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Bremer Kreuz So lief die Protestaktion der Klimaaktivisten in Achim

100 Personen waren angemeldet, sechs sind gekommen. Dafür begleiteten zahlreiche Polizisten den Protest nahe des Bremer Kreuzes, der wegen der Vollsperrung der Autobahn ansonsten kaum ein Publikum fand.
28.08.2024, 18:04 Uhr
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So lief die Protestaktion der Klimaaktivisten in Achim
Von Elina Hoepken

Mittwochmittag, 11.40 Uhr auf einer Autobahnbrücke über der A27 in Achim: In rund 20 Minuten soll hier eine angemeldete Versammlung von Klimaaktivisten stattfinden, aber zum aktuellen Zeitpunkt weiß keiner der Beteiligten so ganz genau, wie diese Versammlung ablaufen wird – weder die Stadt noch die Polizei oder die Aktivisten selbst. Denn alle warten auf eine Rückmeldung des Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg. Das soll entscheiden, in welcher Form und für welchen Zeitraum die angekündigte Protestaktion zulässig ist.

Die Aktivisten wollten sich von der Autobahnbrücke südlich des Bremer Kreuzes abseilen und an dem Geländer Protestplakate anbringen. Die Stadt hielt das als Genehmigungsbehörde für zu gefährlich, das Verwaltungsgericht in Stade allerdings gab sein Ok unter der Voraussetzung, dass der Autobahnabschnitt für den Zeitraum der Protestaktion gesperrt wird. Die Stadt wollte daraufhin die Aktion verkürzen, um die erwarteten Einschränkungen so gering wie möglich zu halten, und beantragte das beim Oberverwaltungsgericht (siehe Infokasten).

Lange Staus

Um 11.45 Uhr erhält der Einsatzleiter der Polizei dann auf der Autobahnbrücke die Info: Die Aktion darf stattfinden, allerdings nicht wie zuvor von den Aktivisten geplant für eine Stunde, sondern nur für eine halbe. Die Autofahrer rund um die Brücke spüren die Auswirkungen der Aktion da aber schon längst. Denn bereits ab 11.30 Uhr hatte die Polizei die A27 im Bereich zwischen den Anschlussstellen "Bremer Kreuz“ und "Achim Nord" beidseitig gesperrt. Bereits zu Beginn der eigentlichen Protestaktion staute sich der Verkehr nach Angaben von Polizeisprecher Helge Cassens daher sowohl in Richtung Bremen als auch in der Gegenrichtung schon auf jeweils rund fünf Kilometer.

Die Aktivisten selbst ließen sich davon nicht verunsichern. "Wer Auto fährt, muss Staus in Kauf nehmen", sagte Ruben, einer der Aktivisten, mit Blick auf das zu erwartende Verkehrschaos, das er und seine Mitstreiter durch ihre Aktion auslösen würden. Angemeldet hatten die Organisatoren bei der Stadt zunächst eine Versammlung mit 100 Teilnehmern. Letztlich versammelten sich am Mittwochmittag auf der Brücke sechs Aktivisten. "Wir sind zwar nur eine kleine Gruppe, aber wir schaffen hier mit wenigen Leuten eine sehr ausdrucksstarke Aktion."

Großes Polizeiaufgebot

Und für diese Aktion war auch einiges an Polizeipräsenz erforderlich. Genaue Zahlen wollte Helge Cassens nicht nennen. "Aber wir sind klar in der Überzahl", sagte er mit Blick auf die kleine Anzahl an Aktivisten. Für den Einsatz habe man Kräfte aus der gesamten Polizeiinspektion herangezogen. Darüber hinaus war auch die Bereitschaftspolizei Oldenburg und ein spezialisiertes Höhenteam für den Ernstfall im Einsatz.

Die Protestaktion selbst lief dann allerdings relativ geräuschlos ab. Um kurz nach 12 Uhr seilten sich zwei Aktivisten samt ihrer Banner von der Brücke ab und blieben dort dann rund 30 Minuten hängen. Danach wurden die Schilder wieder aufgerollt und die Versammlung um 12.40 Uhr offiziell beendet. "Für mich war das eine erfolgreiche Aktion", sagte Ruben. "Auch wenn wir uns natürlich gewünscht hätten, die Aktion bei fließendem Verkehr durchführen zu können, damit möglichst viele die Plakate auch sehen." So blieben im Grunde die Polizisten und die anwesenden Pressevertreter die einzigen, die die Banner mit Aufschriften wie "Warum sind hier überall Autos?" oder "There is no planet B" zu Gesicht bekamen.

