert der Maiklänge 2021 hätte strahlender nicht sein können, wenngleich die Sonne sich bedeckt hielt. Doch Dietrich Steincke, Vorsitzender des Vereins für Musik und Kultur am Domgymnasium, Schulleiterin Dorothea Blume und Maiklänge-Intendant Nabil Shehata machten in ihren herzlichen Begrüßungsworten aus ihrer Freude keinen Hehl: Endlich wieder Musik am Domgymnasium, endlich wieder gemeinsam erlebte Kultur!
Der Auftakt mit Mozarts Klarinettenquintett mit Chen Halevi an der Klarinette sowie den Geigern Daishin Kashimoto und Lena Neudauer, Konstantin Sellheim an der Viola und Zwi Plesser am Cello erfüllte die schönsten Erwartungen. Wie eine Lerche im Sommer schraubte sich die Klarinette im Kopfsatz bis zu den blauen Wolkenlücken hinauf. Das zarte Adagio war eine aus voller Seele musizierte Hymne ans Leben, und im tänzerisch vergnügten Menuettsatz mit den zwei Trios ließen die Musiker keine Möglichkeit aus, verschmitzt mit Metrum und Tempi zu spielen. Auch der Variationssatz mit seinem Reichtum an Farbe und Empfindung sprühte vor Spiellust und Intensität.
Die "Fünf Miniaturen" des zeitgenössischen Komponisten Jakob Fliedl waren eine facettenreiche Spielwiese für Shehata und den Fagottisten Gilbert Audin, die das Publikum mit geistreichen Dialogen, leidenschaftlichen Disputen und groovenden Jazzsequenzen in Atem hielten.
Eine spannende Uraufführung gab es mit dem Stück "Rialto", das Ria Idetas Lehrer Eric Sammut für seine ehemalige Schülerin schrieb. Nicht nur die außergewöhnliche Besetzung mit Ideta am Marimbaphon, zwei Violinen, Klarinette und Kontrabass, sondern auch das wie ein raffiniertes Patchwork komponierte Stück und die springlebendige Interpretation rissen das Publikum vom Hocker. Und es ging noch mehr: Die originelle Kurzversion von Strawinskys "Petruschka", als Marimbaphon-Septett ein faszinierendes Unikat, gab allen Musikern Gelegenheit, sich so richtig nach Herzenslust auszuspielen. Die Musiker waren so positioniert, dass sich Kontrabass, Cello und Violine auf der einen Seite und Fagott, Klarinette und zweite Geige auf der anderen Seite die Bälle zuwerfen konnten, während das Marimbaphon in der Mitte mit zauberhafter Leichtigkeit die virtuosen Glanzlichter setzte.
Als Überraschung und Vorgeschmack auf den zweiten Festival-Abend gab es zuletzt noch drei verspielt improvisierte Tangos obendrauf, denn auch Marcelo Nisinman (Bandoneon), Tim Park (Cello) und Gareth Lubbe (Viola) wollten ihren Teil zur Spielfreude und Begeisterung des Maiklänge-Auftakts beitragen.
Südamerikanische Klänge
Unter dem Motto "Viva Argentina" standen am Sonnabendabend das Bandoneon, der Tango und Astor Piazzolla im Mittelpunkt, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Bandeonist Nisinman ist zugleich ein international anerkannter Komponist, und so gab es mit "Hombre Tango" und "Argentinos en Europa" auch zwei energiesprühende, durch und durch außergewöhnliche Stücke aus seiner eigenen Feder, bei denen sich der Tangorhythmus im neunköpfigen Ensemble völlig verselbstständigte und zu einer ganz neuen, zugleich rauen und zarten, wilden und hoch konzentrierten Musik wurde. Das Publikum lauschte gebannt den oft sehr ungewohnten Klängen, dem trockenen Wispern und Ratschen der Streicher, der Bratsche, die wie eine alte Schublade knarrte, der prasselnden Percussion des Bandoneon und seinen langen, klagenden Seufzern. Und dann wieder lösten sich die schönsten romantischen Kantilenen aus dem dunklen Klanggrund, die Streicher zeigten sich von ihrer zartesten Seite, und José Gallardos Piano funkelte und perlte wie frisch geöffneter Champagner.

