Die Pusteblumen-Gruppe im Kinderhaus Eitze hat seit einigen Monaten einen neuen Spielkameraden. Paul ist sein Name. An einer Magnettafel hängt zwischen Bildern der anderen Kinder auch ein Foto von ihm. Sein Geburtstag am 7. Dezember wird im Kalender der Gruppe geführt und auch ein eigenes Kissen mit seinem Namen hat er. Und doch unterscheidet er sich sehr von den anderen Kindern. Denn Paul ist eine Puppe – und zwar eine besondere. Paul hat mehrere Handicaps.
Beeinträchtigungen sind etwas vollkommen Normales und doch seien viele im Umgang mit Menschen mit Handicap befangen, lautet die Erfahrung von Christoph Bisewski, der für die Öffentlichkeitsarbeit der Lebenshilfe im Landkreis Verden zuständig ist. Selbst gestandene Manager seien verunsichert, wenn er mit seinem Kollegen, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, zu Terminen erscheint. Die Kinder aus der integrativen Krippengruppe sollen als Erwachsene mit einer größeren Selbstverständlichkeit auch auf Menschen mit Handicap zugehen können, wünscht er sich. Und dabei soll unter anderem Paul helfen.
Hemmungen abbauen
Kinder sind neugierig, sie möchten mehr über ihr Umfeld erfahren. Im Umgang mit Paul können sie ganz ungehemmt einmal genauer hinschauen. "Man darf auch das T-Shirt mal hochziehen", erklärt Tina Rex, Förderkraft für Integration im Kinderhaus, und macht es gleich vor. Unter dem gestreiften Stoff verbirgt sich eine Magensonde. Auf Pauls Brust ist zudem eine große Narbe zu sehen und ein ebenso großes Herz. Der kleine Mann soll dabei helfen, Hemmungen abzubauen.
Schon auf den ersten Blick zu sehen sind andere Handicaps. "Paul hat einen großen und einen kleinen Arm", sagt Rex. Er hat eine Orthese für seinen "kleinen Arm" und einen Rollstuhl. Außerdem trägt er eine Brille und ein Augenpflaster. Jede seiner Einschränkungen steht für einen jungen Menschen. "Ich bin gespannt, ob sie sich in Paul wiedererkennen."

Puppe Paul hat einen Rollstuhl und eine Arm-Orthese.
Die Puppe ist ein handgefertigtes Unikat. Schon länger hatte sich Rex für die Kinder eine Puppe mit Handicap gewünscht. Doch keiner der großen Hersteller produziere Spielzeug wie dieses, erklärt sie. Im Internet sei sie schließlich auf Nicole Sarripapazidis gestoßen. Die gelernte Medizinische Fachangestellte und ehemalige Tagesmutter hat sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht. Seitdem fertigt sie hauptberuflich individuelle Puppen mit Handicap. Waren es zu Beginn noch überwiegend Privatleute, die bei ihr besondere Figuren in Auftrag gaben, seien es nun zunehmend Betreuungseinrichtungen und Krankenhäuser, erzählt Sarripapazidis bei einem Besuch in Verden. Rund 250 Puppen habe sie inzwischen gefertigt. Und das, obwohl sie mit Handarbeit zuvor wenig am Hut hatte.
Erfahrungen als Tagesmutter
Auf die Idee gebracht hat sie ein kleiner Junge, den sie als Tagesmutter über mehrere Jahre betreute. Seine Magensonde habe bei Spaziergängen immer wieder mitleidige Blicke auf sich gezogen, erzählt sie. Daraufhin habe sie sich entschieden, "die Energie des Mitleids in Energie der Freude" zu verwandeln. Aus farbenfrohen Stoffen habe sie eine Verkleidung für das medizinische Hilfsmittel und den Nahrungsbeutel genäht. Wenig später kam ihr dann die Idee, eine Puppe nach dem Ebenbild ihres Schützlings zu fertigen.
Zwölf bis 15 Stunden Arbeit steckt sie inzwischen in jede ihrer Puppen. Alle Arbeitsschritte für Paul hat sie mit Bildern und Videos dokumentiert, die sie auch immer wieder nach Verden schickte. Ob Paul eine Brille tragen soll oder nicht und welche Farbe seine Augen und seine Haare haben sollen, all das konnte die Pusteblumen-Gruppe selbst entscheiden. Mit kleinen, grünen Steinen haben die Kinder, aber auch die Betreuenden über jedes Merkmal abgestimmt. Auch darüber, ob er ein Junge oder ein Mädchen sein sollte und den passenden Namen konnten sie entscheiden.
Finanziell ermöglicht wurde die Anschaffung durch den Verein Hafensänger und Puffmusiker. "Jede Kita sollte eine solche Puppe haben", da sind sich der Vereinsvorsitzende Oliver Wolf und Tina Rex einig. "Paul wird von den Kindern sehr geliebt", erzählt Rex. Und nicht nur die Kinder haben ihn ins Herz geschlossen: "Wenn man Paul im Arm hat, spürt man, dass er einen besonderen Auftrag hat."