Solidarität mit Angeklagten

Mit ihrer Aktion auf der Autobahnbrücke wollten die Aktivisten nach eigenen Angaben auch ihre Solidarität mit einem 28-jährigen Mann und einer 25-jährigen Frau aus Gießen ausdrücken, die sich derzeit vor dem Achimer Amtsgericht verantworten müssen. Ihnen wird vorgeworfen, im Frühjahr 2021 gemeinsam mit anderen Klimaaktivisten auf eine Schilderbrücke an der A27 zwischen Achim-Nord und dem Bremer Kreuz geklettert zu sein. Dort hätten sie anlässlich der damals in Bremen stattfindenden Verkehrsministerkonferenz ein Transparent gegen die – ihrer Meinung nach – verfehlte deutsche Klimapolitik festgeklebt und sich von der Schilderbrücke abgeseilt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Nötigung in besonders schwerem Fall vor. Ein Urteil in der Sache könnte an diesem Donnerstag, 29. August, gesprochen werden.

"Wir wollen mit unserer Aktion zeigen, dass ein derartiger Protest keine schwere Nötigung ist, sondern dass man ihn mit dem Segen der Gerichte durchführen kann", erklärte Ruben die Intention. "Diese Art des Protestes ist vielleicht nicht gewöhnlich, aber sie ist auch nicht strafbar." Daher habe man für den Protest ganz bewusst auch eine Autobahnbrücke ausgesucht, von der aus man einen direkten Blick auf die Schilderbrücke hat, an der sich Aktivisten im Frühjahr 2021 abgeseilt hatten.

Unfall im Stau

Gegen kurz vor 13 Uhr konnte die Polizei nach eigenen Angaben die Sperrung der A27 wegen der Versammlung wieder aufheben. Im Zuge der Protestaktion kam es aber nicht nur zu kilometerlangen Staus, sondern bei Langwedel gegen 12.30 Uhr auch zu einem folgenschweren Verkehrsunfall am Stauende. Eine 70-jährige Autofahrerin bemerkte den Stau zu spät und fuhr auf das vor ihr fahrende Auto auf. Ihr Wagen überschlug sich und prallte gegen ein weiteres Fahrzeug. Bei dem Unfall wurden vier Personen leicht verletzt. Neben den Einsatzfahrzeugen der Autobahnpolizei Langwedel waren zudem vier Rettungswagen und ein Notarztwagen vor Ort, dazu zwei Abschleppwagen. Die Vollsperrung der A27 durch die Autobahnmeisterei allein aufgrund dieses Unfalls dauerte bis etwa 16 Uhr, da laut Polizei neben der Unfallaufnahme und der Bergung der drei Pkw zudem noch die Fahrbahn gereinigt werden musste.

Info

Für seine Entscheidung blieb dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg nicht mal eine Stunde Zeit. Im Eiltempo galt es am Mittwochmorgen, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade und die Beschwerde dagegen durch die Stadt Achim zu bewerten. Im Kern ging es um die Frage, ob die angemeldete Versammlung auf der Autobahnbrücke auf eine halbe Stunde begrenzt werden könnte. So hatte es die Stadt Achim in ihrer Beschwerde gegen das vorangegangene Urteil beantragt.
In seiner Erklärung für den Beschluss, die am Abend zuvor öffentlich gewordene Anordnung des Verwaltungsgerichts Stade, anzupassen, geht das Oberverwaltungsgericht aber wesentlich weiter. Der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts betont, dass er die Einschätzung der Vorinstanz nicht teilt, dass durch die zeitlich beschränkte Vollsperrung der erforderliche Ausgleich zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und der widerstreitenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit geschaffen werde.
"Zum Ausgleich der betroffenen Grundrechte sei es hier nicht erforderlich gewesen, eine Vollsperrung der A 27 anzuordnen", stellt der Senat fest. "Denn mit dieser Vollsperrung der Autobahn seien erhebliche Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer sowie Anrainer an den Umleitungsstrecken verbunden, hinter denen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zurückstehen müsse." Nach den vorliegenden Gefahrenprognosen würde bereits eine kurzzeitige Sperrung der betroffenen Strecke zu Rückstaus im gesamten Bremer Stadtbereich und Umland führen, was die Gefahr von Auffahrunfällen erhöhe.
Dass es dennoch zu Sperrung kam, hat demnach formale Gründe. "Da der Beschwerdeantrag der Stadt Achim aber nur darauf gerichtet gewesen sei, den Sperrzeitraum von einer Stunde auf eine halbe Stunde zu reduzieren, sei der Senat an diese konkrete Antragstellung gebunden gewesen und habe daher auch lediglich die Verkürzung der Sperrzeit anordnen können", heißt es in der Mitteilung des Gerichts.
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