Wesermarsch. Dieter Voigt wollte am Sonntag eigentlich seine Schafe für die Schur im Stall zusammentreiben, doch der Deichschäfer aus Huntebrück fand seine Herde nicht auf der Winterweide. Die Tieren waren ausgebrochen – und drei von ihnen so schwer verletzt, dass er den Veterinär verständigen musste. Zwei Schafe konnten medizinisch versorgt werden, ein Tier musste eingeschläfert werden. Voigt glaubt, dass ein Wolf die Schafe angegriffen hat. Es wäre der erste Wolfsriss bei seiner Herde.
Ob es einer war, kann Voigt nur vermuten. Das Ergebnis der DNA-Analyse steht noch aus. Der Deichschäfer geht davon aus, dass erst in einem halben Jahr feststeht, ob tatsächlich ein Wolf seine Tiere verletzt hat. So lange dauere es mittlerweile, ehe Proben untersucht sind. Lotta Cordes nennt andere Zahlen. Die Sprecherin des Niedersächsischen Umweltministeriums sagt, dass die Ergebnisse in drei bis zwölf Wochen vorlägen. Cordes begründet die große Zeitspanne damit, dass mal mehr, mal weniger Analysen vorgenommen werden. Es gibt nur ein Labor, das bundesweit alle Fallproben untersucht.
Wunden am Hals
Voigt, früher Prüfer in der Baubehörde, jetzt Deichschäfer im Nebenerwerb, hat seit fast 40 Jahren Schafe, aber so etwas hat er bisher nur auf Fotos oder bei anderen Schafhaltern gesehen: Tiere, die aus Wunden am Hals und an der Flanke bluten, die verstört im Graben liegen oder erschöpft auf einem Rasen, der einen Kilometer von der Weide entfernt ist. Voigt sagt, dass es zwar keinen Beweis dafür gibt, dass ein Wolf der Jäger war, aber Indizien. Der 66-jährige Schäfer spricht davon, dass seine Tiere vor allem an den Kehlen verletzt wurden. Und dass Hunde für gewöhnlich nicht so gezielt, sondern überallhin beißen.
Ministeriumssprecherin Cordes sagt, dass beides in der Wesermarsch vorkommt – Risse von Hunden wie von Wölfen. Auf einer Karte der Behörde kann man sehen, wie viele bestätigte Angriffe auf Schafe es von Wölfen gab. Verzeichnet sind bisher drei: einer bei Huntorf, einer bei Elsfleth, einer bei Jade. Dunkelgrüne Quadrate markieren die Orte. Es gibt auch eine Reihe von hellgrünen Dreiecken. Sie zeigen Nutztierrisse an, bei den die DNA-Analyse noch nicht abgeschlossen ist. Die Dreiecke – vier gib es – sind alle in der Nähe von Ovelgönne. Der Fall von Schafhalter Voigt ist noch nicht vermerkt.
Der Huntebrücker sagt, im Grunde nichts gegen Wölfe zu haben – wenn es denn Gebiete gäbe, in denen sie tabu sind. Zum Beispiel das Deichgebiet. Voigt kann nach eigenem Bekunden seine Schafe nicht immer so schützen wie es das Ministerium gerne hätte. Weil er seine Tiere oft von einer Weide zur nächsten und von einem Deichabschnitt zum anderen treiben muss, setzt er auf die üblichen Zäune und nicht auf höhere, die unter Strom stehen und wolfssicher sein sollen. Voigt glaubt nicht daran, dass ein Zaun das überhaupt sein kann. Der Wolf, meint er, sei zu intelligent, um sich davon aufhalten zu lassen.
Aussicht auf Entschädigung hat Voigt nach eigenen Angaben deshalb nicht. Geld gibt es ihm zufolge seit zwei Jahren nur noch, wenn die Tiere hinter den vermeintlich wolfssicheren Zäunen weiden. Er findet, dass nicht allein die Schäfer dafür sorgen müssen, dass Nutztiere geschützt werden, sondern dass die Behörde dabei helfen muss – in dem sie eben dafür sorgt, dass es auch wolfsfreie Gebiete gibt. Voigt kommt auf rund 100 Tiere und eine Fläche von zehn Hektar, die er mit ihnen bewirtschaftet. Vollberufsschäfer kommen ihm zufolge gut und gerne auf die siebenfache Zahl an Tieren und ein vielfaches an Fläche.
Ob der Deichschäfer tatsächlich nicht entschädigt wird, ist unklar. Laut Ministeriumssprecherin Cordes bekommt jeder Schafhalter einen Geldbetrag, der wie Voigt einen Nutztierriss per DNA-Analyse dokumentieren lässt. Fest steht für Voigt dagegen, dass die EU-Kommission wolfsfreie Zonen, wie sie der Huntebrücker fordert, kritisch sieht. Um der besonderen Problematik von Schafsrissen am Deich gerecht zu werden, prüfe das Ministerium jedoch geragel, welche Maßstäbe an die Zumutbarkeit von Herdenschutz am Deich anzulegen sind. Cordes sagt, dass pragmatische Lösungen gefunden werden müssten, die die besondere Funktion der Schafe für den Hochwasserschutz im Blick behalten.