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Digitalisierung auf dem Hof Daten aus dem Bauch der Kuh

Mikro-Chips senden Daten aus dem Inneren von Milchvieh. Traktoren steuern autonom über Felder. Das ist schon Realität. Landwirte wollen wissen, welche digitalen Zukunftsvisionen Bürger für ihre Zunft haben.
10.07.2022, 08:00 Uhr
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Daten aus dem Bauch der Kuh
Von Barbara Wenke

Die Zeiten, als Landwirte ihre Kühe noch von Hand auf der Weide gemolken haben, sind lange vorbei. Heute kommt Landwirtschaft auf vielen Höfen als Hightech- Anwendung daher. Die Futterzufuhr wird über Computer gesteuert, Traktoren bewirtschaften Felder autonom und Kühe geben über verschluckte Messgeräte rund um die Uhr Daten zu ihrer Gesundheit ab. "Digitale Landwirtschaft – Wie sieht unsere Zukunft aus?" lautet eine Veranstaltung, zu der die Wirtschaftsförderung Wesermarsch für Dienstag, 12. Juli, explizit Bürger einlädt, die eines haben: Lust zum Diskutieren mit Landwirten, Wissenschaftlern und Künstlern.

Technik an sich hat schon vor langer Zeit Einzug in den Kuhstall gehalten. Melkmaschinen helfen bei der Milchgewinnung. In vielen Ställen steht dem Milchvieh ein Melkroboter zur Verfügung, den die Kühe eigenständig aufsuchen, wenn das Euter drückt. Doch Digitalisierung ist mehr. Sie geht mit Datenströmen einher. "Wenn man an Digitalisierung denkt, hat man nicht unbedingt Landwirtschaft auf dem Schirm", sagt Tatjana Holthusen. "Dabei waren die Landwirte eine der ersten beim autonomen Fahren", betonte die Braker Landwirtin. "Viele Traktoren fahren ohne Fahrer auf den Feldern." Heu- und Strohernte werde vielerorts autonom eingebracht.

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Tatjana Holthusen und ihr Ehemann Jendrik, auf deren Hof die Veranstaltung stattfindet, verwenden keine autonom fahrende Landmaschinen. "Bei uns sind die Felder zu klein. Da würde sich das Vorab-Ausmessen nicht lohnen", begründet die Landfrau. Ein Hindernis in der Wesermarsch seien zudem die vielen Grüppen – flache Gräben, die der Entwässerung in Marschgebieten dienen.

Doch auch auf Holthusens Hof hat die Digitalisierung Einzug gehalten – als sogenannter Pansenbolus, einem Chip, der vom Tier verschluckt wird. Dieser bleibt dauerhaft im Pansen der Wiederkäuer liegen. Er erfasst die Körpertemperatur und die Aktivität der Kuh. Mithilfe der Daten sollen Krankheiten, Brunstzeiten und Abkalbetermine frühzeitig erkannt werden.

Technik oft präziser als Gefühl

"Man muss ein Gefühl für seine Kühe haben, um ihnen anzusehen, wenn sie Fieber bekommen", sagt Landwirt Henning Kruse aus Lemwerder. Da kann Technik schon mal helfen. Auch der Butzhauser nutzt bei einem Teil seiner Milchkühe Boli. Mit Erfolg. "Ich habe einmal eine Meldung aufs Handy bekommen, dass eine Kuh ansteigende Temperatur hat", erinnert sich Kruse. Angemerkt habe er der Kuh zu dem Zeitpunkt noch nichts. Bei eingehender Betrachtung der Schwarz-Bunten habe er dann festgestellt, dass ein Euterviertel infiziert war. Er habe die Kuh gemolken und somit die Bakterien aus dem Euter entfernt. "Hätten wir die Kuh zu dem Zeitpunkt noch nicht behandelt, hätte sie wohl eine Euterentzündung bekommen", sagt der Landwirt. Dann wäre eine Behandlung mit Antibiotika unausweichlich gewesen.

Auch zur Erkennung der Brunst eigne sich die Technik, sagen Kruse und Holthusen übereinstimmend. "Der Bolus misst dann eine erhöhte Aktivität", weiß Kruse. Die Kuh könne aussortiert und besamt werden. Für die Landwirte ist das Erkennen des richtigen Besamungszeitpunktes wichtig, denn ohne Schwangerschaft und Kalb würde die Kuh keine Milch geben. 