Bandeonist Nisinman spielt das Bandoneon und ist ein international anerkannter Komponist.
Das war nicht nur Ohren- sondern auch Augenmusik, denn die Musiker, ihre Kommunikation und den ungeheuren Spaß zu beobachten, den sie miteinander hatten, war ein Vergnügen der besonderen Art! Auch Nisinmans Adaptionen der Piazzolla-Evergreens "Oblivion" und "Adios Noniño" trugen unverkennbar seine Handschrift. Hier zelebrierten die Musiker das "Berühren", das im Wort Tango steckt; zu neunt tanzten die Instrumente gleichsam Wange an Wange und schlossen auch das Publikum in die Zärtlichkeit und ausgelassene Wildheit ihrer Musik ein. Mit Piazzollas "Vier Jahreszeiten von Buenos Aires" stand ein ausgewachsenes Orchesterstück auf dem Programm, in dem die Musiker auf der kleinen Bühne, im Sommer beginnend, den Jahreszyklus einer so leidenschaftlichen wie melancholischen Großstadt und ihrer Menschen malten.
Magische Verbindung zum Publikum
Die Sonntagsmatinée war überschrieben mit "Kleinigkeiten machen die Summe des Lebens aus" – ein rekordverdächtiges Understatement angesichts der Meisterschaft der zwölf erstrangigen Musiker und ihres höchst anspruchsvollen Programms. Mit dem duftig zarten "Divertissement for Bassoon and Strings" von Jean Françaix verzauberten Fagottist Gilbert Audin und ein Streichquintett aus Lena Neudauer, Daishin Kashimoto, Gareth Lubbe, Zwi Plesser und Nabil Shehata die Zuhörer. Wieder schufen Freude und Leidenschaft der Musiker sofort eine magische Verbindung zum Publikum. Im Schlusssatz intonierte Audin eine komisch-nachdrückliche Sprechgesangs-Arie, der die Streicher gleichsam mit eifrigem Kopfnicken beipflichteten. Nachdem bereits alle schwiegen, sagte das Fagott wohl voller Überzeugung "Jawoll", woraufhin herzliches Gelächter sich mit dem Beifall des Publikums mischte.
Am Marimbaphon performte Ria Ideta das "Zapping Trio" von Eric Sammut mit Klarinettist Chen Halevi und Nabil Shehata: Für diese geradezu artistische Art zu musizieren, kann es kein anderes Wort geben. Wohl bei keinem Instrument wird die außerordentliche Konzentration, die es dem Spieler abfordert, so sichtbar, doch Ideta ließ ihre Schlägel so leicht und unbeschwert über die Klangstäbe schweben, als sei das doch nur eine Kleinigkeit. Auch ein Arrangement von Mozarts "Ave Verum Corpus" ließ das Publikum über die Klangfülle und Präzision im Spiel der jungen Meisterin staunen.
Das sentimentale Stück "Ciudad triste" von Osvaldo Tarantino begeisterte mit einem wieder sehr ungewöhnlichen Trio aus Bandoneon, Klarinette und Kontrabass, und ein mitreißender Ragtime-Tango ließ das Publikum auf den Stühlen mittanzen. Bandoneonist Marcelo Nisinman erzählte, dass dieses Stück von Rosendo Mendizabal mit dem Namen "El enterriano" der allererste aufgeschriebene Tango sei.
Michail Glinkas großes Klaviersextett mit José Gallardo am Piano, Daishin Kashimoto und Lena Neudauer an den Violinen, Konstantin Sellheim an der Viola, Tim Park am Cello und Nabil Shehata am Kontrabass beschloss die Matinée mit opernhafter Gesanglichkeit und einem grandios inszenierten Wechsel von Leidenschaft, Zärtlichkeit und Dramatik und ließ ein vor Begeisterung jubelndes, rundum glückliches Publikum zurück.