Eine moderne und stimmige Kurzversion des Dramas "Woyzeck" von Georg Büchner war der Auftakt zum kulturellen Schulleben am Domgymnasium. Unter der Regie ihrer Pädagogen Christian Bode und Vanessa Galli hatten die acht jungen Darsteller der Theater-AG den anspruchsvollen Stoff in unsere Zeit transponiert. Indem sie den Figuren neue Gesichter gaben, machten sie umso deutlicher, wie die menschliche Not und Desorientierung, die Büchner zeigen wollte, allem gesellschaftlichen Wandel trotzt.
"Die Kultur ist zurück am Domgymnasium", freute sich Direktorin Dorothea Blume, dass es trotz aller Widrigkeiten gelungen war, ein Theaterstück auf die Bühne zu bringen – mit echter Interaktion der Schauspieler und vor Publikum. "Vor acht Wochen habe ich noch gesagt: Das wird nie klappen." Nun sei sie glücklich, "dass wir wieder den ersten Pflock eingeschlagen haben".
Von der Ungewissheit, ob es überhaupt eine Aufführung geben würde, ließen sich die acht Darsteller und das Musikteam sowie die vielen Mitwirkenden an Licht, Ton, Technik, Kostümen und Ausstattung nicht beirren – und das, obwohl die Produktion des Vorjahres, das Stück "Hexenjagd" von Arthur Miller, Pandemie-bedingt nicht zur Aufführung gekommen war. Unter Einhaltung aller Hygieneregeln, mithilfe von digitalen Proben und über weite Strecken unter Verzicht auf elementarste Grundlagen des szenischen Spiels brachte die Theater-AG eine Inszenierung zustande, der man die Schwierigkeiten ihrer Entstehung überhaupt nicht anmerken konnte. Jedes Detail wirkte, als müsse es genau so sein; die Vereinzelung, die die Schauspieler schmerzlich spüren ließen, unterstrich die Botschaft Büchners besonders eindringlich.
Nils Ewert erwies sich in der Titelrolle als kompetenter, mutiger Schauspieler, dessen langjährige Erfahrung mit dem Theaterspiel unverkennbar war. Körperlich und seelisch angeschlagen, ja fast zerstört durch den zynischen Menschenversuch, den Doktor Cornelius van de Bliksem (Lukas Gremm) an ihm durchführte, zeigte er eine ganze Reihe von Zeichen des nahenden Zusammenbruchs. All diese Symptome wie Grimassieren und Augenzwinkern, ständiges Kratzen an Händen und Armen, hängende Schultern, Zucken der Gliedmaßen und vieles mehr, hielt er so konsequent durch, dass sein Elend für die Zuschauer kaum zu ertragen war. Man wollte auf die Bühne springen, ihn in den Arm nehmen und dem Einfluss des verbrecherischen Arztes und seiner ebenfalls unerträglich zynischen und bösartigen Vorgesetzten Sandra Schlapp-Fit, die die Figur des Hauptmanns ersetzte, entziehen. Yanina Heitmann spielte die Personalchefin mit derselben subtilen Machtdemonstration, demselben Mangel an Empathie und derselben Oberflächlichkeit, wie sie den Zuschauer auch in der Originalversion verstört.

Letztmalig hebt sich der Vorhang am Freitag, 18. Juni.
Lukas Gremm gestaltete seine Rolle als blind auf das Ziel fokussierter Yuppie-Wissenschaftler, der seine Patienten auf Pulsschlag und chemische Zusammensetzung des Urins reduziert, so überzeugend, dass den Zuschauern bange werden konnte.
Mit Anna-Katharina Kropp stand als Marie eine sehr erfahrene Darstellerin auf der Bühne, die, ebenso wie Nils Ewert, Yanina Heitmann und Marlin Mackensen, mit "Woyzeck" ihre Abschiedsvorstellung gab – alle vier stehen derzeit mitten im Abitur. Ehrlich, unkompliziert und voller Lebenshunger verkörperte die Marie eine ganz normale junge Frau, die nichts Böses will und trotzdem verletzt, und die in Spielregeln gezwungen wurde, die sie nicht einhalten kann.
Nicht als Tambourmajor, sondern als Marketing-Chef spielte Julius von Cappendorff (Marlin Mackensen) mit Maries Gefühlen und ihrer Integrität. Unbeteiligter und passiver als im Original, war Andres (Rebecca Lindenthal) zwar Woyzecks Zuflucht, aber keinesfalls seine Stütze – hilflos auch er, hatte er als Trost nur seinen Schnaps anzubieten. Auch wenn ihre Nebenrollen nur klein waren, begeisterte FSJ-lerin Elisabeth Schneider, vor allem in ihrer bezaubernden Gesangseinlage vom einsamen Kind. Ihre Kollegin B'Nina Ait-Kaci spielte dazu die Gitarre und stand auch als Freundin Margret mit auf der Bühne.
Bedrückend und intensiv war das "akustische Bühnenbild" in Form von Sprachcollagen-Schleifen, in denen sich zwischen den einzelnen Szenen das zuvor Gesagte in ständigen Wiederholungen in den Kopf bohrte – begleitet von einem permanenten hämmernden Pulsschlag. Und sogar echte Bühnenmusik mit Querflöte, Cello und Posaune erklang von der Empore.
Das begeisterte Publikum sparte nicht mit Szenen-Applaus, ging gebannt mit dem tragischen Helden den Weg in den totalen Wahnsinn und spendete am Schluss mit Jubel gemischten lang anhaltenden Beifall für die rundum gelungene Vorstellung, die am Freitag, 18. Juni, ab 20 Uhr zum letzten Mal über die Bühne geht.