Der Vorteil sei enorm, aber es müssten Kosten und Nutzen abgewogen werden, sagt Henning Kruse. Ein Bolus koste 170 Euro. Das dazugehörige Antennensystem, damit die Daten aus dem Pansen der Kuh auch beim Landwirt ankommen, schlage mit weiteren 2500 Euro zu Buche. "Wir haben im Stall alle 20 Meter einen Empfänger für die Daten stehen", berichtet der Kruse. Das System sei zwar toll, aber derzeit noch nicht wirtschaftlich.

Große Hilfe beim Pflanzen-Management

Für die Grünlandoptimierung und den Ackerbau sei die Digitalisierung ebenfalls von großem Nutzen. Dank GPS gesteuerter Gerätschaften an Bord landwirtschaftlicher Fahrzeuge könne in der Wesermarsch beispielsweise Gülle so ausgebracht werden, dass die Grüppen auf den Weiden ausgespart bleiben. Gleiches gelte beim Legen von Mais auf den Äckern. Auf Kruses Weide- und Mähflächen können entsprechend ausgerüstete Traktoren die Farbe des Grases erfassen. Anhand der Färbung reduziert oder steigert das Fahrzeug den Düngerausstoß. "Wenn zu viel Dünger aufs Feld kommt, hilft es uns nicht. Das kostet nur Geld", sagt Kruse. "Aber wenn zu wenig Dünger vorhanden ist, schadet es", stellt der Butzhauser Landwirt fest.

In den Kinderschuhen stecke eine weitere Technik, die insbesondere Ackerbauern zugutekomme, sagt Kruse. Er berichtet von autonomen Hacken, die einzig dort tätig werden, wo unerwünschte Pflanzen stehen. Die erwünschten Pflanzen, beispielsweise Mais, blieben erhalten und könnten gedeihen. 

Zur Sache

Landwirtschaft neu denken

In der Landwirtschaft werden immer mehr digitale Werkzeuge verwendet. Mit Melk- und Mährobotern sowie Präzisionsanbau mittels Satelliten-Analysen scheine sich die Landwirtschaft besonders für digitale Unterstützung zu eignen, stellt Ingrid Marten von der Wirtschaftsförderung Wesermarsch fest.

Das interdisziplinäre Projekt Galatea betrachtet Themen wie Energie, Nachhaltigkeit oder Pflege aus der Perspektive der Digitalisierung. Dabei wird die Annahme getroffen, dass nicht der Einsatz von neuen Technologien den digitalen gesellschaftlichen Wandel gestaltet, sondern primär die Fähigkeit der Menschen, die Welt mit diesen neuen Werkzeugen zu denken.

Galatea kommt am 12. Juli mit der Frage in die Wesermarsch, wie die Zukunft der Landwirtschaft gedacht werden kann, wenn sie ebenfalls durch die Digitalisierung beeinflusst wird. Landwirt und Agrarwissenschaftler Jendrik Holthusen und der Leiter der Strategie-Abteilung der Bremer Technologiegruppe OHB, Egbert Jan van der Veen, halten Impulsvorträge. Der Tänzer und künstlerische Leiter der Tanzcompany „Of Curious Nature", Helge Letonja, wird seine Impulse über einen Tanz mit Kühen darbieten. Als Mitgestalter stehen zudem der Kölner Digital-Innovator Jens Heinen, die Bremer Puppenspielerin Claudia Spörri sowie die Bremer Schauspielerin Hanna Markutzik auf der Bühne.

„Wir wünschen uns eine Karambolage von unterschiedlichen Sichtweisen auf die heutige Landwirtschaft im Einfluss der Digitalisierung,“ so Christian Striboll, der Regisseur der Veranstaltung. Ideengeberin des Vorhabens ist Renate Heitmann von der Shakespeare Company und dem Verein Quantenschaum aus Bremen. „Die Kunst ist das passende Werkzeug, um in dieser komplexen Welt den Austausch zu fördern. Die Spielhandlung schafft einen Raum, in dem sich alle in einer inspirierenden Atmosphäre begegnen können.“

Teilnehmen können alle, die sich vom Neu-Denken der Landwirtschaft angesprochen fühlen. Die Veranstaltung findet am Dienstag, 12. Juli, auf dem Hof Holthusen in Brake, Süderfeld 2, statt. Beginn ist um 15 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung bis zum 11. Juli unter https://galatea.ticket.io/6rqzf62w/? möglich.

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