Der Angeklagte schwieg beharrlich. Sein Kumpel dagegen redete vor dem Verdener Amtsgericht nicht nur viel, sondern sich gelegentlich auch regelrecht in Rage. Immer dann nämlich, wenn Richter oder Staatsanwältin ihn mit zielgerichteten Fragen auf zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten in seiner Zeugenaussage hinwiesen. Um modifizierte Angaben zum angeblichen Unfallhergang am Himmelfahrtstag 2022 in Kirchlinteln war der 45-Jährige aber nie verlegen. Beharrlich und mit haarsträubenden Behauptungen versuchte er, sich selbst als Fahrer und Crash-Verursacher zu inszenieren. Seine dramatische Märchenstunde im engen Gerichtssaal hatte allerdings nicht die erhoffte Wirkung.
Was offenkundig als Freundschaftsdienst gemeint war, stufte Richter Christoph Neelsen später nicht nur als „schlechte“, sondern auch als „glasklare Falschaussage“ ein, die Konsequenzen haben werde. Dies sowie die Feststellung, dass er eine „abwegige Geschehensdarstellung“ geliefert habe, hörte der Mann aus Hohenaverbergen aber nicht mehr. Auch nicht, dass er den seinerzeit reichlich alkoholisierten Angeklagten mitnichten vor einer Verurteilung bewahrt hatte. Der Kirchlintler, der gegen einen entsprechenden Strafbefehl Einspruch eingelegt hatte, erhielt wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe in Höhe von 7800 Euro (60 Tagessätze zu je 130 Euro). Hinzu kam ein fünfmonatiges Fahrverbot.
Tierischen Details
Das war alles ganz anders gedacht. Der vehemente, mit buchstäblich tierischen Details gespickte Vortrag des ersten von sieben Zeugen sollte eindeutig dazu dienen, gleich die Fronten zu klären und den Angeklagten „rauszuhauen“. Laut der Darbietung saß damals keineswegs der heute 50-jährige Unternehmer am Steuer seines Mercedes. Vielmehr war es der im Gegensatz zu ihm stocknüchterne Freund, der sich nach einer feuchtfröhlichen Feier in Verden erboten hatte, ihn nach Hause zu chauffieren. Als die Tour dann in den frühen Morgenstunden zur Maienzeit auf der Hauptstraße (L 171) abrupt endete, war daran auch selbstverständlich der hilfsbereite Fahrer schuld.
Der 45-Jährige wurde nicht müde, einen gar abenteuerlichen Ablauf zu schildern, in deren Verlauf auch einem Reh eine tragische Rolle zugeschrieben wurde. Es sei plötzlich über die Straße gelaufen, er habe daher heftig bremsen müssen, eine Baum-Kollision sei unvermeidlich gewesen, gab der Zeuge zum Besten. Er wisse zwar nicht, ob er das arme Tier überhaupt „erwischt“ habe, aber „nach meinem Gefühl habe ich es gestreift“. Sein verletzter Beifahrer, also der Angeklagte, habe ihn sofort aufgefordert „Such‘ nach dem Reh!“ Was er auch getan habe, „gefühlt zehn Minuten“ sei er unterwegs gewesen, habe sogar „die ganzen Gärten“ in der Umgebung abgesucht – vergeblich.
"Unglaubwürdige" Angaben
Mit der Reh-Recherche wollte der Zeuge vermutlich eine Begründung dafür liefern, dass er nicht am Unfallort war, als aufgeschreckte Nachbarn dort erschienen und bald auch die Polizei eintraf. Nach deren Mitteilung vom Himmelfahrtstag war es der Angeklagte, der in Höhe der Straße Vor dem Holze die Kontrolle über seinen Wagen verloren und eine Verkehrsinsel und mehrere Schilder überfahren hatte. Das Auto hatte sich demnach überschlagen und war auf dem Dach zum Liegen gekommen. Registriert wurden eine leichte Verletzung des Mannes, seine Alkoholisierung (1,9 Promille gemäß Atemalkoholkontrolle) sowie ein Totalschaden des Mercedes.
Dass der Besitzer des Fahrzeugs auch der Fahrer war, stand jetzt für den Amtsrichter ebenfalls fest. „Daran gibt keinen ernsthaften Zweifel“, sagte Neelsen. In seiner Urteilsbegründung zerpflückte er nach und nach die „unglaubwürdigen“ Angaben des Zeugen und führte zu diesem Zweck auch die Erkenntnisse des Sachverständigen für Straßenverkehrsunfälle, Ingo Holtkötter (Münster). Der zwecks Entlastung seines Freundes angetretene 45-Jährige hatte den Verfahrensbeteiligten auch weismachen wollen, der trunkene Angeklagte sei bald nach Fahrtantritt eingeschlafen, nach rechts gekippt und habe quasi mit dem Kopf auf seinem Schoß gelegen. Daher habe bei der Kollision auch nicht der Beifahrer-Airbag ausgelöst.
Auf eklatante Widersprüche auch zu seinen ersten Aussagen gegenüber der Polizei angesprochen, monierte der Zeuge unter anderem, man habe erst „einfach ignoriert“ und dann habe unter anderem der „Dorfsheriff“ nicht aufgeschrieben, was er erzählt habe. „Ich stand unter Schock“, erklärte er auch treuherzig. „An die Hälfte von dem, was ich gesagt habe, kann ich mich nicht mehr erinnern“. An seine Zeugenvernehmung dürfte sich der Geschäftsmann noch im Zuge eines Verfahrens wegen uneidlicher Falschaussage erinnern.