Das bizarre „Ballett der Medusen“ ist ein Bild, für dessen Zustandekommen der spanische Fotojournalist Angel Fitor viel Geduld, den richtigen Blick, Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit benötigte, unzählige Fehlversuche wegzustecken. Seine über sechsjährige Ausdauer hat sich gelohnt. Das geheimnisvoll leuchtende Ensemble der Quallen in der riesigen Salzwasserlagune Mar Menor in der Region Murcia ist ein preisgekröntes Meisterwerk. Fitor wurde dafür zum Gesamtsieger des Wettbewerbs „Europäischer Naturfotograf des Jahres 2021“ gekürt. Rund 80 Aufnahmen, die aus der Fülle eingereichter Fotos ausgewählt wurden, sind jetzt im Deutschen Pferdemuseum (DPM) in Verden zu sehen.
Verden first – so lautet wie üblich das Motto für die Präsentation der besten Bilder des renommierten Wettbewerbs internationalen Rangs. Er wird seit 2001 regelmäßig von der Gesellschaft für Naturfotografie (GDT) veranstaltet, die seit 50 Jahren besteht und von anfangs neun auf heute rund 1800 Mitglieder angewachsen ist. Stetig gestiegen sind auch die Teilnehmerzahlen beim Foto-Wettbewerb: Die Jury hatte diesmal die Qual der Wahl unter mehr als 19.000 Aufnahmen, die von rund 1000 Profi- und Hobbyfotografen beigesteuert wurden. Die Preisverleihung war erneut nur online möglich.
Erste Präsentation
Die erste öffentliche Präsentation der besten Bilder in neun Kategorien veranstaltet wieder das Pferdemuseum. Und so ist der linksseitige Raum für Sonderausstellungen nun einmal mehr in eine große Galerie verwandelt worden. Die Exponate beeindrucken nicht nur durch eine Fülle an außergewöhnlichen Motiven, die sich dem Betrachter mitunter erst beim nahen Herantreten erschließen. Sie zeugen auch davon, dass die Fotografinnen und Fotografen neben Können und Kreativität auch über „Naturwissen und Respekt für ihre Umwelt“ verfügen, wie das DPM im Ankündigungstext betont. Der GDT-Wettbewerb wirbt nicht zuletzt „für einen respektvollen Umgang mit der Natur und für den Erhalt von Lebensräumen“.
Bildmanipulationsprogramme sind bei den Wettbewerbsbeiträgen tabu. Wie einzelne Aufnahmen entstanden sind, ist umso erstaunlicher. Dies gilt nicht zuletzt für das Medusa-Ballett, das Angel Fitor den Gesamtsieg einbrachte. Eigentlich seien es nur zwei Exemplare der Quallenart Cotylorhiza tuberculata gewesen, die sich unter der Wasseroberfläche bewegten, hat der spanische Fotograf und Autor dazu erläutert. Die elf auf dem Bild erkennbaren Nesseltiere seien das Ergebnis von elf Blitzauslösungen unterhalb des sich bewegenden Duos. So erweckt das Werk die faszinierende Illusion eines ganzen Quallenschwarms.
Traurige Brisanz
Fitors Foto erhielt kurz nach dem Jury-Votum zusätzliche, traurige Brisanz. Das einstige Naturparadies Mar Menor in Südwestspanien ereilte endgültig der sich schon länger abzeichnende ökologische Kollaps mit massivem Fischsterben. Auch andere Tiere gingen zugrunde – offenbar die Folge der intensiven Agrarproduktion in der Region, die an Düngemitteln nicht spart.
Eine ganz andere Aufnahme steht bei der Ausstellung ebenfalls besonders im Blickpunkt, ziert sie doch Flyer, Plakat und Titelseite des Bildbandes, den die GDT dazu herausgegeben hat. Das Gegenlichtbild „Polarfuchs im Mückenschwarm“ erhielt in der Kategorie Säugetiere eine der begehrten „lobenden Erwähnungen“ und hat dem norwegischen Fotografen Arnfinn Johansen auch schon andere Auszeichnungen eingetragen, so auch bei mehreren international ausgeschriebenen Wettbewerben in den USA und Italien.
Echter Hingucker
Ein echter Hingucker ist auch das Foto des Spaniers Félix Calvo. Schlicht „Zaunkönig“ betitelt, zeigt es so einen kleinen Vogel-King, der auf einem von Pflanzen umschlungenen Pfahl thront und offenbar in Eiseskälte, des Singens überdrüssig, sichtbar seinen sich kringelnden Atem ausstößt. Der Grieche Nicholas Samaras hat es mit seinem „Mazedonischen Kammmolch“ in die Spitzenklasse der Kategorie „Andere Tiere“ geschafft. Und wo, wenn nicht in der Sparte „Unter Wasser“ glänzt wieder ein Schnappschuss des Spezialisten Georg Nies? Der promovierte Meeresbiologe und Fachfotograf aus Neunkirchen-Seelscheid (Rheinland-Pfalz) ist mit dem „Pygmäen-Seepferdchen“ ganz vorn dabei.
Im vergangenen Jahr hatte „Des Affen Maske“, eine Darstellung grotesk kostümierter Japanmakaken, dem Niederländer Jasper Doest den Sieg beschert. Diesmal wurde dem studierten Ökologen für sein umfangreiches Fotoprojekt „Nsenene“ der Sonderpreis des Wettbewerbs zuteil. Doest dokumentiert den gewaltigen Aufwand, der im afrikanischen Uganda bei der Jagd auf eine wirtschaftlich bedeutsame Heuschreckenart (Nsenene) betrieben wird. Die grünen Hüpfer gelten als Delikatesse. Der Sonderpreis ist nach dem bedeutenden Natur- und Tierfotografen und Verleger Fritz Pölking (936 – 2007) benannt.
Dokumentarische Kraft
Die Ausstellung mache deutlich, so Museumsleiterin Ina Rohlfing, „dass Fotografien nicht nur die Schönheit der Natur festhalten“. Sie besäßen auch eine „dokumentarische Kraft“, die die Menschen zum Innehalten, zum Über- und Umdenken anregen könne. „In der aktuellen Zeit des Klimawandels und des Artensterbens scheint diese Kraft wichtiger denn je zu sein“.