Die Olympischen Spiele haben auch schon 1964 in Tokio stattgefunden. Hans Günter Winkler gewann dort zum dritten – und nicht zum letzten – Mal Mannschaftsgold im Springreiten. Sein Pferd Fidelitas und alle anderen, mit denen in seiner langen Laufbahn Erfolge feierte, erreichten nicht annähernd Bekanntheit und Kultstatus der „Wunderstute“ Halla. Acht Jahre vor Japan, bei den ausgelagerten Reiterspielen in Stockholm, hatte sie den verletzten, vor Schmerzen schreienden Winkler fast im Alleingang durch den schweren Parcours zum Sieg getragen. Unvergessen blieb auch, was der junge Fernsehreporter Hans-Heinrich Isenbart feststellte und freudig aufgebracht ins Mikrofon rief: „Und Halla lacht, als wüsste sie, worum es geht“.
Es ging um Gold an diesem 17. Juni 1956. Nicht nur für den amtierenden Weltmeister Hans Günter Winkler (1926 – 2018), sondern auch für seine beiden bewährten Mitstreiter in der deutschen Equipe, Fritz Thiedemann (2018 – 2000) auf Meteor und Alfons Lütke-Westhues (1930 – 2004) auf Ala. Auf welch dramatische Art und Weise es damals dank Halla mit Doppelgold geklappt hat, wird auch heute noch immer wieder hochachtungsvoll erzählt und gezeigt. Es ist ein starkes Stück (Reit-) Sporthistorie, das sich derzeit im Deutschen Pferdemuseum (DPM) am Verdener Holzmarkt intensiv nachempfinden lässt. Denn dass Halla zu den Heldinnen und Helden auf Hufen gehört, denen in der aktuellen Sonderschau gehuldigt wird, versteht sich von selbst.
Respekt für Ross und Reiter
Unter dem Titel „Legendär!“ richtet sich im DPM der Blick auf „berühmte Pferde aus Mythologie, Geschichte und Populärkultur“. Und wenn das Kapitel Halla auch optisch vergleichsweise klein ausgefallen ist, besitzt es doch große Aussagekraft. Dafür sorgen besonders die prägnanten Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm „Olympische Reiterspiele 1956“ (Knoop Produktion Hamburg). Auf einem Bonsai-Bildschirm können die Besucher knapp zweieinhalb Minuten lang die Schwarzweiß-Aufnahmen von den entscheidenden Phasen des nervenzerrenden Wettbewerbs verfolgen, der Ross und Reiter zeitlebens anhaltenden Ruhm und Respekt bescheren sollte.
Zu sehen sind der Ritt im ersten Umlauf und eben jener im zweiten und entscheidenden Durchgang. Dazwischen lagen Stunden, in denen wohl niemand mehr ernsthaft glauben konnte, dass es mit Gold noch was werden würde – weder für Winkler, der in der Einzelwertung führte, noch für die Mannschaft, die vor den lauernden Italienern in Front lag. In der ersten Runde hatte sich der 29-jährige Warendorfer am 13. und letzten Hindernis eine Verletzung zugezogen, die sich später als Muskelriss in der Bauchdecke erweisen sollte, und war schon nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Pferd gelangt. Ein erneuter Start schien utopisch, zumal schnell verabreichte Medikamente – die Rede ist auch von Morphin, das ihm ein Tierarzt spritzte – nicht die erhoffte Wirkung entfalteten.
Aber Winkler war wild entschlossen, es doch zu wagen, wurde weiter mit Schmerzmitteln behandelt, die ihn angeblich an den Rand der Bewusstlosigkeit brachten, dann durch strammen Kaffee einigermaßen aufgemöbelt. Er ließ sich in den Sattel Hallas heben – und los ging’s. Was dann im Stockholmer Reiterstadion geschah, „im Sonnenglanz eines milden nordischen Hochsommertages“, wie der Filmkommentator frohlockte, hat der Reiter in den Jahrzehnten danach immer wieder zum Besten gegeben; mit Variationen, wie Zuhörer auch bemerkten. Eine Feststellung in der Rückschau lautete: „Dieses wunderbare Pferd machte mir die größte Liebeserklärung, indem es am langen Zügel nur begleitet von meinen Schmerzensschreien über jeden Sprung ohne Fehler ging."

Oft zu Gast in Verden gewesen: Hans-Günter Winkler (r.), hier mit Ludolf von Veltheim, Präsident des Reiterverbandes Hannover-Bremen.
Fehlerfrei war im zweiten Umlauf nur das Traumpaar Winkler/ Halla geblieben und davon profitierten am Ende auch Thiedemann/ Meteor und Lütke-Westhues/ Ala. Die in Schweden unter so schwierigen Umständen gewonnene Einzelgoldmedaille befindet sich gerade im Pferdemuseum in der Halla vorbehaltenen Vitrine: ein eher unscheinbares Ding, noch nicht am Bande wie mittlerweile üblich, und von wegen Gold! Jedenfalls nicht komplett aus Gold, sondern laut Info-Kärtchen „Bronzeabguss vergoldet“. Wesentlich umfangreicher ist die dazugehörige Urkunde, ebenfalls eine Leihgabe der Hans Günter Winkler-Stiftung, die der Reiter sechs Jahre vor seinem Tod gegründet hat. Aus dem Nachlass stammen außerdem ein Bronzeabguss von Hallas Original-Hufeisen sowie eine handliche Halla-Figur aus Meißner Porzellan.
Als eine Mischung aus „Genie und irrer Ziege“, hat Winkler, der auch häufig in der Reiterstadt Verden zu Gast war, sein legendäres Pferd gerne bezeichnet. Dass er mit der derart eingestuften Fuchsstute, Jahrgang 1945, einmal Olympia-Geschichte schreiben sollte, war noch unvorstellbar, als er sie 1951 in die Hände bekam. Halla hatte zuvor das Urteil „für den Sport ungeeignet“ erhalten, Mutter Helene nach der Überlieferung ein „französisches Beutepferd“, der Vater ein Traberhengst namens Oberst. Die springbegabte Halla war erst als Hindernisrennpferd erprobt und für untauglich befunden, dann auch als mögliches Military-Talent ausgemustert worden.
Erst als Züchter und Besitzer Gustav Vierling (Darmstute) die eigenwillige Stute dem aufstrebenden Springreiter Winkler anvertraute, kam Halla in die Hufe – und wie! Als sie 1960 aus dem Sport verabschiedet wurde, nach dem zweiten Team-Gold in Rom, standen Siege in 125 schweren Springen zu Buche. Halla ging zunächst in die Zucht und brachte acht Fohlen zur Welt. Nach verdientem Ruhestand starb sie im Mai 1979 auf dem Hof, auf dem sie geboren wurde. 40 Jahre später erreichte sie auch philatelistische Ehren. Eine Zuschlagbriefmarke der Post zugunsten der Deutschen Sporthilfe zeigt die Silhouette eines Springpferdes. Welchem genau die Marke gewidmet ist, wird aus der Aufschrift deutlich: „Und Halla lacht“.