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Hochwasser in Verden Hochwasseropfer Iris von Brill kehrt heim

Heimkehr: Iris von Brill kann ihr Haus im Verdener Fischerviertel inzwischen wieder bewohnen. Inmitten eines Meeres aus Sandsäcken blickt sie optimistisch in die Zukunft.
05.01.2024, 16:50 Uhr
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Hochwasseropfer Iris von Brill kehrt heim
Von Jörn Dirk Zweibrock

Sie ist wieder da, zurück in ihrem historischen Haus am Mühlentor. Und sie ist glücklich, einfach nur glücklich, dass sie schon wieder vier Nächte in ihrem eigenen Bett geschlafen hat. Die Verdenerin Iris von Brill gehört zu den Menschen aus dem Fischerviertel, die das Hochwasser wohl am stärksten getroffen hat. Nun betet sie, dass die Allerstadt von einer zweiten Welle verschont bleibt und der Fluss über das Wochenende nicht wieder steigt. "Ich hoffe, dass der Wasserstand im Unterlauf der Aller stagniert", erzählt die Verdenerin beim Blick auf ihr Smartphone. Die entsprechenden Warn- und Pegel-Apps gehören bereits seit Tagen zu ihren festen Alltagsbegleitern, "so bin ich immer gleich auf dem neuesten Stand". Freitagmittag betrug der Pegelstand der Aller in Eitze noch 6,29 Meter. Während die Verdenerin mit einem Becher Kaffee in der Hand von ihrem Küchenfenster auf die andere Allerseite, gen Hönisch blickt, kann sie den Einsatz der Blaulichtfamilie beobachten, die dort die Bundesstraße 215 prophylaktisch mit Big Bags schützen will.

Als die Alarmglocken läuten 

Seit April 2012 lebt Iris von Brill bereits in dem schnuckeligen, auf Findlingen errichteten Haus am Mühlentor, das schon mehr als 200 Jahre auf dem Buckel hat. Wird der Sand zwischen den Steinen weggespült, wird es naturgemäß kritisch. Zum Anwesen gehört auch der städtische Hirtenturm aus dem Jahr 1512, der von ihr als Unterstand genutzt wird. "Beim Sommerhochwasser 2013 war draußen schon einmal der Weg überschwemmt", erinnert sich Iris von Brill. Dass es einmal ein Hochwasser solchen Ausmaßes geben könnte, habe sie sich einfach nicht vorstellen können.

Als das Wasser am Mittwoch nach Weihnachten auf einmal auf dem Rasen stand, läuteten bei ihr sofort die Alarmglocken. "Ich habe sofort die Sachen im Turm hochgestellt und bei der Feuerwehr um Sandsäcke gebeten, der Hirtenturm gehört ja schließlich der Stadt", betont die Verdenerin. Dann der große Schock: "Am 28. Dezember klingelten die Einsatzkräfte frühmorgens auf einmal Sturm bei mir", erinnert sie sich, "da stand mein Auto bereits unter Wasser, der Turm schwamm und mein Kriechkeller war voller Wasser". Nachdem sie ihren fahrbaren Untersatz schnell umgeparkt, in Sicherheit gebracht hatte, musste sie erstmal tief durchatmen. "In Krisenzeiten funktioniert man einfach nur und steht so unter Adrenalin, dass einem das Zeitgefühl völlig abhanden kommt. Außerdem wird man sehr dünnhäutig."

Ständig unter Adrenalin

In den nächsten Stunden kam dann der nächste Schock: Die Hausecke drohte abzusacken. "Die Feuerwehr konnte den Messstab anderthalb Meter ohne Widerstand in die Tiefe stecken", erinnert sich das Hochwasseropfer. Unter Einbeziehung eines Sachverständigen vom Technischen Hilfswerk (THW) wurde entschieden, dass sie das über 200 Jahre alte Haus lediglich betreten, aber nicht mehr bewohnen konnte. Was packt man in einem solchen Moment ein? Kleidung, wichtige Dokumente? "Mir kam in diesem Moment nur der Inhalt meiner Gefriertruhe in den Sinn – wie gute Hausfrauen nun einmal sind", verrät sie lachend.

Rückblickend könne sie nun nur noch über diese Reaktion schmunzeln – wie gesagt, der Adrenalinschock. Dann kamen die Sandsäcke, in das Loch, in den Kriechkeller, wo sich die Hausanschlüsse für Strom und Gas befinden, die natürlich später allesamt abgeklemmt wurden. "Fünf Paletten voller Sandsäcke wurden im Keller verlegt", rechnet Iris von Brill vor. Um Gegendruck zu erzeugen, sei er geflutet worden. Später wurden insgesamt vier Messpunkte rund um das Haus eingerichtet, um die am historischen Gebäude entstandenen Risse engmaschig zu kontrollieren. "So ein altes Haus ist ja eigentlich immer in Bewegung", weiß Iris von Brill.

Die Heimkehr

Zum Glück wurden die Risse nicht schlimmer und mit dem alten Regenwasserfallrohr, vermutlich aus Ton, wurde dann auch schnell von den Experten der Casus knacksus, des Pudels Kern, ausfindig gemacht. Wahrscheinlich sei es durch dessen Absacken zu einer Art Umwirbelung gekommen. 

Dienstag erhielt sie dann die erlösende Nachricht: "Endlich konnte ich wieder in mein Zuhause", zwar mit der Auflage, den entscheidenden Messpunkt im Kriechkeller stets im Auge zu behalten und beim Überschreiten sofort die 112 zu wählen, aber immerhin, "zu Hause ist einfach zu Hause", resümiert die Bewohnerin des Verdener Fischerviertels. Die Anschlüsse für Strom und Wasser wurden von den Stadtwerken inzwischen wieder angeklemmt und trotz immer noch überflutetem Garten und Sandsackdepot im Wintergarten macht sich wieder eine wohlige Wärme im Haus am Mühlentor breit. 

Teure Elementarversicherung

Stichwort Versicherung: Die Menschen, die im Fischerviertel in der sogenannten roten Zone leben, wissen, wie teuer der Abschluss einer Elementarschadenversicherung ist. 2500 Euro jährlich zuzüglich 5000 Euro Selbstbeteiligung sind diesbezüglich gang und gäbe.

Wenn sie nun – mit ein wenig Abstand, ohne Adrenalin und mit wiedererlangtem Zeitgefühl, an die Situation denke, könne sie die Einsatzkräfte wie Feuerwehr und THW, das städtische Ordnungsamt und die Versorger nur umarmen. "Ich könnte weinen und bin so dankbar für ihre Fürsorge, dass alles so super geklappt hat." Iris von Brill ergänzt: "In Krisenzeiten läuft eben was, auch die Nachbarschaft ist weiter zusammengerückt, wir sind inzwischen eine richtig gute Gemeinschaft geworden." Trotz Hochwasser-Katastrophe im Fischerviertel habe sie auch unglaublich viele schöne Momente erlebt. 

Künftig will sie das Haus noch hochwassersicherer umbauen. Außerdem lebe sie jetzt mit der Gewissheit, dass es jederzeit wieder eine Flut vor ihrem Wintergarten geben könnte – Stichwort Klimawandel.

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