In wenigen Wochen wird sich entscheiden, ob es am Landgericht Verden zu einem Novum in der deutschen Rechtsgeschichte kommt. Erste wichtige Weichen sind bereits gestellt, indem die 1. große Strafkammer den Antrag der örtlichen Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens in einem über vier Jahrzehnte zurückliegenden Mordfall für zulässig erklärt hat. Einem schon einmal rechtskräftig freigesprochenen Mann könnte damit erneut der Prozess gemacht werden. Er gilt als „dringend verdächtig“, eine 17-jährige Schülerin am 4. November 1981 in der Gemarkung Hambühren (Kreis Celle) vergewaltigt und getötet zu haben.
Der Mann befindet sich seit dem 25. Februar wieder in Untersuchungshaft. Neben dem Haftgrund der Schwerkriminalität soll Fluchtgefahr bestanden haben. Eine Ende vergangenen Jahres in Kraft getretene Reform des Strafrechts macht ein Wiederaufnahmeverfahren möglich. Danach können Strafprozesse bei schwersten Taten, etwa Mord und Völkermord, auch dann wieder aufgerollt werden, wenn ein Verdächtiger oder eine Verdächtige schon einmal rechtskräftig freigesprochen wurde – vorausgesetzt, dass neue Beweismittel vorliegen und eine Verurteilung auf dieser Basis als sehr wahrscheinlich eingeschätzt wird. Bisher galt die Regel, dass ein Freispruch für ewig ist.
Mehrere Gerichte beschäftigten sich mit dem Fall
Der gewaltsame Tod der 17-Jährigen hat schon etliche Gerichte beschäftigt. Die Schülerin war in jenem Abend im November 1981 nach dem Musikunterricht nicht nach Hause gekommen. Ihre Leiche war vier Tage später entdeckt worden und wies eine Vielzahl von Messerstichen auf. Im ersten Prozess 1982 war der jetzt erneut festgenommene, damals 22-jährige Mann vom Landgericht Lüneburg zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben hatte, musste er sich im Jahr darauf vor dem Landgericht Stade verantworten – und wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Dieses Urteil erlangte Rechtskraft, ließ jedoch vor allem den Vater des Opfers niemals ruhen. So strengte er auch eine Schmerzensgeldklage gegen den mutmaßlichen Mörder seiner Tochter an, um auf diesem Wege vielleicht etwas zu erreichen. Doch 2015 scheiterte er damit beim LG Lüneburg und 2016 auch in der zweiten Instanz beim Oberlandesgericht Celle.
Entscheidung in drei bis vier Wochen
Was bei den Strafprozessen Anfang der 1980er Jahre mangels technischer Möglichkeiten und Untersuchungsmethoden noch nicht vorgelegen hatte, existierte zu diesem Zeitpunkt bereits: ein DNA-Gutachten des Landeskriminalamtes, das den Mann schwer belasten und nun im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens von besonderer Bedeutung sein soll. Für die Gesetzesreform hatte der Vater der Getöteten sich 2016 mit einer Petition beim Bundesjustizministerium starkgemacht. Sie enthielt über 100.000 Unterschriften.
Derzeit überprüft das Landgericht nach Angaben einer Sprecherin, ob die von der nunmehr zuständigen Staatsanwaltschaft Verden vorgelegten Beweismittel ausreichen und es einen neuen Prozess geben wird. Eine Entscheidung sei in den kommenden drei bis vier Wochen zu erwarten. Die Hauptverhandlung müsste innerhalb des nächsten halben Jahres beginnen, eventuell auch schon früher, da der Tatverdächtige schon früher in Untersuchungshaft saß und diese Zeit anzurechnen wäre. Der Verteidiger soll Haftbeschwerde angekündigt haben.