Musiker von Weltrang in allerbester Spiellaune, ein Programm voller Höhepunkte, drei Tage Begeisterung und Freude bei allen Beteiligten, das waren die Maiklänge 2021. Ja, das Verdener Kammermusikfest schaffte es sogar, den Mai hervorzulocken. Am Sonntag strahlte ununterbrochen die Sonne vom blitzblauen Himmel und machte das Maiklänge-Glück komplett.
Doch auch in den Konzerten der Vortage gab es nichts zu vermissen, denn warm eingepackt erlebte das Publikum vor dem Verdener Domgymnasium nach vielen Monaten der Kultur-Abstinenz ein Feuerwerk an spannenden Werken, außergewöhnlichen Interpretationen und Virtuosität. Das war, als hätte man einen Korken aus einer Flasche gezogen: Spielfreude und Begeisterung der Musiker sprudelten nur so von der Bühne, denn auch sie hatten sehr lange darauf warten müssen, endlich das zu tun, was nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre Bestimmung und ihre Leidenschaft ist.
"Wir alle haben seit vielen Monaten nicht mehr vor Publikum auf der Bühne gestanden", scherzte Maiklänge-Intendant Nabil Shehata, "und Sie sind jetzt sozusagen unsere Versuchskarnickel." Das ließen sich die Zuhörer nur allzugern gefallen: "Es war fantastisch zu erleben, mit welcher Begeisterung die Musiker zu Werke gehen", freute sich der Verdener Günter Rogalinski am ersten Abend. "Besonders diese Petruschka-Version war große Klasse, ein ganz faszinierendes Erlebnis." Hin und weg war auch Verden Bürgermeister Lutz Brockmann: "Das tut so gut", rief er aus und setzte hinzu: "Ohne Kultur ist es doch kein Leben."
Beeindruckt von der überaus gelungenen Improvisation eines Open-Air-Festivals zeigte sich auch Helmut Kruckenberg, Biologe und Journalist aus Verden, am zweiten Abend: "Einfach toll, dass es das überhaupt geben kann", meinte er. "Und vor allem ist es erstaunlich, das man das alles völlig 'unplugged' so gut hören kann." Dies sei sicherlich nicht zuletzt der Bühne mit dem tollen Segeldach geschuldet.
Allerdings mussten die Musiker in ihrer weißen Bühnen-Muschel auch manch akustische und andere Überraschung hinnehmen. Die kurzen Stundenschläge der drei benachbarten Glockengeläute waren kein Problem, doch Marimbaphonistin Ria Ideta musste ihren Solo-Auftritt in der Sonntagsmatinée ausgerechnet bei ihrer zarten Interpretation von Mozarts "Ave Verum Corpus" mit lang anhaltendem katholischem Glockengeläut teilen.
Beim selben Konzert mischten sich im Andante des Glinka-Klaviersextetts einige Singvögel von der benachbarten großen Eiche mit auftrumpfender Vehemenz in die lange, empfindsame Piano-Einleitung, sodass José Gallardo die Welt-Erstaufführung einer kleinen Sonate für Klavier und Vogelgesang feiern konnte.
Und auch der Wind, der tüchtig unter das Segel fuhr, spielte den Musikern Streiche. Sie mussten bei jedem Satzwechsel mit einer Menge Wäscheklammern jonglieren, was dem Publikum mit Sicherheit mehr Vergnügen bereitete als ihnen selbst. Doch solch kleine Hürden nahmen sie mit Humor und Gelassenheit, und immer wieder war es eine große Freude, ihre inspirierte Kommunikation untereinander, ihre scherzenden Blicke und zustimmenden Gesten zu beobachten, mit denen sie sich und dem Publikum, immer mitten in der Musik bleibend, ihre Freundschaft und unerschöpfliche Spielfreude zeigten.
Die Liste der Musiker war so international wie hochkarätig: Nabil Shehata, ehemaliger Domgymnasiast, international renommierter Dirigent und Weltklasse-Kontrabassist, bringt in jedem Jahr Musiker-Freunde und Weggefährten mit ebenso spannenden Karrieren und außergewöhnlicher Meisterschaft nach Verden, so den französischen Solo-Fagottisten Gilbert Audin, Weltklasse-Klarinettist Chen Halevi aus Israel, den japanischen Geiger Daishin Kashimoto und seine Ehefrau Ria Ideta, Marimbaphonistin von Weltrang. Der Südafrikaner Gareth Lubbe und Konstantin Sellheim besetzten die Violen und der Koreaner Timothy Park und Zwi Plesser aus Israel die Celli. Der Argentinier José Gallardo ist einer der bedeutendsten Kammermusik-Pianisten der Welt, und dass musikalische Hochkaräter wie er sich mit solcher Begeisterung in das kleine Verden einladen lassen, ist das ganz große Wunder, das Nabil Shehata vollbringt. Ganz besondere Akzente setzte in diesem Jahr der Bandoneonist und Komponist Marcelo Nisinman, ebenfalls aus Argentinien, der für zeitgenössische Kammermusik in den spannendsten Besetzungen steht und für das Verdener Publikum den Tango neu definierte.
Lena Neudauer, Professorin für Violine an der Musikhochschule München, sprang spontan als zwölfter Festspielgast für die Geigerin Natalia Lomeiko ein, die Corona-bedingt aus London nicht anreisen durfte. Nur allzu gerne hätte sie Shehatas Einladung angenommen: "Es ist doch eine große Freude, endlich wieder spielen zu können!", sprach sie auch ihren Kollegen aus dem Herzen. Sofort verschmolz sie mit dem Ensemble – unfassbar, dass sie erst Tage zuvor eingestiegen war und es kaum gemeinsame Proben gegeben hatte.
Und auch das Publikum der Maiklänge kam von weither. Vom ersten Konzert im Jahr 2017 an ständig dabei sind Ursula und Rainer Stiff aus Berlin. "Wir kommen wegen der Musik und den Musikern, aber auch wegen der besonderen Atmosphäre" sagte Ursula Stiff, und ihr Mann ergänzte: "Wir mögen die persönliche Note dieses Festivals, seine Internationalität und Weltoffenheit." Dass das Ganze in einer so kleinen Stadt stattfinde, dass Shehata damit seiner ehemaligen Schule so viel zurückgeben könne und dass Schulleitung, Musikpädagogen und Schüler des Domgymnasiums dieses Festival so engagiert mittragen, das mache es "zu einem ganz besonderen Ereignis, das wir schon ein Jahr vorher im Kalender anstreichen".
So lang herbeigesehnt, so oft gefährdet – und so schnell wieder vorüber! Beim Abschlusskonzert unter dem Motto "Ohne Musik wär' alles nichts" strahlte der Himmel mit der Musik um die Wette; mit dem Quintettsatz F-Dur von Mozart und seiner Sonate KV 292, die Shehata für Cello und Kontrabass arrangiert hatte, gab es noch einmal intime Kammermusik vom Allerfeinsten. Zwei Werke für Marimbaphon und Klavier wurden zum außergewöhnlichen Klangerlebnis, bevor das hinreißend schöne, mit begeisternder Inspiration gespielte Klaviersextett des erst 15-jährigen Mendelssohn der Maiklänge-Seligkeit die Krone aufsetzte und ein letztes Mal ein vor Begeisterung jubelndes Publikum zurück ließ.
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