Seit 2020 steht Christian Ehrings Programm "Antikörper", und nun hat ihm die Wirklichkeit auf groteske Weise in die Karten gespielt: Putins Krieg gegen die Ukraine offenbart, dass dieselben Pseudo-Widerständler und Querdenker, die seit Jahren nerven, jetzt auch noch zu Putin-Verstehern werden und dem Diktator im Kampf gegen einen "westlichen Faschismus" die Daumen halten.
Der brillante Satiriker, Moderator und Kabarettist verstand es mühelos, diese beiden Fäden miteinander zu verknüpfen. Im Zuge des Verdener Theater-Abonnements lieferte er eine minimalistische Bühnenshow, die sich fast wie eine Plauderstunde mit dem Publikum anfühlte. So privatim, so unaufgeregt, dass die Essenz seiner Satire nur ganz langsam in die Gehirnwindungen einsickerte. Nebenbei präsentierte er einige seiner Songs am Piano, die ganz unterhaltsam, aber sicherlich nicht sein schärfstes Schwert sind.
Für die Auseinandersetzung mit Impfgegnern und Coronadiktatur-Behauptern hat sich Ehring einen persönlichen Advocatus Diaboli geschaffen. Gleich in der ersten Szene stellte er ihn vor: Justus "der Selbstgerechte" sei sein allerbester und ältester Freund, und doch sei es gerade zu einem unverzeihlichen Zwischenfall gekommen, gestand er zerknirscht: Er habe seinen Freund einen Nazi genannt.
Grübelnd wanderte er auf der Bühne hin und her, spielte ein paar Takte am Flügel, stand scheinbar rastlos wieder auf. Als Meister des kommunikativen Monologs zeichnete er das Bild einer sich rapide verändernden Gesellschaft. Plötzlich, so wunderte er sich, gehören Sätze wie "Ist hier 3G?", "Wenn du in die Bank gehst, vergiss deine Maske nicht" oder "Entschuldigung, Ihre Nase guckt raus" zum Alltag. Im Kampf "Virus gegen Politik" habe das Virus einen Vorteil: "Es ist in der Lage, sich weiterzuentwickeln."
Da lag die Überleitung zum Despoten im Kreml nahe. Über den Krieg sei auch er fassungslos, bekannte der Satiriker, plötzlich tief ernst geworden. Putin zeige eine ganz eigene Definition von Völkerrecht: "Um sein Imperium zu erweitern, sind ihm alle Völker recht." Zweifellos habe er jedoch eine Menge erreicht: Der Rubel im freien Fall, Europa einig wie nie, Biden und Macron enorm gestärkt – so habe er geradezu eine neue Maßeinheit für vollendetes Loser-Tum kreiert!
Dennoch sehne man sich jetzt direkt nach den Zeiten zurück, in denen man keine anderen Probleme hatte, als Lothar Wieler in Pressekonferenzen ertragen zu müssen, seufzte er, um dann gleich wieder kräftig auszuholen. Den Impfgegnern und ihrem Verschwörungs-Blödsinn bot er mit Leidenschaft Paroli: "Selbst wenn die Impfung das Erbgut verändern könnte – wer sagt denn, dass das bei diesen Typen nicht eine Verbesserung wäre?" Dabei sprach er der Waldorf-Ideologie sogar einen gewissen Erfolg zu: "Wenn die Viren sehen, dass die Corona bekämpfen, indem sie ihren Namen tanzen, sagen sie: 'Das sieht so bekloppt aus, lasst uns lieber abhauen!'" Selbst als er seinen Freund Justus darauf hingewiesen habe, wie unsolidarisch sein Verhalten sei, habe der nur gekontert, dass die Solidargemeinschaft doch auch sonst jeden auffange – ob Raucher, Säufer, Fresssüchtige – selbst jene Idioten, die mit einer Bierflasche im Hintern in die Notaufnahme kämen! Dem sei jedoch zu entgegnen: "Mit einer Bierflasche im Hintern schadet man nur sich selbst!"
Justus sei jetzt auf alternative Informationsquellen wie Telegram, Instagram und RT umgestiegen, um die Lügenpresse zu meiden, erzählte Ehring. Natürlich habe auch er selbst damit seine Erfahrungen gemacht, räumte er ein: "Als Schüler las ich mal in einem Yps- und Gimmick-Heft: 'Mit diesem Periskop, mit dem du um die Ecke schauen kannst, bist du der Coolste in der ganzen Klasse!'" Nun malte sich die ganze Enttäuschung eines Zehnjährigen in seinem Gesicht: "Später kapierte ich, dass man nicht alles glauben darf, was man liest."
Justus habe sich zuletzt so sehr verändert, dass er sich nicht mal zu schade gewesen sei, gemeinsam mit Antidemokraten und Rechtsradikalen vor den Reichstag zu ziehen. "Dabei war das überhaupt kein Sturm auf den Reichstag, das waren Deppen auf Treppen!" Im Streit sei es schließlich zu der erwähnten Eskalation gekommen: Er habe seinen Freund "Nazi" geschimpft.
Mit hängenden Schultern stand er vor dem Publikum: Solle er die Freundschaft aufgeben oder erneut auf ihn zugehen? Einhellig war das Plädoyer der Verdener für eine Versöhnung. Bleibt zu hoffen, dass dies "nach Corona" auch unserer gespaltenen Gesellschaft gelingt.