Die Zeiten, als Landwirte ihre Kühe noch von Hand auf der Weide gemolken haben, sind lange vorbei. Heute kommt Landwirtschaft auf vielen Höfen als Hightech- Anwendung daher. Die Futterzufuhr wird über Computer gesteuert, Traktoren bewirtschaften Felder autonom und Kühe geben über verschluckte Messgeräte rund um die Uhr Daten zu ihrer Gesundheit ab. "Digitale Landwirtschaft – Wie sieht unsere Zukunft aus?" lautet eine Veranstaltung, zu der die Wirtschaftsförderung Wesermarsch für Dienstag, 12. Juli, explizit Bürger einlädt, die eines haben: Lust zum Diskutieren mit Landwirten, Wissenschaftlern und Künstlern.
Technik an sich hat schon vor langer Zeit Einzug in den Kuhstall gehalten. Melkmaschinen helfen bei der Milchgewinnung. In vielen Ställen steht dem Milchvieh ein Melkroboter zur Verfügung, den die Kühe eigenständig aufsuchen, wenn das Euter drückt. Doch Digitalisierung ist mehr. Sie geht mit Datenströmen einher. "Wenn man an Digitalisierung denkt, hat man nicht unbedingt Landwirtschaft auf dem Schirm", sagt Tatjana Holthusen. "Dabei waren die Landwirte eine der ersten beim autonomen Fahren", betonte die Braker Landwirtin. "Viele Traktoren fahren ohne Fahrer auf den Feldern." Heu- und Strohernte werde vielerorts autonom eingebracht.
Tatjana Holthusen und ihr Ehemann Jendrik, auf deren Hof die Veranstaltung stattfindet, verwenden keine autonom fahrende Landmaschinen. "Bei uns sind die Felder zu klein. Da würde sich das Vorab-Ausmessen nicht lohnen", begründet die Landfrau. Ein Hindernis in der Wesermarsch seien zudem die vielen Grüppen – flache Gräben, die der Entwässerung in Marschgebieten dienen.
Doch auch auf Holthusens Hof hat die Digitalisierung Einzug gehalten – als sogenannter Pansenbolus, einem Chip, der vom Tier verschluckt wird. Dieser bleibt dauerhaft im Pansen der Wiederkäuer liegen. Er erfasst die Körpertemperatur und die Aktivität der Kuh. Mithilfe der Daten sollen Krankheiten, Brunstzeiten und Abkalbetermine frühzeitig erkannt werden.
Technik oft präziser als Gefühl
"Man muss ein Gefühl für seine Kühe haben, um ihnen anzusehen, wenn sie Fieber bekommen", sagt Landwirt Henning Kruse aus Lemwerder. Da kann Technik schon mal helfen. Auch der Butzhauser nutzt bei einem Teil seiner Milchkühe Boli. Mit Erfolg. "Ich habe einmal eine Meldung aufs Handy bekommen, dass eine Kuh ansteigende Temperatur hat", erinnert sich Kruse. Angemerkt habe er der Kuh zu dem Zeitpunkt noch nichts. Bei eingehender Betrachtung der Schwarz-Bunten habe er dann festgestellt, dass ein Euterviertel infiziert war. Er habe die Kuh gemolken und somit die Bakterien aus dem Euter entfernt. "Hätten wir die Kuh zu dem Zeitpunkt noch nicht behandelt, hätte sie wohl eine Euterentzündung bekommen", sagt der Landwirt. Dann wäre eine Behandlung mit Antibiotika unausweichlich gewesen.
Auch zur Erkennung der Brunst eigne sich die Technik, sagen Kruse und Holthusen übereinstimmend. "Der Bolus misst dann eine erhöhte Aktivität", weiß Kruse. Die Kuh könne aussortiert und besamt werden. Für die Landwirte ist das Erkennen des richtigen Besamungszeitpunktes wichtig, denn ohne Schwangerschaft und Kalb würde die Kuh keine Milch geben.
Der Vorteil sei enorm, aber es müssten Kosten und Nutzen abgewogen werden, sagt Henning Kruse. Ein Bolus koste 170 Euro. Das dazugehörige Antennensystem, damit die Daten aus dem Pansen der Kuh auch beim Landwirt ankommen, schlage mit weiteren 2500 Euro zu Buche. "Wir haben im Stall alle 20 Meter einen Empfänger für die Daten stehen", berichtet der Kruse. Das System sei zwar toll, aber derzeit noch nicht wirtschaftlich.
Große Hilfe beim Pflanzen-Management
Für die Grünlandoptimierung und den Ackerbau sei die Digitalisierung ebenfalls von großem Nutzen. Dank GPS gesteuerter Gerätschaften an Bord landwirtschaftlicher Fahrzeuge könne in der Wesermarsch beispielsweise Gülle so ausgebracht werden, dass die Grüppen auf den Weiden ausgespart bleiben. Gleiches gelte beim Legen von Mais auf den Äckern. Auf Kruses Weide- und Mähflächen können entsprechend ausgerüstete Traktoren die Farbe des Grases erfassen. Anhand der Färbung reduziert oder steigert das Fahrzeug den Düngerausstoß. "Wenn zu viel Dünger aufs Feld kommt, hilft es uns nicht. Das kostet nur Geld", sagt Kruse. "Aber wenn zu wenig Dünger vorhanden ist, schadet es", stellt der Butzhauser Landwirt fest.
In den Kinderschuhen stecke eine weitere Technik, die insbesondere Ackerbauern zugutekomme, sagt Kruse. Er berichtet von autonomen Hacken, die einzig dort tätig werden, wo unerwünschte Pflanzen stehen. Die erwünschten Pflanzen, beispielsweise Mais, blieben erhalten und könnten gedeihen.